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Herbert Schramowski. Foto: Privat
Herbert Schramowski. Foto: Privat, Fred Hahn
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Ein Leben für die Musik - Zum Tode von Herbert Schramowski

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Generationen von Studenten unterrichtete er in Klavier, Partitur- und Stegreifspiel. Unter vor allem politisch komplizierten Bedingungen erweckte er die Improvisation zu neuem Leben und leistete Pionierarbeit bei deren Erforschung. Am 1. Juli ist Herbert Schramowski mit 93 Jahren nach langer, schwerer Krankheit in Leipzig gestorben.

Dankbar erinnere ich mich an die Klavier- und Partiturspielstunden während meines Musikwissenschaftsstudiums in Leipzig. Herbert Schramowski erschloss mir die Musik über Fachgrenzen hinaus. Von ihm erfuhr ich erstmals Fundiertes über Psychologie. Wir sprachen über Literatur, Bildende Künste und Naturphänomene und setzten sie in Improvisationen um. Oft ließ er mich teilhaben an Büchern, die er gerade las, und an Gedanken, die ihn beschäftigten.

Dabei bildete das Stegreifspiel immer wieder einen Ausgangspunkt für neue Erkundungen. Kaum eine Stunde verging, ohne dass wir improvisierten. Für manche Studenten war dies gewiss gewöhnungsbedürftig. Sie hatten bis dahin meist einen Unterricht erlebt, der sich überwiegend auf die Erarbeitung von komponierter Musik beschränkte. Doch wer sich auf die Anregungen einließ, lernte bei Herbert Schramowski Musik noch einmal neu zu begreifen und vor allem zu erleben.

1927 im oberschlesischen Eichendorffmühl geboren, arbeitete Herbert Schramowski nach dem Zweiten Weltkrieg, der ihn nachhaltig prägte, zunächst als Lehrer in Obercunnersdorf (Oberlausitz). Danach studierte er an der Leipziger Musikhochschule Tonsatz bei Johannes Weyrauch, Klavier bei Amadeus Webersinke und konzertantes Orgelspiel bei Georg Trexler. Von 1957 bis 2000 lehrte er an den Instituten für Musikpädagogik und Musikwissenschaft, zeitweise auch an der Musikhochschule in Leipzig.

Pionierarbeit leistete Herbert Schramowski, als er publizierend, referierend und unterrichtend die Improvisation, Grundlage jeden lebendigen Musizierens, wieder in den Blickpunkt rückte. So bieten seine Sammlungen „Schöpferisches Gestalten am Klavier“ (1977) und „Musikalischer Bilderbogen“ (1980) sowie weitere Lehr- und Studienwerke ein breites Spektrum an praktischen Impulsen. Nicht zuletzt war er selber ein grandioser Improvisator, bewandert in unterschiedlichsten Stilrichtungen und beseelt durch eine besondere Phantasiekraft.

Mit seinen beiden akademischen Qualifikationsarbeiten schuf er ein umfassendes wissenschaftliches Fundament für das weit gespannte Themenspektrum Improvisation. Die 1961 eingereichte Dissertation widmete sich der „Psychologie des instrumental-improvisatorischen Schaffens“, die 1968 verteidigte Habilitationsschrift dem „Einfluss der instrumentalen Improvisation auf den künstlerischen Entwicklungsgang und das Schaffen des Komponisten“. Leider durften beide Studien zu DDR-Zeiten nicht gedruckt werden. Zugänglich waren sie nur in einzelnen Bibliotheken im Osten und Westen. Dass sie trotzdem bis in die jüngere Zeit hinein als Quelle für Forschungen dienten, dürfte für ihre Qualität und Originalität sprechen. Auch dass Herbert Schramowski schon vor 1989 zu Vorträgen und Kursen in die alte BRD und nach Österreich eingeladen wurde, zeugt von der überregionalen Bedeutung seines Wirkens. Erst 2012 und 2018 erschienen die grundlegenden Schriften im Ebert Musik Verlag Leipzig.

Eng mit der Improvisation verband Herbert Schramowski musikpsychologische Fragen. Ihnen widmete er mehrere Aufsätze in der Fachpresse und hielt vor Studenten Vorlesungen über dieses seinerzeit misstrauisch betrachtete Gebiet. Nicht zu vergessen bleiben die Kompositionen des vielseitigen Künstlers und Pädagogen, darunter die Kinderoper „Freunde, Schelme und Quantanten“, das musikalische Spiel „Die Biene Liane“, Lieder und Liederzyklen, Motetten, eine Orgeltoccata, vielfältige Kammermusik und eine „Umweltmusik“. Mit ihnen suchte er in seiner berührenden, zeitlosen Sprache, was auch seine Unterrichtsstunden prägte: den Dialog mit den Menschen, um sie zu öffnen für die Schönheiten des Lebens und sie zu sensibilisieren für die Gefährdungen auf unserem Planeten.
                           

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