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Bremer Blaubart-Doppel: Barbara Buffy und Steffi Lehmann in Franz Hummels Oper. Foto: Jörg Landsberg
Bremer Blaubart-Doppel: Barbara Buffy und Steffi Lehmann in Franz Hummels Oper. Foto: Jörg Landsberg
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Bedrückend und berückend: „Blaubart“ in Bremen – Opern von Béla Bartók und Franz Hummel

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Das Thema Blaubart ist bedauerlicherweise aktuell: Ein Mann sperrt in seinem Keller junge Frauen weg oder ermordet sie dort, bis ihm das Handwerk gelegt wird. Die Fälle Dutroux, Kampusch und Fritzl haben ein altes Problem überregional aufs Neue ins Bewusstsein gerufen. Gemeinsame Quelle aller literarisch berühmt gewordenen Blaubart-Gestalten ist ein zumindest mittelaltes Märchen, das 1697 mit Charles Perraults „Contes de ma mère l'Oye“ in die Welt kam.

Es handelt vom reichen, ansehnlichen, doch schon etwas gealterten König Barbe-Bleue, der sich noch einmal eine junge Frau nimmt, mit der aber ebenso wenig zurechtkommt wie mit deren Vorgängerinnen. Die Fabel zielt, was jedes Kind begreift, auf einen möglichen und wahrscheinlichen Grundkonflikt zwischen dem gewaltbereiten verschlossenen Mann und der weiblichen Neugierde. Tür und Schlüssel, ggf. blutig, sind hoch symbolische Schlüsselmotive.

Bartók und Hummel

Unter den verschiedenen künstlerischen Veredelungen des Blaubart-Stoffs gehört die 1910/11 entstandene von Béla Balázs und Béla Bartók inzwischen zu den bekanntesten. Zwar fand sich nach der verspäteten Uraufführung (Budapest 1918) ein halbes Jahrhundert lang nur wenig Interesse an diesem Werk des „Durchbruchs“. Doch änderte sich dies mit der flächendeckenden Ausbreitung der Psychoanalyse in den Jahren nach 1970. Von da an entwickelten abstrahierende „Blaubart“-Inszenierungen ihr bemerkenswertes Eigenleben – meist in der Kombination mit der auch auf einen Kern der Entzweiungen von Frau und Mann zielenden „Erwartung“ von Arnold Schönberg.

Die Thematik erhielt einen weiter in Richtung Seelenerkundung sich vortastenden Kommentar mit einem Tanzstück von Franz Hummel, das 1984 am TAT in Frankfurt uraufgeführt, damals von Rosamund Gilmore choreographiert wurde. Dieser „Blaubart“, der sich unmittelbar auf Sigmund Freud bezog, wurde inzwischen orchestral nachgerüstet und nun zusammen mit dem (auf deutsch gesungenen) Bartókschen im Bremer Theater am Goetheplatz von Gilmore neu inszeniert – in nahe liegender Weise unter mancherlei Referenzen auf jene 80er Jahre, in die die Beschäftigung der Regisseurin mit dem Sujet und der geschärften Musik zu ihm zurückreichen.

Vorab sekundierte eine wissenschaftliche Tagung der Universität Bremen der Doppelpremiere. Das Symposium kümmerte sich um die Stoffgeschichte bis hin zur neueren Blaubart-Literatur seit 1980 ebenso wie um den Niederschlag des bösen alten Knaben in der Bildenden Kunst (v.a. des 19. Jahrhunderts) sowie um verschiedene um seinetwillen ins Leben gerufenen Opern und deren Aufführungsgeschichte – um André-Erneste-Modest Gretrys Schreckens- und Rettungsoper von 1789, um Offenbachs überdrehte gesellschaftskritische Sexkomödie von 1866 und die licht-symbolistische „Ariane et Barbe-Bleue“ von Paul Dukas (1907). Die Tagungsleiterin Panja Mücke sorgte mit ihrer Exegese der psychoanalysekritischen Komponenten von Franz Hummels Musiktheater für einen Brückenschlag zur Praxis.

Die jüngste der Blaubart-Opern stützt sich auf ein von Sigmund Freud veröffentlichtes „Bruchstück einer Hysterien-Analyse“. Das Libretto von Susan Oswell reduzierte den Arztbericht zum Fall einer jungen Frau, reicherte ihn um Lyrik von Georg Trakl an sowie einige Segmente aus dessen „Blaubart“-Fragment – und pointierte die Gemengelage zu einer dreifachen Missbrauchsgeschichte. Gilmores Inszenierung hinter einem auf die Zeit des ersten Weltkriegs verweisenden Stacheldrahtverhau und gruppiert um eine in einer Wasserlache stehende riesenbreite Couch den offensichtlich zum Familienkontext gehörenden Vergewaltiger K., Doras gleichfalls schwarzen Vater und mutmaßlichen Erstnutzer sowie den grauen Sigmund. Der missbraucht als Dritter die junge Frau – auf seine Weise.

Den Nötigern und Beobachtern stellte der Ausstatter Carl Friedrich Oberle Tennisschiedsrichtersitze zu Verfügung. Dora, so ist dann zu sehen, lässt sich von den Männern nicht unterkriegen. Sehr deutlich wurde ihr gesundes Emanzipationsstreben in Gilmores Inszenierung: sie beendet die Therapie bei Sigmund durch eine körperliche Auseinandersetzung, nimmt sich die von Judit zurückgelassenen weißen Lilien zur Brust und schreitet hinaus – vermutlich ins Freie.

Symbole und Klänge

Überhaupt wurden die beiden Teile des Abends mannigfaltig durch Symbole und Gesten verknüpft bzw. konterkariert. Die über der Versuchsanordnung schwebenden sieben Türen und die hochsymbolische Röhre gestalteten auch den ansonsten leeren Raum der ersten Halbzeit für Bartóks „Blaubart“. Dieser Einakter erschien ganz säuberlich und all seiner Anbindung an die mittelalterliche Feudalgesellschaft in Osteuropa entkleidet. Schöngeschliffen durch präzise Gesten zeigte Gilmore nichts als den Beziehungs-Dialog – ganz in der abstrahierenden Tradition, die seit Klaus Michael Grübers Frankfurter Inszenierung von 1974 modellhaft zum Vorbild und von Herbert Wernicke 1988 kontrapunktiert wurde. Gilmore pflegt Historismus der Moderne.

Der Bassist George Stevens und die Mezzosopranistin Nadja Stefanoff gaben das Paar, das es miteinander probieren will und doch nicht zusammenkommt, weil der Mann die letzten dunklen Kammern seines Herzens der weiblichen Neugierde nicht öffnen möchte: er, der Machtmensch im weißen Hochzeitsfrack, mit einer durchaus geschmeidig-gewinnenden, durchweg sonoren Stimme – sie im Brautkleid mit einem ebenso blitzsauberen Sopran, der einerseits die Liebesbekundungen warm erstrahlen lässt, in den Momenten der Befragung aber durchaus Strenge, ja Impertinenz annimmt. Nicht minder glücklich erweis sich die Besetzung der Partie Doras mit der eigentlich gar nicht behandlungsbedürftig, eher nassforsch görenhaft wirkenden Steffi Lehmann. Ihr ist auch in Zukunft noch so einiges zuzutrauen – beim Vorzeigen des Missbehagens in der Kultur und der Darstellung entschlossener Selbstverwirklichung. Beachtlich ist, wie sie mit den Höhen der auf Marienchoralzitate gestützten Melodien Trakl-Zitate agiert und deren Untiefen durch schlichten Schöngesang auffängt („ein Herz so rot“ oder „in süßen Qualen brennt der Schoß“).

Die Bremer Philharmoniker trafen, höchst konzentriert angeleitet von Markus Poschner, den streichergestützten gedämpften Legendenton Bartóks ebenso gut wie sie die Härten und das grelle Strahlen der Enthüllungsmusik, mit der sich das persönliche Desaster von Blaubart und Judit herausprozessiert. Nicht minder kompetent absolvierte das Orchester die filigranen, von vierteltönigen Passagen durchsetzten Streicherpartien der Hummelschen Partitur, die sich dem Ende zu – gestützt auf eingeschobene Lyrik von Franz Trakl – denkwürdig zum Schönklang hin abmildert. Die Kontrastreichen Tonsätze wurden mit hoher Präzision ausgeführt und so insgesamt überzeugende, ja: berückende Klangereignisse geboten.

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