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Wagners “Tristan und Isolde“ zu den Oster-Festspielen Baden-Baden 2016. Foto: Monika Rittershaus
Tristan und Isolde in Baden-Baden. Foto: Monika Rittershaus
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Auf hoher See … – „Tristan und Isolde“ in Baden-Baden

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„Tristan und Isolde“ zu den Osterfestspielen im Festspielhaus Baden-Baden mit Sir Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern im musikalischen Maschinenraum. Joachim Lange checkt die Funktionsweise ab: Während die Sängerinnen überzeugen, bleibt die Regieleistung einigermaßen defizitär.

Den seit 1998 amtierenden Baden-Badener Festspielhausintendanten Andreas Mölich-Zebhauser treibt schon der Ehrgeiz um, sich mit den Festspielen in Salzburg oder gar in Bayreuth zu messen. Sonst hätte der heute 63jährige nicht mit den Berliner Philharmonikern das im eigenen Selbstverständnis erste deutsche Konzertorchester vor drei Jahren für seine Osterfestspiele von der Salzach an die Oos gelockt. Und sonst würde er wohl auch nicht einen Tristan programmieren, nachdem der in Bayreuth gerade neu herauskam. Als er vor Jahren gar eine eigene Wagnerpremiere auf den in Stein gemeißelten Termin der Bayreuther Festspieleröffnung am 25. Juli legte, war das schon sehr selbstbewusst und lässt tief blicken ….

Die Berliner Philharmoniker verbreiten allemal so viel Glanz, dass sie auch dann die für das Konzept Baden-Baden besonders unentbehrlichen, zahlungskräftigen Besucher anlocken (die Tristankarten kosten bis zu 350 Euro), wenn sie ihre raren Ausflüge vom vertrauten Konzertpodium in den Operngraben unternehmen.

Bei den Solisten für die Top-Partien im Wagneruniversum gibt es eh für alle nur den einen überschaubaren Markt. Dass Eva Maria Westbroek nicht nur als Sieglinde in die Spitzenliga gehört, bewies sie jetzt mit ihrer Isolde. Wenn sie im zweiten Aufzug für Momente vom Orchester überflutet schien, lag das weniger an ihr, als an Rattle. Insgesamt aber ließ sie die Verzweiflung und die Leidenschaften großformatig und sicher lodern. Man hätte ihr auch in der Premiere einen makellosen Schluss des Liebestodes gegönnt. Der Australier Stuart Skelton an ihrer Seite hat sich mit seinem szenischen Tristandebüt eingeprägt. Eine leichte, aber doch kernig strahlende und obendrein schön timbrierte Stimme sichert eine vokale Beweglichkeit, die eine gewisse darstellerische Behäbigkeit zu einem Gutteil ausgleicht. Nicht so beim Kurwenal des fabelhaften Michael Nagy, der an der Komischen Oper in Berlin zu den Allround-Könnern des Ensembles gehört und seine Wagnermeriten als letzter Wolfram auch in Bayreuth längst erworben hat. Mit Sarah Connolly schließlich steht die aktuelle Bayreuther Fricka als etwas helle, aber durchweg überzeugende Brangäne an der Seite von Isolde. Roman Sadnik (der selbst schon Tristan gesungen hat) ist ein vokal markanter Melot und Thomas Ebenstein ergänzt als Seemann und Hirt, Simon Stricker als Steuermann das Ensemble. Stephen Milling (in Bayreuth der neue Hagen) hat zwar die Tiefe, die es für Marke braucht, aber mit Rattles zumindest gefühlten Ausbremsversuchen seine Probleme. Der Sog einer eigenen Leidensgeschichte gelingt ihm diesmal jedenfalls nicht, zumal man in den Details der Personenführung manchmal den Eindruck hat, dass er (oder der Regisseur) nicht so ganz genau wissen oder wissen wollen, was er eigentlich singt.

Bei den Regisseuren geht Mölich-Zebhauser mit Blick auf seine Kundschaft, die Sponsoren, die internationalen Koproduktionspartner und die eigenen Vorlieben eher auf Nummer Sicher. Der aktuelle Tristan wird denn auch in die koproduzierenden Häusern in New York (MET), Warschau (Teatr Wielki) und Peking (China National Centre for the Performing Art) weiterreisen. Da verwunderte es nicht, dass Mölich-Zebhauser jetzt Dieter Dorn als Regisseur für die Neuproduktion des Jahres 2019 ankündigte.

Wagners Ausnahmewerk beginnt beim polnischen Regisseur (und künstlerischen Direktor des Warschauer Thatr Wielki) Mariusz Treliński mit einer Art Radarbild, das sich zu jedem Aktbeginn aufbaut. Es folgen projizierte Bilder eines modernen Kriegsschiffes in stürmischer See. Eine geräumige Kabine mit Panoramablick aufs Wasser für Isolde und Brangäne. Die mit Elektronik vollgestopfte Kommandobrücke in der Höhe. An der Seite ein nüchtern verwinkelter Treppenaufgang. Im Unterdeck ein düsterer Raum. Hier schießt Tristan einem Gefesselten in den Kopf (gerade als von Isoldes Ex Morold die Rede ist). Das ist eine von den Illustrationen, die der Regisseur und sein Bühnenbildner Boris Kudlička hinzufügen. Am schönsten gelingt das in Tristans fieberndem Lebensrückblick, wenn der sich aus der klinischen Sterilität seines Krankenlagers in eine bescheidene Behausung der Kindheit zurückdenkt. Das fügt sich zu einem Bild, das an Böcklins berühmte Toteninsel erinnert. Das ist mit mehr Wagner-Rückbezügen (bis zu Chereaus Ring) aufgeladen, als möglicherweise beabsichtigt. 

Die bewusst eingesetzten Projektionen hingegen setzten vor allem auf den wabernden Effekt, den eine wogende See, flügelschwingende Möwen, ziehende Wolken, nebelgefüllte Täler oder der Blick in die unendlichen Weiten des Alls eben so haben (Video: Bartek Macias). 

Das beständige Changieren zwischen angedeutetem Realismus, bebilderter Erinnerung und dem bewussten Ausbrechen ins Assoziative sorgt für die Belebung der Szene, ist aber auch ein Problem der Inszenierung, weil es nur im ersten Aufzug eine Beziehung zur auflodernden Leidenschaft eingeht, die die Wirkung insgesamt steigert. Nimmt man da noch gerne hin, wenn Isolde Tristan zum Eintreten auffordert, gleichzeitig aber eine Etage nach unten zu ihm geht (und auch Brangäne ahnungssicher, genau im richtigen Moment mit dem Trank dort auftaucht), so fragt man sich im zweiten Teil dann schon, wieso die Scheinwerfer gerade in dem Moment aufleuchten, wenn die warnende Fackel gelöscht werden soll. Solche wohl bewusst antilogischen Momente, sorgen immerhin für Bewegung auf der Bühne. Wo manchmal fast schon zu viel los ist. 

Im zweiten Akt treffen sich Tristan und Isolde in der Höhe (die Kommandobrücke als Aussichtspunkt auf die Polarlichter und ins All; man will halt weg bzw. gar nicht in der Welt ankommen) und schreitet dann beim „Löse von der Welt mich los“ die mit Minitischchen und Sesseln gefüllte düstere Schiffs-Messe in voller Größe aus. Der Inflagranti-Eklat mit dem diese extra-safe-Liebesnacht endet wird als ein seltsam ritualisierter Angriff blasierter Offiziere auf einen der Ihren zelebriert, zu der ein eher wütender als erschütterter Altkapitän Marke eine Standpauke hält. Mit Tristans halbherzigem Selbstmordversuch als gewollt wirkenden Clou. 

Was hier zu viel des Guten ist, ist dann vor Markes letztem Auftritt zu wenig. Da bleibt nämlich Kurwenals letzter Kampf vor der geschlossenen Tür des Krankenlagers mit der Aura einer Pathologie und findet nur als Imagination Isoldes, die sich die Pulsadern aufgeschnitten hat, statt. Ganz dicke kommt es dann beim Liebestod. Da sehen wir gleichsam aus der Perspektive der in höchster Lust ertrinkenden und versinkenden Isolde von unten die oben wogende Wasseroberfläche. Mehr kann man der Wirkung dieses von Wagner so genial platzierten Schlussgesangs und der Imaginationskraft seiner Interpretin gar nicht misstrauen. So gab es denn auch etliche lautstarke Buhs für das Regieteam, während alle anderen gefeiert wurden.

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