Ob denn Musik das Wunder vollbringe, Bestien in Menschen zu verwandeln, fragt eine israelische Journalistin skeptisch. Daniel Barenboim entgegnet ihr, dass die Arbeit mit dem „West-Eastern Divan Orchestra“ natürlich keine politischen Wunder bewirken könne, so sehr ihn das auch freuen würde. Aber zumindest könne die Arbeit den gegenseitigen Hass zwischen Juden und Arabern für kurze Zeit verringern und etwas Freude in das Leben junger Menschen bringen, deren Alltag von Bombenexplosionen und militärischen Eingriffen bestimmt ist. Das sei wenig, lohne aber den Einsatz. Schon bei seinem ersten Besuch in Ramallah 1999 hat der weltberühmte Dirigent gespürt, wie groß der Hunger nach Musik dort ist.
In Paul Smacznys Dokumentarfilm erzählt Daniel Barenboim von einer berührenden Begegnung mit einem Mädchen bei seinem ersten Besuch in Ramallah. Er fragte die Kleine, ob er wiederkommen solle. Sie sagte: Unbedingt, denn er sei das erste „Ding“ aus Israel, das kein Soldat oder Panzer ist.
Paul Smaczny hat Barenboim und seinen 2003 verstorbenen palästinensischen Freund Edward Said, der beim Aufbau des Orchesters half, von der Gründungsphase an sechs Jahre lang mit der Kamera begleitet.
Herausgekommen ist ein eindrucksvolles Porträt eines einzigartigen Klangkörpers, der den verheerenden politischen Entwicklungen eisern trotzt. In dem Orchester spielen nicht nur Israeli und Palästinenser Seite an Seite, es sind auch Syrer, Libanesen, Ägypter, Jordanier und Spanier darunter.
Schon seit vielen Jahren bemüht sich Barenboim – er ist israelischer Staatsbürger – in bewundernswerter Weise, seine jüdischen Landsleute dazu zu bewegen, die palästinensischen Nachbarn nicht länger auszugrenzen. Schon oft eskalierten seine öffentlichen Auftritte zum Skandal wie zuletzt 2003, als er anlässlich des ihm verliehenen Wolf-Preises in der Knesset aus der israelischen Unabhängigkeitserklärung zitierte. Diese Begebenheit bildet das Kernstück des eindrucksvollen Films.
„Wir können nur den Hass verringern“ macht deutlich, wie viel Energie und Herzblut Barenboim in das „West-Eastern Divan“ investiert. „Ich schenke euch Blumen, ich lade euch zum Essen ein, ich mache, was ihr wollt, nur spielt bitte mit dem ganzen Bogen“, sagt er in einer Probe. Sein Charisma überträgt sich auf die jungen Leute. Sie sind stolz, dass Barenboim mit ihnen ebenso ambitioniert arbeitet wie mit Spitzenorchestern. Einmal jährlich treffen sie sich zu einem mehrwöchigen Workshop, der seit 2001 regelmäßig in Sevilla stattfindet, anschließend geht das Orchester auf Tournee.
Aber nicht nur aufs Musizieren beschränken sich die Begegnungen zwischen den Jugendlichen, Barenboim und Edward Said. Diskutiert wird auch. Dabei spricht Barenboim nicht nur von der Notwendigkeit, gegen Intoleranz zu kämpfen, er geht noch einen Schritt weiter: „Toleranz ist eigentlich ein Wort, das mir nicht behagt“, sagt er, „denn es suggeriert unterschwellig, dass man den anderen zwar duldet, aber für weniger gut, weniger wert, schön oder intelligent erachtet“. In solchen Momenten sind alle nachdenklich. Die Kamera aber hält auch ungelöste Konflikte fest.
Die angespannte Lage im Nahen Osten hat von Jahr zu Jahr von den Orchestermitgliedern größeren Mut erfordert, bei der Stange zu bleiben. Offiziell ist der Kontakt zwischen Israelis und Syrern sowie Libanesen eingeschränkt. Seit die israelische Regierung 2004 eine kilometerlange Mauer um die palästinensischen Gebiete zieht, ist die Situation schier ins Absurde gewachsen: Am Ende des Films treten zwei etwa gleichaltrige Mädchen vor die Kamera. Stel heißt die eine, Stella die andere.
Sie spielen Cello und sind Pultkolleginnen. „Es steht nichts zwischen uns“, sagt Stella, die Palästinenserin, „wir sind wie Schwestern, da ist keine Mauer. Aber wenn wir zurückkehren am 1. September, ist die Mauer fertig. Ich bin sehr besorgt, denn dann können wir uns nicht mehr sehen und ich weiß nicht, ob ich aus meinem Gebiet wieder rauskomme“.
Daniel Barenboim im Gespräch
Kirsten Liese: Herr Barenboim, Sie versuchen seit Jahren im Nahostkonflikt zwischen Israeli und Palästinensern zu vermitteln, und Ihre Reden und Appelle an Fairness gegenüber den Arabern sind wiederholt seitens israelischer Politiker als Skandal empfunden worden. Hoffen Sie, durch Ihre Arbeit mit dem „West-Eastern Divan Orchestra“ eine Aussöhnung herbeiführen zu können?
Daniel Barenboim: Das wäre ein unrealistisches, zu hoch gegriffenes Ziel. Musik kann nicht den Frieden bringen, aber sie besitzt die Kraft, zwischen Menschen eine intensive Beziehung aufzubauen. Denn sie spricht gleichzeitig zum Kopf und zum Herzen. Ich möchte den jungen Leuten etwas geben, das sie nicht mehr verlieren möchten: Einen Lebensinhalt. Denn ein Leben ohne Musik ist ein ärmeres Leben.
: Es grenzt ja an ein Wunder, wenn man bedenkt, dass in diesem Orchester israelische und arabische Musiker harmonisch an einem Pult spielen. Und sogar Freundschaften haben sich entwickelt. Haben die Jugendlichen Ihr Angebot von Anfang an so positiv aufgenommen?
: Es war schon sehr schwierig am Anfang mit Blick auf die angespannte politische Lage. Es ist ja eine Überschreitung des Gesetzes, in Syrien wie auch in Israel, untereinander Kontakte zu pflegen. Insofern mussten die jungen Leute großen Mut aufbringen, zu uns zu kommen. Und auch während unserer Arbeit gab es Spannungen. In einem Orchester spiegelt sich die Gesellschaft: Einige Musiker sind sehr neugierig und suchen Kontakt zu anderen, andere sind zurückhaltender oder beschäftigen sich weniger mit Politik, das finde ich absolut in Ordnung.
: War es einfach, so talentierte arabische Musiker aufzutreiben?
: Weder Edward Said, mein palästinensischer Freund, mit dem ich das Orchester gründete, noch ich selbst hätten es für möglich gehalten, dass sich 200 Musiker aus Syrien, dem Libanon, Ägypten und Jordanien für Probespiele bewerben würden. Die Kontakte zu ihnen kamen über die Goethe-Institute in Kairo, Amman und Damaskus zustande. Ich habe dann ungefähr 60 Musiker gehört und konnte nicht glauben, was ich dabei an Talenten hörte.
: In den ersten beiden Jahren der Gründungsphase wurden Sie von dem Projekt „Weimar Kulturhauptstadt ‘99“ auf Initiative seines rührigen Direktors Bernd Kauffmann gesponsert. Wie ging’s dann weiter?
: Im dritten Jahr fanden wir Unterstützung beim Chicago Symphony Orchestra. Das Orchester war derart angetan von der ganzen Sache, dass es uns einlud, nach Chicago zu kommen. So waren wir dann einen Sommer in Chicago, was eine große Chance für die jungen Leute bot, weil sie täglich Proben mitverfolgen konnten. Sie müssen bedenken, dass viele von denen noch nie zuvor ein Orchester „live“ gehört hatten. Das war eine Riesensache für die.
: Warum ist der bevorstehende Auftritt in Ramallah so bedeutend?
: Edward Said und ich waren der Meinung, dass die Dimension dieses Projekts erst dann erreicht ist, wenn wir in allen Ländern spielen können, die in diesem Orchester repräsentiert sind, das heißt, in Israel, in Palästina, in Libanon, in Syrien, in Jordanien und in Ägypten. Irgendwo muss man anfangen.
: Bereits im vergangenen Jahr wollten Sie mit dem Orchester in Ramallah auftreten, dann aber platzte dieses Vorhaben. Warum?
: Das hatte mit der momentanen äußerst schwierigen Situation zu tun. Es war unmöglich, im August 2004 die Sicherheit aller Musiker zu garantieren. Unser diesjähriger Termin verbindet sich mit der Räumung der besetzten Gebiete, die vorher stattfindet, insofern kann das für uns schon noch mal eine schwierige Situation werden. Aber ich glaube und hoffe, dass diesmal nichts mehr dazwischen kommt. Die spanische Regierung gibt uns für jedes Orchestermitglied einen spanischen diplomatischen Pass, was ich als eine ganz erstaunliche großzügige Geste erachte. Auch die Botschaften aus Deutschland, Spanien und Frankreich in Ramallah helfen uns mit dem Transport.