In den letzten Jahren fand im Musikalienhandel ein grundlegender Wandel statt. Stagnierende und sinkende Umsätze, mangelnde Attraktivität des Berufes Musikalienhändler sowie fehlende Bereitschaft, sich technischer Innovationen zu bedienen und auf verändertes Konsumentenverhalten zu reagieren, machte der Branche zu schaffen. Insolvenzen namhafter Musikalienhandlungen wie Bote & Bock in Berlin oder Hieber in München trugen ebenfalls zur Krisenstimmung in der Branche bei. Dabei produzieren Verlage derzeit so viel Notenmaterial wie noch nie. Mit der Absicht ein aktuelles Stimmungsbild der Branche zeichnen luden Barbara Haack und Andreas Kolb während der Frankfurter Musikmesse 2003 Musikalienhändler an den ConBrio-Stand. Die Gespräche mit Daniela Zimmer, Michael Rosenthal, Ulrich Seibert sowie Wolfgang Meyer-Johanning zeigten, dass trotz schwieriger Wirtschaftsbedingungen die Zukunftsaussichten nicht so schwarz sind, wie oft prophezeit wird. Zumindest dann nicht, wenn die Händler bereit sind, innovative Wege zu beschreiten.
Eine der wichtigsten Umwälzung- des Musikalienhandels ist zur Zeit die Umstelllung auf das neue Computerordersystem IDNV. Daniela Zimmer, Inhaberin der Musikalienhandlung Lausch & Zweigle in Stuttgart, ist als Fachverbandsvorsitzende für Musikalien im GdM (Gesamtverband Deutscher Musikfachgeschäfte) unter anderem mit der Einführung des neuen Computerordersystems befasst. IDNV ist Datenbank, Bibliografie und elektronisches Bestellwesen zugleich. Die Notenbank erlaubt Recherche und Bestellung von Noten und Büchern. Für Händler gibt es vier Mal im Jahr eine aktualisierte CD-Rom. Bestellt wird beim Branchenprimus, dem Schottverlag, der das System für alle interessierten Verlage vorhält. IDNV befindet sich bis Sommer noch in der Probephase. „Derzeit sind noch nicht alle Verlage beteiligt, aber schon recht viele Händler.
Die Strategien, mit denen Lausch & Zweigle am Markt bestehen will, sind schnell aufgezählt: Zum einen der Aufbau eines elektronischen Warenwirtschaftssystems kombiniert mit einer klassischen Lagerhaltung. Dann wurde der Mitarbeiterstamm reduziert. Derzeit arbeiten die Geschäftsführerin, Daniela Zimmer, sowie eine Teilzeitkraft, eine feste Aushilfe und zwei Auszubildende in der Firma – eine erstaunlich kleine, aber effiziente Crew. Weiter legte Zimmer Wert auf stärkere Kundenorientierung: das heißt freundliche Verkaufsräume, Selbstbedienung, kompetente Beratung. Und zuletzt gibt es neue Schwerpunkte und ein erweitertes Sortiment, etwa mit Kinderthemen, Hörbüchern und CDs.
Die Politik ist gefragt
Noten für Klavier und Pop seien bei Lausch und Zweigle Selbstläufer, schwierig stelle sich der Markt für Bläsermusik dar. Den Internethandel empfindet Daniela Zimmer nicht als Konkurrenz, eher als Ergänzung. „Die Kunden informieren sich übers Internet und kommen dann mit Ausdrucken, um die Originalnoten zu kaufen.” Trotz weniger Personal und EDV-Einsatz läuft das Geschäft „gerade mal so”. Zimmers Resümee: „Es ist schwer im Moment”.
Daniela Zimmer wird für viele Kollegen sprechen, wenn sie von der Politik eine bessere Steuergesetzgebung und ein schärferes Vorgehen gegen Kopiersünder fordert. Weiter sieht sie in der Konjunkturbelebung die Hauptaufgabe der Politik”. Nur so könne man die „Konsumverweigerung” aufbrechen. Eine Neuerung auf der Messe war 2003 der gemeinsame Auftritt von Deutschem Musikverlegerverband (DMV), GdM, GEMA, Bundesverband deutscher Musikverbände (BdMV) und ver.di am großzügigen und gut frequentierten Gemeinschaftsstand. Die GdM-Fachverbandsvorsitzende empfindet den Gemeinschaftsstand der Musikverbände als „Verbesserung”, die dem Grundanliegen ihres Verbands, dem Service für Mitglieder, eine noch bessere Plattform bietet.
Tradition in Leipzig
Michael Rosenthal ist Inhaber und Geschäftsführer der alteingesessenen Leipziger Musikalienhandlung M. Oelsner (gegründet 1860), der beinahe letzten großen Musikalienhandlung aus dem Osten.
Nach der Wende hatte Rosenthal eine gute Ausgangsposition gehabt, denn er existierte in der DDR bereits in einer Sonderform: als Einzelinhaber einer Traditionsfirma. Seit 1990 ist der Musikalienhändler selbstständig. 1998 bezog er dann neue, großzügigere Räumlichkeiten in der Schillerstraße.
Manche Dinge konnte er konstant weiterführen wie etwa die Verbundenheit mit dem Leipziger Musikleben. Auch heute ist die Musikalienhandlung M. Oelsner nicht nur ein reiner Notenhändler, sondern auch Konzertkartenverkauf für Leipzig und Umgebung. Sie hat eine anerkannte Position als Vorverkaufsstelle durchs gesamte Spektrum von Klassik bis Volksmusik.
In vielem musste Rosenthal die Firma nach der Wende jedoch weiterentwickeln. So hat er heute weniger Mitarbeiter als zu DDR-Zeiten: von 15 ging die Zahl auf 8 zurück. Als ein wichtiges Element des Erfolgs sieht Rosenthal Verkaufsräume an, in denen die Kunden sich wohl fühlen. Neben kompetenter Beratung durch seine Mitarbeiter steigert vor allem Selbstbedienung den Umsatz. Das Sortiment bei Oelsner umfasst die ganze Breite, auch Klassik-CDs, CD-Roms und Musikbücher.
Eine Selbstverständlichkeit bleibt für Rosenthal die „Kooperation mit Musikschulen, Ausstellungen in der Musikalienhandlung und Kooperation mit Musikbibliothekaren der Stadt.”
Im Großen und Ganzen sei die Arbeit „komplizierter” geworden. Rosenthals Geschäft funktioniere nur, weil er den eigenen Arbeitsaufwand nicht mitrechnet. Ein typisches Familiengeschäft also, in dem auch Frau und Tochter mitarbeiten. Rosenthal nimmt bereits am Computerordersystem IDNV teil. Auch wenn er dies als „sehr notwendig” bezeichnet, betont er, der Computer brächte keine Arbeitsersparnis.
Musikschulen, „Jugend musiziert“ und vor allem einen qualifizierten Musikunterricht an der Schule hält Rosenthal für unabdingbar. Denn im Osten gibt es Nachholbedarf: „In der DDR ist das alte bürgerliche Kunstverständnis abhanden gekommen.” Vorteile des DDR-Systems waren zwar gute, qualifizierte Ausbildung, aber in der Breitenarbeit wurde der allgemeine Musikunterricht hinten angesetzt. „Es fehlte der untere Teil der Pyramide”.
Schwere Zeit in München
Das Musikhaus Max Hieber durchlebt gegenwärtig eine schwere Zeit. Das traditionsreiche Ladengeschäft, das in München am Dom eine Top-Lage hat, musste im vergangenen Jahr in die Insolvenz gehen. Ulrich Seibert, vordem Junior-Chef und nun vom Insolvenzverwalter zum Vertriebsleiter bestimmt, erklärt die Schieflage seines Unternehmens mit Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber Banken, die nicht refinanziert werden konnten. In den 70er-Jahren habe man mehrere Firmen gekauft, die daraus entstandenen Bankverbindlichkeiten wurden nun zurückgefordert. Inzwischen hat eine Gläubigerversammlung stattgefunden, ein Gläubiger-Ausschuss wurde gebildet. Das Ladengeschäft wird derweil weitergeführt, allerdings macht sich die Unsicherheit der Kunden bemerkbar: Viele wissen nicht, dass es weitergeht und kommen deshalb nicht mehr. Trotzdem laufe das Geschäft gut, so Seibert, Profitabilität des Geschäfts und finanzielle Liquidität seien nie ein Problem gewesen. Wer zukünftig das Geschäft weiter führt, wer als Käufer in Frage kommt, ist zurzeit noch ungewiss.
Auch Hieber verwendet das neue Bestellsystem IDNV. Als Recherchemittel sei es ein großer Fortschritt gegenüber dem VLM, findet Seibert. Die allgemeine Lage schätzt er nicht schlecht ein. „Es geht alles über den Preis”. Das aber funktioniert nur, wenn der Absatz hoch genug ist. Der Verband müsse darauf hinarbeiten, dass es wieder eine vernünftige Handelsspanne gibt. Auch im Internet ist das Musikhaus aktiv, es betreibt einen eigenen Noten-Shop. Die Tendenz ist steigend, im Vergleich zum Ladengeschäft aber ist der elektronische Handel eine verschwindende Größe. Die Beratung sei das A und O, das In-die-Hand-Nehmen, der Service.
Zukunftsträchtig: Internet
Ganz anders arbeitet in dieser Hinsicht das Haus der Musik in Detmold. Geschäftsführer Wolfgang Meyer-Johanning setzt auf den kundenorientierten Internet-Handel und fährt damit bisher sehr gut. Dabei spielt das Ladengeschäft in der Detmolder Innenstadt nach wie vor eine wichtige Rolle. Als gelernter Musikalienhändler möchte Meyer-Johanning dies nicht missen. Gleichzeitig aber hat er unter www.musikalienhandel.de einen professionellen E-Shop eingerichtet, der den Kunden erlaubt, rund um die Uhr Noten, Bücher und Instrumente telefonisch zu bestellen. Während der Ladenöffnungszeiten findet dabei eine Fachberatung durch die Mitarbeiter statt, anschließend gehen die Anrufe an ein Call-Center, das Fragen und Probleme wiederum an Meyer-Johanning und seine Kollegen weiterleitet.
In der Regel können bestellte Produkte innerhalb von zwei bis drei Tagen geliefert werden. Bestellt wird bei einem Grossisten, der an das Haus der Musik liefert. Von dort aus werden die Endkunden beschickt. Meyer-Johanning versucht, sich nah am Bedürfnis des Kunden zu orientieren. So ist die Rufnummer, unter der bestellt werden kann, eine Freecall-Nummer. Der Versand innerhalb Deutschlands ist portofrei. Das Team des Hauses der Musik ist davon überzeugt, dass auch über das Internet eine fachkundige Beratung und ein adäquater Kundenservice stattfinden kann.