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Soziale Sicherung von Freien nicht in Frage stellen

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Beschluss der IG Medien Reform des Künstlersozialversicherungsgesetzes
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Bei den Beratungen auf ihrem außerordentlichen Gewerkschaftstag vom 18.–20. November 1999 zu der neuen Gewerkschaft ver.di hat die IG Medien auch über wirtschafts- und sozialpolitische Anträge sowie kultur- und medienpolitische Forderungen diskutiert. Nachfolgend dokumentieren wir (in Auszügen) den einstimmig gefassten Beschluss zur sozialen Sicherung von Freien und zur Reform des Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).

Bei den Beratungen auf ihrem außerordentlichen Gewerkschaftstag vom 18.–20. November 1999 zu der neuen Gewerkschaft ver.di hat die IG Medien auch über wirtschafts- und sozialpolitische Anträge sowie kultur- und medienpolitische Forderungen diskutiert. Nachfolgend dokumentieren wir (in Auszügen) den einstimmig gefassten Beschluss zur sozialen Sicherung von Freien und zur Reform des Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG). Die IG Medien fordert Bundesregierung und Bundestag auf, eine wirkliche Reform des KSVG ins Werk zu setzen, die für die Versicherten Verbesserungen mit sich bringt. In keinem Fall wird die IG Medien eine Einschränkung des Personenkreises, der derzeit nach dem KSVG versichert werden kann, hinnehmen.

Seit langem wird über eine Reform der Künstlersozialversicherung diskutiert. Diese muss nunmehr auch – wie vom Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages gefordert – zügig in Angriff genommen werden. Vorschläge dazu hat die IG Medien schon im Januar 1999 unterbreitet:

Klarstellung, dass allen Künstlern und Publizisten die gesetzlichen Sozialversicherung als Pflichtversicherung offen steht, insbesondere auch vermeintlich „Scheinselbständigen" bis zur Feststellung des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, „arbeitnehmerähnlichen Selbständigen„ (§ 2 Nr. 9 SGB VI) und arbeitnehmerähnlichen Personen (§ 12a TVG) nach dem KSVG versicherungspflichtig sind, sowie dass auch bei Erwerbstätigkeit mit wechselndem sozialversicherungsrechtlichem Status der Versicherungsschutz erhalten bleibt

  • Einbeziehung der Lehrtätigkeit im Bereich Wort sowie anderer nicht-publizistischer Tätigkeiten im gleichen Beruf in die Versicherungspflicht,
  • zumindest vorübergehende Erhaltung des Schutzes der gesetzlichen Sozialversicherung, wenn das Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit auf Grund Auftragsmangels absinkt oder ausbleibt,
  • Beseitigung der für selbständige Künstler und Publizisten unangemessenen Zugangsvoraussetzungen zur Krankenversicherung der Rentner,
  • Aufstocken der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung für eine Übergangszeit, wenn die selbständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit schon vor 1983 ausgeübt wurde
  • Ergänzung der in der Verordnung zur Durchführung des KSVG aufgezählten Berufsbilder.

Die Künstlersozialversicherung hat sich bewährt. Es gilt jetzt einige dringend gebotene Verbesserungen vorzunehmen. Wir fordern die Bundesregierung weiter dazu auf, Voraussetzungen zu schaffen, dass über die Künstlersozialversicherung hinaus auch andere Selbständige in die gesetzliche Sozialversicherung einbezogen werden können, um allen, die Schutz wünschen, auch entsprechen zu können.

Die IG Medien erinnert die Regierungsparteien an ihre Wahlversprechen und das Regierungsprogramm. Wer Versprechen bricht, hat kein Vermittlungsproblem, sondern eines mit der eigenen Redlichkeit.

Mit der Verabschiedung des Haushaltsbegleitgesetzes am 12. November 1999 hat der Bundestag mit den Stimmen der Koalition folgende Änderungen am Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) durch die Hintertür beschlossen:

• Der Bundeszuschuss zur Künstlersozialversicherung wird von derzeit 25 Prozent des Gesamtsozialversicherungsbeitrages auf 20 Prozent abgesenkt; aus der Künstlersozialabgabe, dem Anteil der Verwerter (zum Beispiel Verlage, Konzertveranstalter, Theater und Kunsthandel) zur Künstlersozialversicherung, müssen demnach künftig 30 Prozent des Beitrags aufgebracht werden.

• Der Hebesatz für diese Künstlersozialabgabe, der bisher nach den verschiedenen Sparten (Wort 3,8 Prozent, Musik 1,6 Prozent, Darstellende Kunst 1,0 Prozent, Bildende Kunst 3,6 Prozent) getrennt ermittelt wird, soll einheitlich auf 4,0 Prozent festgelegt werden.

Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat allerdings die Bundesregierung beauftragt, bis zum 31. März 2000 einen Bericht über die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler sowie bis zum 20. April 2000 einen Entwurf zur Novellierung des KSVG vorzulegen. Sollte sich bei der Prüfung der sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler in Bezug auf die Festlegung des einheitlichen Abgabesatzes von vier Prozent Änderungsbedarf ergeben, wird dem im Rahmen der oben aufgeführten Novellierung Rechnung getragen.

Die IG Medien hat gegen diesen blinden Aktionismus im Rahmen des „Sparpakets" wiederholt protestiert und gefordert, die Änderungen am KSVG aus dem Haushaltsbegleitgesetz herauszunehmen – vergeblich. Anlass für diese Eingriffe in die Künstlersozialversicherung ist der seit Jahren steigende Bundeszuschuss. Er liegt mittlerweile bei etwa 177 Millionen und damit um knapp 50 Prozent höher, als 1981 bei Verabschiedung des KSVG angesetzt war. Das allerdings liegt an den relativ hohen Zuwachszahlen bei den nach dem KSVG Versicherten, die weit jenseits der Erwartungen von 1983 liegen. (...)

Darüber hinaus geht die öffentliche Debatte um die gesetzliche Sozialversicherung und die damit in Verbindung gebrachten „leeren Kassen" am Kern vorbei. Es gab und gibt Millionen Arbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik, für die keine Sozialabgaben geleistet werden. Das führt zur Ausgrenzung eines wachsenden Personenkreises aus dem Schutz der gesetzlichen Sozialversicherung; es führt aber auch zu einer Schieflage bei der Finanzierung der Sozialversicherung, die sich in steigenden Beiträgen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausdrückt.

Die neuen Regelungen zur Scheinselbständigkeit waren deshalb bei aller Detailkritik ein erster Ansatz zur Korrektur dieser Fehlentwicklung. Völlig legitim war es auch, mit den neuen Regelungen zu den 630-Mark-Arbeitsverhältnissen, den Kreis der in die gesetzliche Sozialversicherung einbezogenen Personen zu erweitern.

Jetzt gehen die Bundesregierung und Koalitionsparteien dagegen augenscheinlich Schritt für Schritt dazu über, den Begriff „soziale Gerechtigkeit" neu zu definieren – und damit den sozialen Schutz zu reduzieren. Am 12. November wurde verabschiedet:

der Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes (Sparprogramm) mit den wenig durchdachten Eingriffen in die Künstlersozialversicherung, aber auch der Entwurf eines „Gesetzes zur Förderung der Selbständigkeit", mit dem nicht nur die jüngst geschaffenen Handhaben gegen Scheinselbständigkeit weitestgehend beseitigt werden, sondern zugleich der systematischen Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen Tür und Tor geöffnet wird. In der Sozialpolitik bedeutet das eine perfekte Kehrtwendung gegenüber dem Regierungsprogramm. (...)

Es gilt nicht nur die „Existenzgründer" zu hätscheln, die für sich selbst keine Solidarpflichten anerkennen wollen – es geht um die große Mehrheit derer, die sich durchaus auch ihre „Existenz" erarbeiten, aber die als Beschäftigte oder Selbständige auf den Schutz der gesetzlichen Sozialversicherung angewiesen sind und denen nicht die von „Aussteigern" verursachten Mehrkosten über steigende Beiträge aufgebürdet werden dürfen.

Das Bild vom Normalarbeitsverhältnis in unbefristeter Vollzeitanstellung mit allen Rechten und Absicherungen eines Arbeitnehmers verliert in der Arbeitswelt immer mehr an Bedeutung. Outsourcing-Strategien zur Personalkostensenkung führen zunehmend zu neuen Formen von Selbständigkeit.

Diese Entwicklung greift längst weit über die künstlerischen und publizistischen Berufsbilder hinaus. Es wäre nun die Aufgabe des Gesetzgebers dem durch eine Ausweitung der gesetzlichen Sozialversicherung Rechnung zu tragen, statt sich in kleinlichen Abgrenzungsfragen zu verlieren und die Flucht aus der Sozialversicherung zu fördern.

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