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„Get your ring on Route 66“: Frank Castorfs Bayreuther Rheingold-Inszenierung.  Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
„Get your ring on Route 66“: Frank Castorfs Bayreuther Rheingold-Inszenierung. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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Die von der Tankstelle: Frank Castorfs Inszenierung des „Rheingold“ bei den Bayreuther Festspielen

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Auch die Welt des „Ring“ ist global geworden. Frank Castorf, Chef der Volksbühne am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz, siedelt den Vorabend von Wagners Bühnenfestspiel an der Route 66 in den Vereinigen Staaten an. Im weiteren Verlauf der Neudeutung soll das Erdöl an die Stelle des Goldes treten. Aber auf davon ist in der „Rheingold“-Handlung noch wenig zu spüren. Spielte Wieland Wagner den „Ring“ auf der Scheibe, so ist es bei Castorf die Drehscheibe, auf der Bühnenbildner Aleksandar Denić ein Motel mit Tankstelle, Shop und Swimmingpool ansiedelt, das „Golden Motel“.

Die Kostüme der Brasilianerin Adriana Braga Peretzki, mit viel Paillettenstoffen, Nerz und Latex, machen deutlich, dass wir uns in den 70er-Jahren befinden. Wie so häufig in seinen Inszenierungen, setzt Castorf mehrere Live-Kameras ein. Die in rascher Schnittfolge (Andreas Deinert und Jens Crull) entstehenden Bilder von Personen in allen, auch dem Zuschauer direkt nicht sichtbaren Segmenten des Bühnenraums werden auf einen gigantischen, durchsichtigen LED-Screen über dem Dach des Motels projiziert. Ungeachtet ständiger Achsensprünge, sind diese Aspekte zumeist spannender als die Sicht auf die komplette Bühne. Bisweilen werden aber auch nur Fotos abgefilmt, vornehmlich von Proben (etwa daran ersichtlich, dass Fafner noch keinen Vollbart hat).

Die Rheintöchter hängen ihre Reizwäsche zum Trocknen auf einen Drehständer und grillen penisartige Würste. Ihr Neckspiel mit dem glatzköpfigen, zunächst unter der Decke eines Liegestuhls verborgenen Alberich, erfolgt auch kaum im Wasser. Alberich ist offensichtlich schwul. Er liebkost eine gelbe Spielzeugente, die er später im Bassin schwimmen lässt; dann schmiert er sich die Brust mit Senf ein, zieht schließlich eine Goldfolie aus dem Pool und legt sich diese um. Feuergott Loge blitzt davon schon mal einige Fotos, die er später dem Upper Class Chef Wotan, im rosa Smoking mit Goldkettchen, vorlegt.

Über den Verlust ihres Goldes sind die Rheintöchter offenbar wenig traurig, sie vergnügen sich an der Bar und dann im Motelbett, amüsieren sich über eigene Videos und machen später im Cabriolet eine Spritztour. Anfangs liegt Wotan mit seinen üppigen Frauen Fricka und Freia gemeinsam im Bett, aber der Dreier wird gestört durch die Ankündigung der Riesen. Freia packt ihren Koffer, sie will fliehen, aber auch die Waffengewalt von Donner und Froh verhindert nicht, dass die beiden schwarz gewandten Riesen mit Baseballschläger und Eisenstange im Verkaufsraum der Tankstelle randalieren und Freia dann kidnappen.

Wie Alberich zu seinem Reichtum an Goldbarren kam, den er in einem Wohnwagen hortet, bleibt unklar. Außer seinem Bruder Mime gibt es hier keine dienstbaren Nibelungen. Auf der Filmebene fließt auch Märchenhaftes ein (die Verwandlungen Alberichs in Schlange und Kröte) aber viele Szenen auf der Bühne sind extrem reduziert. So werden Alberich und Mime für ihre Szene an Masten gefesselt, an welchen sie spielunfähig sind, und bei seinem Fluch sitzt Alberich, wie auch die Adressaten seiner Wut, Wotan und Loge, gemütlich in den Liegestühlen des Motels an Amerikas alter Mother Road. Auf der Filmebene allerdings schlägt Castorf, wenn Alberich dabei vom erhofften Würger singt, den Bogen zu Hitchcocks „Psycho“.

Mime hisst eine Regenbogenfahne vor der Tankstelle, in deren Verkaufsraum dann auch prompt eine Gay Party steigt. Er entflieht mit einigen Goldbarren, andere landen im Bassin, wo sie an der Oberfläche schwimmen. Das Motelbett wird von den Riesen auf die Straße geworfen, Freia auf das Bretterrost gelegt und mit Barren zugedeckt. Erda kommt als Diva im Goldpaillettenkleid und weißem Nerz vorbei; Wotan geht ihr sofort an die Wäsche, küsst sie lange und leidenschaftlich.

Am Ende hat Donner seine zuvor schon als Hammer apostrophierte Pistole tatsächlich gegen einen langstieligen Hammer ausgetauscht, mit dem er auf dem Dach des Motels operiert, die Regenbogenfahne flattert im Wind und in einem vorproduzierten Film schwimmen die Rheintöchter in Zeitlupe lustig in unter Wasser, während ihre Anklage der Götter aus dem Off ertönt.

Der Abend lebt von der Kraft seiner Bilder – den räumlichen Erfindungen des Aleksandar Denić, wie von jenen auf dem Video Screen, und im Sinne eines Vorabends macht er durchaus Lust auf die Fortsetzung dieser Zeitreise im außerdeutschen Kulturkreis. Die Sängerdarsteller spielen engagiert, die weiblichen überzeugen stimmlich durch die Bank, die männlichen nur partiell. Martin Winkler als Alberich hat Aussetzer in seiner Partie, Wolfgang Koch als Wotan bleibt vorwiegend blass. Großartig hingegen Sorin Colibran als Fafner und Günther Groissböck als Fasolt. Prächtige Charakterbilder liefern Oleksandr Pushniak als Möchtergern-Cowboy Donner und Lothar Odinius als Froh.

Loge, der gerne mit einem Sturmfeuerzeug zündelt (was an der Tankstelle nicht ungefährlich ist) ist hier ein italienischer Einwanderer-Strizzi im roten Jackett; demgemäß gestaltet ihn Norbert Ernst vorwiegend mit Italianitá, was ihm beim Schlussapplaus auch einige Buhrufe einbringt. Großartig in Spiel und Gesang die auch optisch dem Sexappeal der Siebzigerjahre entsprechenden Rheintöchter von Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka van der Damerau, kaum zu übertreffen durch die stimmkräftigen Solistinnen Claudia Mahnke als Fricka, Elisabet Strid als Freia und die profunde Nadine Weissmann als Erda.

Bei derart optischer Dominanz und Nahaufnahme wird das musikalische Fundament leicht zweitrangig, aber Dirigent Kirill Petrenko zeigt sich im besten Sinne als ein Diener der szenischen Deutung – wie dies bereits Richard Wagner für Bayreuth vorschwebte. Nie zuvor klangen die 18 Ambosse so hell, mehr gedeutet als eine touristische Glockenspiel-Attraktion denn als Fließbandfabrikation von Goldprodukten. Während die Upper Class optisch auf dem Dach des Motels verbleibt, evoziert Petrenko den Einzug der Götter in Walhall enorm und schafft in den letzten Takten eine ungeahnte Steigerung – leider störte  ein Trompetenkickser die emphatische Des-Dur-Wirkung des Schlusses.

Sogleich nach dem Verklingen setzte ein Buh- und kontrastierender Bravosturm ein. Auch Rufe, wie „Castor raus!“ und Pfiffe waren zu hören, als klar wurde, dass sich das Regieteam nach dem Vorabend noch nicht dem Publikum stellen wollte. Und nach nur 25 Vorhängen war der Applaus vorbei.

Die nächsten Aufführungen: 10., 14. und 22. August 2013.

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