Bis die Schraube festsitzt: Benjamin Brittens „The Turn of the Screw“ an der Deutschen Oper am Rhein
Wie sollte dies auch gehen bei diesem verrätselten Stoff, in dem eine junge Gouvernante zwei elternlose Kinder in einem englischen Landhaus großziehen soll, bald von Visionen heimgesucht wird und am Ende den Jungen, den sie vor den Geistern des Hauses schützen will, in ihren Armen erstickt? – In der Libretto-Fassung von Myfanwy Piper hat Benjamin Britten die Novelle „The Turn Of The Screw“ des amerikanischen Autors Henry James zur Oper umgeformt und 1954 im Teatro La Fenice in Venedig mit Peter Pears als Obergeist Peter Quint zur Uraufführung gebracht. Wie man den Titel genau übersetzen soll, ist bis heute nicht recht klar geworden. Manche versuchen es wörtlich, andere umschreiben: Die Unschuldsengel. Das Geheimnis von Bly. Das Durchdrehen der Schraube. Die Drehung der Schraube.
Vorlage Film
Zu gleicher Zeit als Benjamin Britten „The Turn Of The Screw“ in seinen Kompositions-Schraubstock spannt, hatte ein anderer Meister seines Fachs, Alfred Hitchcock, zwar schon Etliches abgedreht, aber noch nicht sein verstörendes Spätwerk, mit dem wie sich jetzt in Düsseldorf zeigte auch Immo Karaman großgeworden ist: Bereits der Auftritt von Sylvia Hamasi in der Rolle der young Governess – eine Wiedergängerin von Tippi Hedren in „The Birds“. Oder das Interieur Zimmer, Schummerlicht, Tür inklusive Treppe ins Nirgendwo (Bühne: Kaspar Zwimpfer) – das unheimliche Haus aus „Psycho“. Und noch die Schattenwürfe der Geister in diesem verspukten Landhaus (Licht-Design: Michael Röger), das sind ja bereits die Schatten, die schon Friedrich Wilhelm Murnau seinen Nosferatu hat werfen lassen.
Diese Technik der Anspielung, die bis in die Schockmomente der Verzweiflung hineinreicht, signalisiert Karaman mit verlässlichstem Symbolismus, wenn seine zum Äußersten entschlossene Governess zum Schlachtermesser greift. Da wissen wir, dass jetzt die Duschszene kommt, weswegen Karaman darauf wie auf sonstiges Pressluftgehämmerte generös verzichten kann. Er zeigt uns nur die Instrumente. Das reicht. Regie als Kunst der Andeutung, der Anspielung. Sobald die Zeichen stimmen, kann er sich darauf verlassen, dass wir es sind, die die Bilder zu Ende malen. Mit Ausnahme einer vervierfach gemoppelten Miss Jessel, die als Schlangen-Brut ins verfallende Zimmer kriecht, ist diese Regiearbeit ohne Fehler.
Was in Düsseldorf schon für schier grenzenlosen Jubel reicht. Zusammen mit seinem musikalischen Spielleiter Wen-Pin Chien, der in dieser Produktion einem famosen Kammerensemble der Düsseldorfer Symphoniker vorsteht, wird Karaman drei Mal vor den Vorhang gerufen. Honoriert damit die Präzision, das konstante Tempo einer Regie, die Opern-Kunst als Präzisions-Handwerk versteht.
Erkönig-Kind
Und tatsächlich bohrt sich mit jedem Senken und Heben des Deckers der Schrauber tiefer hinein in dieses Haus, das sich uns öffnet wie der Chirurg einen Körper aufmacht, um darin nach dem Kern der Krankheit zu suchen. Nur, was er findet, erweist sich als nicht mehr operabel. Jenseits der Treppe, die zur Eschertreppe werden wird, dort, wohin uns Karaman als gelehriger Hitchcock-Schüler nicht schauen lässt, verbirgt sich das Grauen, das Geheimnis. Eins, dem eine großartig agierende Sylvia Hamvasi in der Rolle der Governess nachspüren muss. Mit der Klarheit ihrer formidablen Sopranstimme die wie wenn sich Unschuld der Schuld nähert mit dem Dunklen Bekanntschaft macht. Etwa mit der undurchsichtigen und auch sonst verschlampten Haushälterin Mrs Grose (Marta Marquez), die mehr weiß als sie sagt. Und auch mit den beiden Kindern Miles und Flora, umwerfend gesungen und gespielt von Eleanor Burke und Harry Oakes, stimmt ja etwas nicht.
Bis zum Schluss bleibt unklar wie sie eigentlich mit den Hausgeistern in Verbindung stehen. Mit dem schwarzen Engel Miss Jessel (superb Anke Krabbe) und mit Peter Quint, dargestellt von Ulrich Kupas auf und von einem prächtig intonierendem Corby Welch hinter der Bühne. Letzterer sendet von dort immer wieder seine beschwörenden Rufe an Miles. Am Schluss, als sich das Zimmer in einen nachtschwarzen Horizont geöffnet hat, mit loderndem Opferfeuer, mit einer nun auf dem Kopf stehenden Stiege – macht Miles seinem gequältem Herzen Luft und schreit den Namen heraus. Der Bann ist gebrochen, doch der Junge, wie schon das Erlkönig-Kind in den Armen des Vaters, tot in den Armen der Governess. Vorhang.
Die Schraube sitzt fest.
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