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Berühmt und berüchtigt - Regisseur Hans Neuenfels wird 70

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Hans Neuenfels kennt es nicht anders: Wo immer er eine Opernpremiere auf die Bühne bringt, gibt es anschließend Buhrufe, heftige Debatten, aber auch Lobeshymen und Bewunderung. Seit seinem Debüt mit Giuseppe Verdis «Troubadour» 1974 hat er mehr als 20 Mal Regie geführt in den großen deutschen Opernhäusern, in Wien und in Basel und gilt bis heute als Exzentriker des Gegenwartstheaters, als heiß geliebter Revoluzzer und Anarchist.

Oft sind es seine Inszenierungen, die als «Opern-Coup des Jahres» im Gedächtnis bleiben und inzwischen auch mit Auszeichnungen überhäuft werden. Neben seinen Opernengagements kehrt Neuenfels aber auch immer wieder an das Theater zurück und er schreibt Bücher. Am Dienstag (31. Mai) wird er 70 Jahre alt und er hat sich vorgenommen, auf jeden Fall neugierig zu bleiben.

Neuenfels ist der Mann auf der Opernbühne, dessen Skandale längst Theatergeschichte geschrieben haben: So zum Beispiel seine legendäre «Aida»-Inszenierung in Frankfurt am Main von 1980. Da ist die Titelheldin keineswegs in dekorative Gewänder gehüllt, sondern steht als Putzfrau auf der Bühne. Für die Gefangenen im Triumphzug werden Hühnerbeine aus den Rängen auf die Bühne geworfen. Große Empörung beim Publikum, eine Aufführung, über deren Radikalität, mit der er die Sklavin Aida als Putzfrau zeigt, man aber bis heute spricht. Im vergangenen Jahr, mit 69, sorgte er als Debütant auf dem Grünen Hügel in Bayreuth mit seiner «Lohengrin»-Premiere wieder für reichlich Gesprächsstoff in den Pausen. Dank Neuenfels sieht das Publikum jetzt so manche Oper anders als früher.

Assistent von Max Ernst
Geboren wurde Neuenfels 1941 in Krefeld. Er studierte Schauspiel und Regie am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, wo er auch seine spätere Frau, die österreichische Schauspielerin Elisabeth Trissenaar, kennenlernte. Mit ihr ist er bis heute verheiratet und auch künstlerisch sind die beiden das Vorzeige-Paar des Theater- und Opernbetriebes. Er lernte den Surrealisten Max Ernst (1891-1976) kennen, der ihn nach eigenen Angaben tief beeindrucke. Neuenfels wurde dessen Assistent und lebte mit ihm in Paris.

Mit 24 begann Neuenfels, in Wien am Theater am Naschmarkt zu inszenieren, 1965 wurde er Oberspielleiter und Chefdramaturg in Trier. Hier folgte Skandal auf Skandal, seine Bühnenhappenings provozierten Publikum und Intendant gleichermaßen und so wurde er bereits 1966 wieder gefeuert. Neuenfels ging nach Krefeld, inszenierte dort Peter Handkes legendäre «Publikumsbeschimpfung» und arbeitete fortan als Gastregisseur an verschiedenen Häusern. Mit 28 Jahren hatte er bereits 30 spektakuläre, heftig umstrittene Stücke auf die Bühne gebracht und eine feste Gruppe von Schauspielern wie Gottfried John, Ulrich Wildgruber und Elisabeth Trissenaar um sich gebildet.

Seine Karriere als Opernregisseur ab 1974 wurde von ebenso vielen Skandalen wie Auszeichnungen begleitet. In Berlin, Frankfurt und Stuttgart gelang ihm zum Beispiel mit der Verdis Widerstandsoper «Nabucco», Richard Wagners «Meistersingern von Nürnberg» und Bernd Alois Zimmermanns «Soldaten» wegweisende Interpretationen der Stücke. Er wolle das Geschehen auf der Bühne nicht deckungsgleich machen mit der Musik, sondern den gesellschaftlichen und historischen Hintergrund zeigen und bis in unsere Gegenwart verlängern, erklärte Neuenfels 1982 in einem «Spiegel»-Interview seinen Regie-Idee.

1986 übernahm Neuenfels die Intendanz der Freien Volksbühne Berlin. Es folgten dort legendäre Inszenierungen wie die siebenstündige Doppelpremiere von «Elektra» und «Gerettet». Doch sein Versuch, dieses Theater mit einem jungen Ensemble und einem avantgardistischen Spielplan zum kulturellen Mittelpunkt Berlins zu machen, scheiterte. Ein defizitärerer Haushalt und schwindende Besucherzahlen führten dazu, dass der Senat seinen finanziellen Forderungen nicht erfüllte. Er verließ das Haus 1990. In den folgenden Jahren wurden seine kreativen Sprechtheater- und bilderstürmenden Operninszenierungen von Publikum und Kritikern immer mehr geschätzt und so arbeitete er in den 90er Jahren als Gastregisseur vor allem in Wien, München, Stuttgart und Berlin, ab 2000 verstärkt als Opernregisseur.

Eklat wegen Mohammed
Im September 2006 führte die geplante Wiederaufnahme seiner «Idomeneo»-Inszenierung von 2003 an der Deutsche Oper Berlin zu einem Eklat: Im Epilog der Inszenierung gibt es eine Szene, in der Idomeneo die abgeschlagenen Köpfe von Poseidon, Christus, Mohammed und Buddha aus einem Laken holt. Nach einer Warnung des Landeskriminalamtes wegen möglicher islamistischer Proteste setzte Intendantin Kirsten Harms die Aufführung ab. Nach heftigen öffentlichen Protesten und einer Entwarnung des LKA wurde die Aufführung der Oper jedoch wieder gestattet.

Ans Aufhören denkt der nun bald 70-Jährige offenbar noch nicht. Jetzt will er erst einmal eine vorläufige Bilanz seines Lebens ziehen: «Das Bastardbuch» sollte eigentlich zu seinem Geburtstag erscheinen, wurde aber auf August verschoben. Und da die Bayreuther Festspiele für 2013 noch immer keinen Regisseur für die den «Ring des Nibelungen» gefunden haben, scheint es nicht ganz ausgeschlossen, dass die beiden von ihm gelobten Festspielleiterinnen ihn doch noch zu einem weiteren Bayreuth-Auftritt überreden könnten: «Abgeneigt wäre ich nicht», hatte er der Zeitung «Die Welt» 2010, nach der Premiere seines «Lohengrin», verraten.

 

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