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Musikunterricht für die Gesellschaft

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Kulturpolitisches Symposium der Fachgruppe Musik in der IG Medien in Darmstadt
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Gerne berufen sich Musikerzieher/-innen und alle, die sich um die finanziellen Ausstattungen aller Unterrichtsstätten bemühen, auf die Beobachtung, dass Schülerinnen und Schüler von Musikschulen augenscheinlich seltener kriminell auffällig oder gar straffällig werden. Dass sie darüber hinaus auch ganz offenbar mit ihrem sozialen Umfeld besser zurechtkommen und sogar in ihren schulischen Leistungen signifikant besser dastehen als Kinder und Jugendliche, die keine musikalische Förderung erhalten, ist inzwischen sogar bewiesen. Dennoch scheinen derartige Erkenntnisse nicht in die Köpfe derjenigen vorgedrungen zu sein, die letztendlich über die notwendigen Finanzmittel zu entscheiden haben.

Gerne berufen sich Musikerzieher/-innen und alle, die sich um die finanziellen Ausstattungen aller Unterrichtsstätten bemühen, auf die Beobachtung, dass Schülerinnen und Schüler von Musikschulen augenscheinlich seltener kriminell auffällig oder gar straffällig werden. Dass sie darüber hinaus auch ganz offenbar mit ihrem sozialen Umfeld besser zurechtkommen und sogar in ihren schulischen Leistungen signifikant besser dastehen als Kinder und Jugendliche, die keine musikalische Förderung erhalten, ist inzwischen sogar bewiesen. Dennoch scheinen derartige Erkenntnisse nicht in die Köpfe derjenigen vorgedrungen zu sein, die letztendlich über die notwendigen Finanzmittel zu entscheiden haben.Insbesondere die kriminalpräventive Wirkung von Musikerziehung ist äußerst schwer nachzuweisen, wenn überhaupt, sie wird in Gesprächen vor allem mit Kommunalpolitikern zwar nicht in Abrede gestellt, aber das süffisante Lächeln, mit dem nach Beweisen gefragt wird, regt jeden auf, der sich irrigerweise auf die Kraft des Offensichtlichen bemüht. Die stets geäußerte plakative Behauptung, die Finanzierung einer Musikschule sei langfristig billiger, als die des Jugendstrafvollzugs, hilft genau so wenig, wenn echte Zahlen fehlen.

Sind die, nennen wir sie einmal so: „gesellschaftlichen Nebenwirkungen“ von Musikerziehung wirklich so unbestreitbar bewiesen? Als Otto Schily seinen mittlerweile berühmten Satz im Bundestag prägte, dass die Schließung von Musikschulen eine Gefährdung der inneren Sicherheit darstelle, erhielt er sehr viel Beifall, einer schriftlichen Nachfrage der IG Medien konnte er aber auch keine Faktenunterstützung zukommen lassen. Die Antwort war ernüchternd, wirklich Greifbares lag zu dieser These nicht vor. Daher also der Versuch der Fachgruppe Musik, nach dem Motto der Gelben Seiten, jemanden zu fragen, der sich damit auskennt.

Primäre Prävention

Prof. Dr. Dr. Michael Bock, Universität Mainz, und Prof. Dr. Hans Günther Bastian, Universität Frankfurt/M., referierten über ihre Forschungen zur Kriminalprävention und zur Förderung der sozialen Kompetenz. Peter Korstian vom Hessischen Landeskriminalamt Wiesbaden steuerte im Abschlussgespräch Beobachtungen aus der Praxis bei.

Der Kriminologe Bock war gezielt als Nichtmusiker eingeladen worden, um den Verdacht auszuräumen, die Kulturfuzzis sprächen mal wieder nur unter sich. Dementsprechend unverkrampft hatte er sich auch auf ein für ihn neues Terrain begeben und den Versuch gemacht, Musikerziehung in die kriminologische Betrachtungsweise einzubauen. Für niemanden überraschend beklagt er den Mangel an einschlägiger Forschung und bestätigte somit den argumentativen Notstand. Genauso wenig überraschend, wenn auch für einige etwas ernüchternd, war die sehr große Vorsicht, mit der Bock das Thema anging. Nach der ermutigenden Feststellung, dass vor allem Musikschulen sehr vielen Kriterien entsprächen, die es mehr als nahe legten, dass die Voraussetzung für eine kriminalpräventive Wirkung vorlägen, relativierte er alles wieder mit Problemen der Komplexität und Spezifität. Zunächst also: „...so ergibt sich relativ zwanglos, dass die traditionelle Musikerziehung an den allgemein bildenden Schulen oder auch der Unterricht an den Musikschulen in den Bereich der primären Prävention gehört. Speziellere Ansätze, die man vielleicht eher als Musik-‚sozialarbeit‘ bezeichnen könnte oder auch alle Formen von Musiktherapie hingegen sind an Personengruppen adressiert, die in der einen oder anderen Weise als gefährdet gelten oder bereits auffällig geworden sind. Sie gehören daher, je nach konkreter Ausgestaltung der einzelnen Projekte und Maßnahmen, in den Bereich der sekundären oder tertiären Prävention.“ Dann die Einschränkung: „Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass in ‚unausgelesenen Gruppen‘ – und von solchen müssen wir ausgehen, wenn wir die Musikerziehung an allgemein bildenden Schulen im Auge haben – die Basisrate nennenswerter Straffälligkeit nur zwei bis fünf Prozent beträgt. Dies bedeutet, dass aus einer Schulklasse von 30 Kindern durchschnittlich nur ein Einziges in einem Ausmaß straffällig wird, dass man dies nicht mehr als die normale und episodenhafte Bagatellkriminalität junger Menschen ansehen kann. Wenn nun festgestellt wird, dass Musikerziehung generell, wenngleich in bescheidenem Ausmaß, die beschriebenen Wirkungen hat, so braucht diese Wirkung gerade nicht bei diesem gefährdeten Kind aufgetreten sein. Mit anderen Worten, wir wissen nicht, ob sich die positiven Effekte nur bei denen einstellen, die ohnehin nicht nennenswert straffällig würden. Wir wissen nicht einmal, ob sich nicht sogar negative Effekte bei den Gefährdeten einstellen, etwa weitere Misserfolgserlebnisse, soziale Distanzierungserlebnisse, Leistungsdefizite in anderen Bereichen oder eine besondere Anfälligkeit für subkulturelle Wertorientierungen, die ja auch vielfach über musikalische Wege transportiert werden. Auch dies wäre ja bei diesen Zahlenverhältnissen durchaus mit den generell beziehungsweise statistisch positiven Befunden zu vereinbaren.“ Bock kommt zu dem Schluss: „Wenn wir methodisch geeignete Untersuchungen hätten, in denen in quasi-experimentellen Designs Straffällige mit Kontrollgruppen hinsichtlich des Einflusses von Musikerziehung beziehungsweise Musiksozialarbeit verglichen würden, könnten wir vielleicht mehr sagen. Wir haben sie aber bisher nicht.“

Bock stellt aber ebenfalls fest: „Fragen wir hingegen von den spezifisch kriminologischen Untersuchungen aus, so finden sich gute Gründe, Musikerziehung an Musikschulen, aber auch Projekte und Initiativen sogenannter Musiksozialarbeit mit bekannten und eindeutigen Befunden zum Freizeit- und Kontaktbereich in Beziehung zu setzen. Musizieren ist strukturierte Freizeit und sie kann zu tragenden Bindungen führen, was jedenfalls dann unbestreitbar kriminalpräventiv wirkt, wenn die dadurch entstehenden Bindungen keine subkulturelle Schlagseite haben.“

Ein bis hierher doppelter Erfolg des Symposiums: Die Ausgangsvermutung der kriminalpräventiven Wirkung bleibt bestehen, der Ruf nach spezifischer Forschung kann nur im Interesse aller, also auch der Gesellschaft liegen, gerade um dem finanziellen Streichkonzert wider besseren Wissens entgegenzuwirken.

Bastians Berliner Studie

Hans Günther Bastian stellte die Forschungsergebnisse einer Berliner Langzeitstudie vor, die Leistungsfähigkeit, soziale Kompetenz und Intelligenz von Grundsschulkindern mit und ohne qualifizierten Musikunterricht untersucht hatte. Eindrucksvoll belegte er hier, was allen Musikpädagogen intuitiv schon immer klar war: Trotz des höheren zeitlichen Einsatzes, den die Kinder mit Musikausbildung hatten (Üben, Proben etc.) war nicht nur kein Leistungsabfall gegenüber den damit „unbelasteten“ Kindern erkennbar. Leistungssteigerungen, erkennbar besseres kommunikatives, also soziales Verhalten untereinander und gegenüber der außerschulischen Umwelt waren signifikant. Video-Dokumentationen zeigten außerdem den hohen „Spaßfaktor“ der Kinder. Bastian erzählt: „Einem verhaltensauffälligen Schüler, dem als höchste Sanktion der Verweis von der Schule droht, wurde der lange gehegte Wunsch zum Gitarrespiel erfüllt, was dann sozialintegrativ von Erfolg gekrönt war. Er fühlte sich in der Gitarrengruppe an- und aufgenommen, konnte seinem Hobby nachgehen und war fortan bereit, sich in diese Gruppe zu integrieren und sich weitergehend in die neue musikbetonte Klasse einzubringen.

Eine Schülerin der 6. Klasse hat einmal gefragt: ‚Wie kommt es denn, dass man nach dem Musizieren so friedlich ist‘?

Eine Junge, der als sozial schwierig eingestuft war, vor dem sowohl Lehrer als auch Schüler ‚Respekt‘ hatten, entwickelte sich zu einem hervorragenden Musiktalent. Er spielte Saxophon und Schlagzeug, was von allen auch positiv anerkannt wurde. Seine Anerkennung konnte sich der Junge in der Musik bei öffentlichen Auftritten holen. Dieses Talent hat ihn auch davor bewahrt, von den Lehrern und den Mitschülern ‚abgestempelt‘ zu werden. Ein ausländischer Junge kam als Seiteneinsteiger in der 5. Klasse an die Schule. Er zählte zu den kräftigen und aufgrund seiner Erscheinung furchteinflößenden Kindern. Noch bevor er sich in deutscher Sprache verständigen konnte, spielte er im Orchester die Altflöte. Dieser Junge hatte nach Einschätzung der Lehrer alle Voraussetzungen, aggressiv zu werden, wenn er sich nicht auf diese Weise von den Mitschülern angenommen und sich verstanden gefühlt hätte.“

Wie Bock warnt natürlich auch Bastian vor Vereinfachungen aber dennoch: „Was hier den Anschein musikpädagogischer Kochrezepte im Sinne von ‚Man nehme Musik...‘ hat oder an die HB-Männchen Werbung ‚Dann geht alles wie von selbst‘ erinnert, ist nun einmal unleugbare schulische Realitätserfahrung.“ Und er schließt: „Die Ergebnisse dieser Studie ergeben allein aus sozialer Sicht einen klaren musikerzieherischen Auftrag – in eine Metapher gekleidet: Setzen wir gegen die physische Gewalt die psychische Macht der Musik! Denn ‚der Geist der Gewalt ist so stark geworden, weil die Gewalt des Geistes so schwach geworden ist‘“. (Leonhard Ragaz, Schweizer Theologe).

In der lebhaften Abschlussrunde zeigte sich auch der LKA-Mann Korstian (dort Jugendkoordinator) stark beeindruckt von den vorgelegten Ergebnissen. Er gab unumwunden zu, dass in der Präventionsarbeit der Polizei die Musikerziehung eigentlich kaum eine Rolle spiele. Aber dies müsse sich ändern, denn es sei doch erkennbar, dass sie zumindest ein Weg unter anderen sei, ein Abdriften von Kindern und Jugendlichen zu bekämpfen.

Bedauert wurde das Fernbleiben von Persönlichkeiten aus der Politik. Aber Hauptziel des Symposiums war auch weniger die publizistische Außenwirkung. Bereitstellung von Argumentationshilfen für alle, die sich vor allem in Kommunen mit der mehr als lästigen Kostenfrage herumschlagen müssen, war das eigentliche Anliegen. Die Präsenz allein dreier Landesmusikräte sprach dafür, dass die Thematik nicht nur einen Nerv getroffen hatte.

Alle Anwesenden waren sich einig, dass niemandem erlaubt sein dürfe, sich hinter Unwissen bei der Streichung von Finanzmitteln für Musikerziehung zu verstecken. Die Referate und eine Zusammenfassung der Diskussionsbeiträge werden in der nächsten Zeit zu einer Dokumentation zusammengefasst werden und sind dann bei der IG Medien erhältlich.

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