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Andreas Macco (Giovanni Falcone). Foto: Gianmarco Bresadola
Andreas Macco (Giovanni Falcone). Foto: Gianmarco Bresadola
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Deutsche Erstaufführung: Neufassung von Nicola Sanis „NeIl tempo sospeso del volo“ an der Staatsoper Berlin

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Das Schwierigste für einen lebenden Komponisten ist es nicht, eine Uraufführung zu bekommen, sondern nachgespielt zu werden. Der 1961 in Ferrara geborene Nicola Sani, unter anderem Schüler von Stockhausen, brachte 2007 in Reggio Emilia sein siebtes Bühnenwerk „NeIl tempo sospeso del volo“ zur Uraufführung. Zehn Jahre später, kurz vor dem 25. Jahrestag der Ermordung Falcones, holte es Jürgen Flimm als zweite Bühne an die Staatsoper, die es unter dem Titel „Falcone“ als deutsche Erstaufführung in deutscher Übersetzung präsentiert.

Sanis Polit-Oper in den Fußstapfen von Luigi Nono erzählt über den erfolgreichen Mafiajäger Giovanni Falcone, der nach seiner Ermordung im Jahre 1992 zu einem heutigen Helden geworden ist. Das Libretto von Franco Ripa di Menea collagiert während der „angehaltenen Zeit des Fluges“ (so der übersetzte Originaltitel) Schnipsel aus Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart, biografische Flashbacks Falcones, gemischt mit Detail-Berichten über das diesem Fluge folgende Attentat.

Das dramaturgische Mosaik á la James Joyce hat der Komponist zu einem stringenten, spannenden Klangbild verdichtet, mit einer aus der Struktur der Partitur erwachsenden Elektronik, welche deren Elemente eigenständig weiterspinnt. Für die Berliner Produktion hat Sani sein Bühnenwerk verschlankt: die Neufassung reduziert den unsichtbaren Frauenchor auf ein Quartett (Caroline Seibt, Isabelle Rejall, Friederike Harmsen und Nadia Steinhardt) und das ursprünglich 18-köpfige Kammerorchester auf 13 Instrumentalisten.

Die Stimmen des Damenquartetts werden aus dem Treppenhaus in den männlich dominierten Spielraum der Werkstatt übertragen; durch Verstärkung werden sie ebenso zu sphärischen Klängen erhoben, wie auch einzelne, herausgehobene Instrumente des Orchesters, etwa die E-Gitarre.

Bereits wenn der Zuschauer die Werkstatt der Staatsoper betritt, erfüllt diese ein düsteres Klangbild, das entfernt an die Flugzeugreise des Originaltitels assoziiert. Dabei fiel, stärker als sonst bei der von drei Seiten mit Sitzpodesterie umgebenen Spielfläche, vor Beginn der Aktionen in der freien Platzwahl die Fluktuation der Besucher auf. Der beste Platz ist zweifellos jener, der den Blick auf den Klangkörper der Mitglieder von Staatsorchester und Staatsakademie und auf den hier ingeniös die Partitur umsetzenden Dirigenten ermöglicht: auf David Robert Coleman, der mit emphatischer Körperspannung und stumm mit den Solisten mitatmend und -singend, den gestalterischen Höhepunkt dieser Produktion bietet.

Die Regie von Benjamin Korn ist erfrischend unprätentiös, die Ausstattung von Annika Haller beschränkt sich auf einen Wirtshaustisch und eine Kleiderstange für die sichtbaren Umzüge und Maskenwechsel der auf vier Darsteller beschränkten Umgebung des Mafia-Untersuchungsrichters in dessen Kampf gegen das organisierte Verbrechen der sizilianischen „Cosa Nostra“. Und immer wieder wird ein ausrangierter Doppelsitz eines Fliegers aus dem späten 20. Jahrhundert herein- und herausgezogen. In der nahtlosen Verzahnung von 27 inkohärenten Szenen sorgen unterschiedliche Lichträume (Georgi Krüger) für Zuspitzungen und Überraschungen, etwa wenn farbige Lichterketten unter den Podesten den Raum kurzzeitig zu einer Disco machen.

Die Bassisten Martin Gerke und Milcho Borovinov schlüpfen in eine Reihe unterschiedlicher Figuren zwischen Richter, Kronzeuge, Mafioso und Politiker. Mit zur Darstellerriege gehören zwei Schauspieler, Klaus Christian Schreiber und – wieder einmal überaus köstlich – Udo Samel, der hier melodramatisch Texte deklamiert, aber auch in eine Parodie auf den gregorianischen Choral mit einstimmt.

Einblendungen aus der Tagesschau des Deutschen Fernsehens rücken die für ein deutsches Publikum weniger stark im Gedächtnis verhafteten Ereignisse des Maxiprocesso ins Bild. Ungewöhnlich auch, dass beim Rauchen in dieser Inszenierung keine Elektronik zum Einsatz kommt.

Bassbariton Andreas Macco gestaltet den Falcone als eine Persönlichkeit mit Charisma und Selbstüberzeugung; im Flugzeug spielt er einerseits mit dem Gummientchen seines Sohnes, andererseits bringt er durch gemeinsame Kindheitserfahrungen an starke Väter den Kronzeugen gezielt zu dessen entscheidender Aussage.

Ein dichter, rundweg faszinierender Musiktheater-Abend.

Nach knapp 70 Minuten gilt der einhellige Applaus des Premierenpublikums allen Beteiligten, inklusive dem in Berlin anwesenden Komponisten.

  • Weitere Aufführungen: 30. April 4., 6., 7., 12., 13. Mai 2017.

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