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Die Menschen ein Alp-Traum! – Die Oper Halle mit Aribert Reimanns „Ein Traumspiel“. © Bühnen Halle, Foto: Federico Pedrotti
Die Menschen ein Alp-Traum! – Die Oper Halle mit Aribert Reimanns „Ein Traumspiel“. © Bühnen Halle, Foto: Federico Pedrotti
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Die Menschen ein Alp-Traum! – Die Oper Halle mit Aribert Reimanns „Ein Traumspiel“

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Eine gewisse tollkühne Zuversicht in die Neugier seines Publikums kann man dem neuen Intendanten der Oper in Halle Walter Sutcliffe nicht absprechen. Mit Benjamin Brittens „Mittsommernachtstraum“ in die Spielzeit zu starten und dann als letzte Premiere vor den Händelfestspielen (zu denen auch der Beitrag der Opern in der Geburtsstadt des Barockmeisters bislang jedenfalls schon immer ein Selbstläufer waren) mit Aribert Reimanns „Ein Traumspiel“ das coronagenervte Publikum ins Theater zurückzulocken, ist schon recht optimistisch.

Besonders wenn man sich beim Marketing so in Zurückhaltung übt wie in Halle. Die Premiere jedenfalls war nur mäßig besucht und ob sich das ändert, ist fraglich. Obwohl – abgesehen vom Publikumszuspruch – die „Tristan und Isolde“-Inszenierung von Jochen Biganzoli und Patrick Seiberts Inszenierung von Paul Abrahams Operette „Viktoria und ihr Husar“ szenisch und musikalisch spektakulär gelungen waren und Ignacy Jan Paderewskis „Manru“ ein echter Ausgrabungs-Coup ist.

Aribert Reimanns 1963/64 mit 27 Jahren komponierte und 1965 uraufgeführte Oper „Ein Traumspiel“ ist nicht so theatertauglich wie sein „Lear“ oder auch „Medea“. Dafür liefert sie jede Menge Steilvorlagen für einen bilderstarkten Personaleinsatz. Schon, dass eine Göttertochter aus himmlischen Gefilden auf die Erde herabsteigt, nimmt ein Videokünstler (in diesem Fall Bibi Abel) gerne für ein Auftakt-Schwelgen im Sternenfirmament. Anke Berndt ist als jene Tochter des Gottes Indra freilich über weite Strecken drauf festgelegt, sich so stilisiert zu bewegen als würde sie (zumindest innerlich) Schweben. Sie bewältigt auch diesen Teil ihres Göttertochtertrips fabelhaft – die Partie, die Reimann für diese zentrale Rolle geschrieben hat, scheint außerdem genau in ihre Kehle komponiert zu sein. Ein vokaler Glücksfall dieser Inszenierung!

Das Libretto für die seltsam surreal, alptraumartig mäandernde Folge von dreizehn Bildern hat Carla Henius aus August Strindbergs (1849-1912) gleichnamigem 1902 uraufgeführten Schauspiel (in der deutschen Übertragung von Peter Weiss) destilliert.

Im Graben ist die Musik bei Michael Wendeberg in den besten Händen. Was er mit der Staatskapelle aus der Partitur macht, das ist von bestechend klarer Transparenz. Dazu kommt ein vokal passgenaues, um zehn Gäste erweitertes Protagonistenensemble inklusive des von Johannes Köhler einstudierten Opernchores.

Ein echter Geniestreich ist vor allem das Bühnenbild von Ausstatter Kaspar Glarner. Es ist ein auf dem Kopf stehender Salon mit einer nach innen gestülpten Ecke. Mit großgemusterten Ornamenttapeten. Einem Chaise Lounge, das ebenso kopfüber an der Decke klebt wie ein kleiner Tisch mit zwei Lehnstühlen. Auf dem Bühnenboden leuchten dann entsprechend die Deckenlampen. Die beiden Wandsegmente, die wie ein Dreieck in den Raum ragen, können zurückgeschoben werden und geben den Blick in eine andere Welt mit phantastischen Videos frei. Ebenso die beiden riesigen Flügeltüren – auch sie eröffnen Blicke in Räume bzw. andere Sphären. Die Bühne und die dazu passende historische (Strindbergs nicht Reimanns Zeit entsprechende) Kostümierung des Personals entfalten ihren ganz eigenen surrealen Reiz, sind ein glaubwürdiger Ort für ein Traumspiel. Dass genauso gut ein Alptraumspiel sein könnte. Denn was die Göttertochter bei ihrer Inspektionsriese zu den Schlachtfeldern der menschlichen Existenz so zu sehen bekommt, ist mehr ein Besuch bei durchweg vor allem scheiternden Existenzen. Da gibt es den gefangenen Offizier Alfred (Michael J. Scott), der gar nicht befreit werden will. Da sind dessen alte, im Dauerstreit einander verbundene Eltern (Gerd Vogel und Kristin Ebner kriegen sich wunderbar keifend in die Wolle). Vogel ist dann auch der spinnerte Plakatkleber, dessen Lebenstraum der Erwerb eines Keschers ist. Und Ebner jene Sängerin, deren Dauerverehrer dabei über die Jahre vergreist. Levent Bakırcı scheitert nicht nur bei seinem Versuch, als Jurist promoviert zu werden, er wird sogar verhöhnt. Dann geraten sich die Vertreter der Fakultäten so in die Wolle, als wären es die Juden in Strauss’ Salome. Dazu kommt eine Tür mit einem Herzchen, hinter der die Lösung der Welträtsel verborgen sein soll. Dazu: ein Ausflug an einen (videotechnisch eindrucksvoll gemachten) apokalyptischen Strand der Schande. Indras Tochter nimmt bei ihrer Reise durch die kleine und die große Welt zuweilen selbst die Rolle von Menschen-Frauen ein, betreibt sozusagen teilnehmende Beobachtung.

Als Regisseur fügt Keith Warner dem illustrierend ästhetischen und anschaulichen Bilderbogen keine eigene Dimension hinzu, die über pures Bestaunen hinausgeht. Dadurch wirkt der Abend auf die Dauer allzu sehr auf einem Erregungsniveau. Umso mehr, weil Reimanns artifizielle Musik zwar auch mit ihren typischen Intervallsprüngen besticht oder im Tutti des Orchesters ausbricht, aber alles in allem eben keine dramatische Berg- und Talfahrt ist.

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