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Der BR von innen gesehen. Spiegelbild seiner selbst. Foto: Hufner
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Die Vertreibung ins digitale Paradies – BR-Klassik droht erneut die Abschaltung seiner UKW-Frequenz

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[Vorabdruck aus der nmz, 2014/2] Bayern hat einige Alleinstellungsmerkmale. Etwa dass über 50 Prozent der Bevölkerung Anarchisten sind, die aber fast ausnahmslos CSU wählen (Herbert Achternbusch). Oder den FC Bayern München, einen Fußballclub, der nicht mehr verliert. Oder die Musikstadt München mit den Münchner Philharmonikern. Bayern hat drei Staatstheater, zwei Rundfunkorchester, einen Rundfunkchor und die international renommierte Neue-Musik-Konzertreihe musica viva. Mit dem BR hat es die viertgrößte öffentlich-rechtliche Landesrundfunkanstalt mit fünf UKW-Wellen sowie mit BR-Klassik den einzigen Klassiksender in der ARD. Diese Alleinstellung scheint derzeit höchst gefährdet.

Bayern 1 ist mit einer Reichweite von 22,8 Prozent meistgehört,  Bayern 3 folgt dicht mit 22,5 Prozent und bringt auch Werbeeinnahmen. Das Informationsradio B 5 aktuell liegt bei 5,9 Prozent (720.000 Hörer/Tag). Bei den Kulturprogrammen sieht es dagegen anders aus: Bayern 2 hat 4,7 Prozent Reichweite (560.000 Hörer/Tag) und BR-Klassik ist mit 1,8 Prozent, das sind 260.000 Zuhörer am Tag, das hörerschwächste Glied in dieser Kette (Quelle: ma 2013 Radio II). Laut bayerischem Rundfunkstaatsvertrag bekommt der BR  nur fünf UKW-Frequenzen, was mit Ideen kollidiert, den Jugendkanal „puls“ nicht nur digital, sondern auch via UKW zu senden.

Sollte Sie gerade das Gefühl beschleichen, diese Nachricht komme Ihnen bekannt vor, dann liegen Sie richtig. 2006 wurde das Thema schon einmal heiß diskutiert, kurz vor der Gründung des digitalen Jugendsenders „on3“ im Jahr 2007. Damals konnte jedenfalls mit Unterstützung des Rundfunkrates die Umstellung abgewendet werden. Jetzt denkt man in der Intendanz des BR wieder einmal darüber nach, BR-Klassik die UKW-Frequenz abzuschalten.

Dies jedenfalls bestätigt eine Pressemitteilung des Bayerischen Musikrates vom 24. Januar 2014, in der Thomas Goppel, Präsident des Bayerischen Musikrates, Bedenken aus den Reihen seiner Mitglieder aufgreift. „Die nach 2006 ein zweites Mal im BR kursierenden Überlegungen, BR-Klassik auf UKW einem neuen zu platzierenden Jugendkanal zu opfern, stoßen in der Musikwelt Bayerns auf heftige Widerrede. (…) Sichtlich ist es die Angst vor der weiteren Schelte des Rechnungshofes“, so Goppel, „die die BR-Administration zu hektischen Kosteneinsparungen antreibt. Dabei droht Qualität verloren zu gehen: Wer keinen führenden Klassiksender hat, braucht eben auch keine Spitzenklangkörper und weniger Sendezeit für erstklassige Laienpräsentationen in der Musik.“

Doch es ist sicher nicht allein der Rechnungshof, der Intendant Ulrich Wilhelm zu diesen Überlegungen zwingt. Wilhelm hat eine Vision: Bis 2020 will er den BR zu einer modernen trimedialen Anstalt umgebaut haben. Klassische Musik, genauer BR-Klassik, soll eine bedeutende Rolle innerhalb des Umbaus spielen. Mehr dazu findet  sich im Telemedienkonzept „BR-Klassik“ vom 29. November 2013. Darin heißt es: „Das Themenfeld Klassik stellt seit jeher eine Kernkompetenz des BR dar. Die Ausgestaltung des Themas durch drei ausgezeichnete Klangkörper, das reichhaltige Klassikangebot auf BR.de, Musikproduktionen, eine renommierte Hörfunkwelle und herausragende Fernsehsendungen erfordert in einer fast vollständig digitalisierten Medienwelt jedoch eine Neuinterpretation.“ BR-Klassik soll also trimedial werden und aus  einem neugestalteten journalistisch-thematischen Webangebot „BR-Klassik multimedial“ bestehen, einem video- und ereignisorientierten (Live-)Konzertangebot sowie aus Webseiten für die Klangkörper des BR und musica viva.
Die Tage der linearen Radio- und Fernsehnutzung sind gezählt. „BR hoch drei“ lautet die große Reform, die sich über eine Gesamtdauer von 25 Jahren erstrecken wird und die organisatorisch und inhaltlich das nachvollzieht, was Internet, Tablet und Smartphone vorgeben: Das Zusammenwachsen von Hörfunk, Fernsehen und Online. Bezogen auf das Thema Musik heißt das dann laut Telemedienkonzept, dass zukünftig nicht länger der lineare Radioanbieter BR-Klassik im Mittelpunkt stehen wird, sondern der themeninteressierte Nutzer.

Das mag alles gut sein, nein, es ist in seinen Möglichkeiten sogar höchst faszinierend. Nur – muss deshalb der Musikkanal auf UKW dem Jugendkanal weichen, obwohl es bei diesem ja in der Natur der Sache liegt, dass seine Nutzer „Digital Natives“ sind? BR-Pressesprecher Christian Nitsche sagte noch vor einem Jahr gegenüber der Tageszeitung taz: „BR-Klassik ist das einzige reine Klassikprogramm in Deutschland. Diese Alleinstellung und das breite Repertoire der BR-Klangkörper machen den Sender so wertvoll.“ Bis zum Redaktionsschluss hat Nitsche auf Anfrage der nmz diesen Satz nicht widerrufen, aber auch kein neues Statement zur Zukunft von BR-Klassik auf UKW abgegeben.  Zurzeit werden Höreranalysen durchgeführt, die zur Entscheidungsfindung beitragen sollen, vielleicht aber auch nur Legitimationszwecken dienen.

BR-Intendant Wilhelm kann mit dem Konzept für ein digitales BR-Klassik, das in engem Zusammenhang mit dem Telemedienkonzept „Weiterentwicklung der netzspezifischen Angebotsformen“ vom 5. Dezember 2013 zu sehen ist, als „der“ trimediale Kulturintendant in die Geschichte der ARD eingehen – wenn er nicht das Quotendenken vor den Kulturauftrag seines Senders stellt. Eine überstürzte Vertreibung von BR-Klassik aus dem Äther mit fatalen Folgen für die Bayerische Musikkultur könnte ihn zum Boudgoust des BR werden lassen. Das wünscht ihm keiner.

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