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„Die Meistersinger von Nürnberg“, Premiere am 12.6.2022 in der Deutschen Oper Berlin, copyright: Thomas Aurin.
„Die Meistersinger von Nürnberg“, Premiere am 12.6.2022 in der Deutschen Oper Berlin, copyright: Thomas Aurin.
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Abrutschgefahr in bunte Gummilatschen-Diktatur – „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Deutschen Oper Berlin

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Ein „unbeschreiblich nichtssagendes, szenisch unbeglaubigtes Tohuwabohu“, sieht unser Kritiker Dieter David Scholz. Die Inszenierung sei „voller regielicher Mätzchen, dramaturgischer Ungereimtheiten und reichlich Leerlauf (Langeweile), trotz Aktionismus der Personenführung im ermüdend nüchternen Bühnenbild.“

Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ war der größte Publikumserfolg des Komponisten zu seinen Lebzeiten (nach dem „Rienzi“). Die Oper ist eine grandiose Komödie (der freilich nicht zu trauen ist), eine „Comédie humaine“, in der Sachs die humanistisch idealisierte Integrationsfigur einer „ästhetischen Weltordnung“ darstellt, wie Udo Bermbach es einmal sehr treffend ausdrückte. Mit ihr redet Wagner einer demokratischen Gesellschaft (selbstbewusster Bürger) das Wort, in der Natur und Kultur, Kunst und Leben versöhnt werden. Das Werk enthält darüber hinaus die Utopie einer das Leben anleitenden, das Alte mit dem Neuen versöhnenden Kunst auf dem Theater. Walther von Stolzing ist der Anwalt des Neuen (der „Zukunftsmusik“) in der Musik. In der so oft falsch verstandenen Schlussansprache des Hans Sachs plädiert Wagner für deutsche bürgerliche Kunst als Alternative, als Utopie einer demokratischen Kultur, jenseits aller Politik.  

Das Regieteam (Jossi Wieler, Anna Viebrock, Sergio Morabito) verzichtet in der Neuproduktion der Deutschen Oper Berlin natürlich, wie zu erwarten war, auf Altnürnberger Stadtarchitektur, Trachten und Festwiese samt Folklore, es gibt keine Schusterstube (Sachs haust in einem der Übungszimmer des Konservatoriums von Dr. Pogner) – bei Wagner ist er übrigens Goldschmied. Auch kein Fliederbusch (der schließlich besungen wird) ist weit und breit zu sehen. Noch nicht einmal die obligate Prügelei (in der sich die Untiefe des „wohlanständigen“ Normalbürgers austobt) findet am Ende des zweiten Akts statt. Stattdessen ein unbeschreiblich nichtssagendes, szenisch unbeglaubigtes Tohuwabohu.

Das Regieteam betont im Programmheft, es wolle Macht und Machtmissbrauch samt Anspielungen auf die MeeToo-Problematik und „Übergriffigkeit“ in der Klassikszene, speziell in der Musikerausbildung vorführen. In dieser Konzeption verheddert und blockiert sich die ganze Produktion. Im Übrigen sind das reine Lippenbekenntnisse, die von Elfriede Jelineks „Klavierspielerin“ inspiriert sein sollen. Auch das angeblich Kafkaeske im Stück, das die Inszenierung offenlegen wolle, bleibt Lippenbekenntnis. Auf der Bühne sieht man davon wenig. Stattdessen darf gefummelt und poussiert werden, dass sich die Balken biegen. Die Studenten (Lehrbuben und -mädchen) feiern eine fröhlich groteske Orgie, sie tragen immer wieder Stühle herein oder heraus, stapeln und ordnen sie, eine so ermüdende wie unsinnig scheinende regieliche Verlegenheitslösung im leicht variierten Bühnenbild von Anna Viebrock, die die architektonisch nazihaft verortete Münchener Musikhochschule nachbaute (Ko-Bühnenbild Torsten Gerhard Köpf). Zweimal öffnet sich deren holzgetäfelte Wand (ein Lieblingseinfall vieler Inszenierungen der Deutschen Oper Berlin, diese holzgetafelten Wände) und zeigt ein schwarzes Loch, im dritten Akt gibt es eine Art Bühne auf der Bühne, die sich zum Konzertsaal weitet und dahinter einen weiteren Raum mit offenem Fenster freigibt, aus dem der Chor zur „Festwiese“ hereinsteigt und schließlich zu Sängerwettstreit bzw. zur Schlussapotheose des Sachs auf wiederum herbeigeschleppten Stühlen Platz nimmt.

Die Inszenierung ist voller regielicher Mätzchen, dramaturgischer Ungereimtheiten und reichlich Leerlauf (Langeweile), trotz Aktionismus der Personenführung im ermüdend nüchternen Bühnenbild. Vom ständigen Tänzeln und an Eurythmie erinnernden Armbewegungen sowie gänzlich überflüssigen Entspannungsübungen und oftmals überzogener Mimik ganz zu schweigen.

Dass Sachs mit Eva schließlich auf dem Bühnenboden reichlich ungeniert und in allen Stellungen rumpimpert, führt den Wahnmonolog schließlich ad absurdum. Aber nicht nur dieses Regiedetail, die ganze Konzeption misstraut, ja widerspricht dem Stück, so wie es von Wagner konzipiert ist. Eine dumme Produktion, die auch musikalisch alles andere als beglückt. Dirigent Markus Stenz (der statt des erkrankten Donald Runnicles die musikalische Leitung hat) kann keine überzeugende, einheitliche und stringente Lesart der Oper vorlegen. Über weite Passagen lässt er die Musik unterbelichtet vor sich hin schnurren, erstirbt in Langsamkeit (und Langeweile), wenn er nicht gerade den Hahn aufdreht, um laut lärmend die „schönen Stellen“ plakativ auszustellen. Schon die Ouvertüre reißt nicht vom Hocker. Ausgerechnet das wunderbare Vorspiel zum dritten Akt, ein Zuckerstück für jeden Dirigenten, gerät besonders lahm und uninspiriert. Nein, das ist kein rühmenswertes Dirigat, man hat die „Meistersinger“ an diesem Haus, zu schweigen von anderen Bühnen, schon weit besser gehört. Ganz davon abgesehen hat der Dirigent offensichtlich die Koordination von Graben und Chor nicht ganz im Griff, so scheint es. Chor (Leitung: Jeremy Bines) und Orchester der Deutschen Oper hat man schon in besserer Verfassung gehört.

Aber auch die sängerische Besetzung lässt zu wünschen übrig. Der Bariton von Johan Reuters verfügt zwar über ein Stimmmaterial, das als „schön“ zu bewerten ist, aber man versteht wenig von dem, was er als Sachs vorzutragen hat. Umso mehr beeindruckt er durch sein sportives Darstellungstemperament in Yogaposen, meist barfuß und in Jogginghose, blauem T-Shirt und buntem Strickschal. Dass er (Fußfetischist, der gern Füße massiert, aber „richtige“ Schuhe verabscheut, obwohl er doch Schuster ist) am Ende allen Nürnbergern quietschbunte Gartenclogs verpasst, zu seiner Schlussansprache die Hemdsärmel hochkrempelt und sich als Volksheld und Politiker, Demagoge oder wer weiß, was noch feiern, hochleben und unterm Jubel der Massen tragen lässt, vermeidet zwar die oftmals unsinnige posthitlersche Assoziation, deutet aber ein Abrutschen in eine bunte Gummilatschen-Diktatur an.

Albert Pesendorfer ist sängerisch ein anständiger Veit Pogner, mehr nicht, dass er, wie im Programmheft zu lesen ist als „Dr. Pogner“ einem Konservatorium vorsteht, ist vielleicht dir dümmste Idee, auf die die Regie verfallen konnte. Er ist ja bei Wagner Goldschmied.

Sixtus Beckmesser wird als konservativer Gesangsprofessor vorgeführt (er ist eigentlich Stadtschreiber), zwar nicht – wie oft - als antisemitische Karikatur (was unsinnig ist) aber als Karikatur eines Körperbehinderten, was wenig Feingefühl und Takt verrät. Philip Jekal fügt sich in das fragwürdige, um nicht zu sagen empörende Rollenkonzept und singt immerhin rollendeckend, wenn auch nicht aufsehenerregend. Dass er sich an einen von Studenten hereingezogenen Flügel (!) setzt, um sich selbst begleitend, die Beckmesser-Harfe zu spielen, ist einer der vielen grotesken Regieeinfälle der unlogischen und willkürlich mit dem Stück umgehenden Inszenierung.

Klaus Florian Vogt als legerer Walther von Stolzing im Künstlerhabit und mit Pferdeschwänzchenfrisur ist stimmlich über weite Strecken zu weiß, zu „deutsch“, zu oratorienhaft. Etwas mehr Italianità würde der Rolle gut anstehen. Die Eva von Heidi Stober singt flackend, „hysterisch“ unruhig und spielt leicht bekleidet, immer die Rolle des hyperaktiven „Weibchens“. Wagner hat die Partie anders angelegt. Sie darf übrigens schon während des Eröffnungschores nach der Ouvertüre mit Stolzing heftig knutschen und eindeutig sexuell agieren. Mit Sachs legt sie schließlich eine erotische Nummer aus Parkett hin, die keine Fragen offenlässt, aber gar keinen Sinn ergibt. Der David von Ya-Chung Huang kann zwar bewundernswert auf einem Bein stehen, aber bewundernswert singen kann er mit seinem begrenzten und Stimmmaterial nicht. Seine „Singschul“ im ersten Akt gerät zur Strapaze (allerdings auch, weil nichts passiert auf der Bühne). Einen so schlechten David hat man lange nicht gehört, außerdem agiert er wie Mime, was sich über weite Strecken auch vom Beckmesserdarsteller sagen lässt. Auf den Auftritt des Nachtwächters hat man ganz verzichtet. Stattdessen kommt der Luxusbass von Günther Groissböck von reichlich verhallter Konserve. Immerhin verströmt Annika Schlicht als Magdalene im Gouvernantenformat schlichte Mezzosopranschönheit.

Apropos: Die durchweg spießigen Kostüme von Anna Viebrock & Charlotte Pistorius (Ko-Kostümbild) sind unspektakulär und verströmten den Charme heutiger alltäglicher Geschmacklosigkeit.

„Es geht ums Scheitern“ erklärt das Regieteam im Programmheft. Ja, es ist an Wagners Stück gescheitert, hat sich an ihm verhoben und die Deutsche Oper Berlin hat sich mit dieser Produktion (ein absoluter Tiefpunkt der letzten Jahre) einen Bärendienst erwiesen. Die empörten Publikumsreaktionen waren eindeutig.

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