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Cristóbal Halffter, Sofia Gubaidulina im Gespräch. Foto: Astrid Ackermann
Cristóbal Halffter, Sofia Gubaidulina im Gespräch. Foto: Astrid Ackermann
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Ein rumorendes Konzert an der Akademie – Streichquartette von Halffter und Gubaidulina

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2012 erhielt die Europäische Union den Friedensnobelpreis für ihren Einsatz für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte. Zurecht wie der Autor dieser Zeilen meint, gerade aus musikalischer Sicht ist ein – wenn auch im brüderlichen Wettstreit – vereintes und friedliches Europa eine der größten Errungenschaften seit Jahrhunderten. „Alle Menschen werden Brüder“: der Europäer Beethoven war nicht der einzige Musiker, der sich Kunstfreiheit und Menschenwürde in einem geistigen Europa wünschte. Bis in unsere Zeit reichen die politischen Verwerfungen, unter denen auch die beiden Komponisten zu leiden hatten, die der Musikdirektor der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Peter Michael Hamel, aufs Podium in der Residenz lud. Er stellte der russischen Komponistin Sofia Gubaidulina und dem spanischen Komponisten Christobal Halffter die Frage: „Wie klingt Europa im 21. Jahrhundert?“

Die Biografie Halffters reicht zurück in ein Europa, in dem der Diktator Franco in Spanien  ein menschenverachtendes, kunstfeindliches Regiment führte. Komponisten sollten am besten Flamenco komponieren, 12-Töner und andere Avantgardekünstler waren nicht erwünscht. Wie sich Halffter mit List, verbündeten Kollegen aus ganz Europa und Förderern aus den Reihen der UN trotz Restriktionen als Neutöner einen Namen machen konnte , erzählte er im Saal der Residenz im Plauderton, bei dem nur manchmal seine Verletztheit und Existenzangst aufschienen, unter denen er bis zu zum Ende des Franquismus 1977 zu leiden hatte.

Analog dazu standen die Arbeiten von Sofia Gubaidulina in der Sowjetunion der 80er-Jahre lange unter dem Formalismusvorwurf der Kulturfunktionäre. Bei einer Privataufführungen im Hause von Edison Denissow hatte Hamel Gubaidulina kennengelernt und die beiden verbindet bis heute ein künstlerischer Austausch, der symptomatisch ist für ein weltoffenes und modernes Europa der Regionen und der Kulturen.

Dass dieses Europa der Kunstfreiheit wie wir es kennen, keine Selbstverständlichkeit, sondern immer gefährdet ist und von jeder Generation neu gewollt werden muss, zeigte – in unbeabsichtigter aber eklatanter Weise – das jüngste Akademiekonzert. Zur Aufführung von Gubaidulinas Streichquartett Nr. 3 und, als deutsche Erstaufführung, Halffters 9. Streichquartett  wurde das Leipziger Streichquartett engagiert. Das geschah 2016, zu einer Zeit, als es noch nicht abzusehen  war, dass der Cellist des Streichquartetts, Matthias Moosdorf, heute ein  Mitarbeiter des bayerischen AfD-Bundestagsabgeordneten Martin Hebner ist und sich in jüngster Zeit besonders bei den Versuchen der AfD hervortat, den UN-Migrationspakt zu verhindern.

Christobal Halffter hatte das Leipziger Streichquartett der Akademie empfohlen. Dass er seit 15 Jahren eng mit dem Quartett zusammenarbeitet, konnte man bei der Interpretation seines 9. Streichquartetts auch hören. Egal ob aggressives Bratschen-Attacca oder Allusionen im barocken Stil, das Quartett war in seiner Musik zuhause. Nicht so in der Musik von Sofia Gubaidulina. Filigrane Klanggespinste sollten sich aus unzähligen Pizzicato Einsätzen der vier Streiche zu einer großen Kantilene zusammen finden. Fehlerfrei war das Spiel des Quartett zwar, aber letztlich zu klassisch, zu ebenmäßig und glatt, um das ab- und tiefgründige, das existenziell zwingende in Gubaidulinas Musikstück zu empfinden. Dass die Komponistin sich im Anschluss auf dem Podium als Kritikerin betätigte, Scham eingestand und öffentlich bereute, nicht zu einer vorherigen Probe angereist zu sein, war allerdings ein starkes Stück den Musikern gegenüber.

Der Konzertabend als Wundertüte ging weiter: Das Auftreten einer Gruppe von Claqueuren unter der Leitung von Komponist und Akademiemitglied Moritz Eggert, kam als überraschendes Intermezzo. Mit lautstarken Bravo-Rufen – etwa „Bravo Moosdorf“ – und das Hochhalten von Spruchbändern brachten sie ihren Unmut gegenüber der Entscheidung der Akademie zum Ausdruck, gerade dieses spezielle Streichquartett engagiert zu haben.

Beobachtet man das Erstarken nationalistischer, antieuropäischer und rechtspopulistischer Tendenzen und Parteien in Ländern wie Polen, Tschechien, Österreich, Ungarn, der Slowakei oder Italien, dann stellt sich immer auch die Frage nach der kulturellen Vielfalt, nach den Arbeitsbedingungen für Künstler in diesen Ländern.

Man sollte aber trotz der großen internationalen Politik nicht vergessen, der Nationalismus fängt schon in der Küche an – in unserem Fall schon in der Übezelle. Die Europäer müssen artikulieren, welches Europa sie wollen. Gerade die Deutschen seien hier gefragt, darauf legte Halffter Wert: Ohne ein freies und auch weiterhin wirtschaftlich stabiles Deutschland, könne kein vereintes Europa existieren. Auf dem Podium waren er, Hamel und Gubaidulina sich einig: Das Europa des 21. Jahrhunderts kann nur ein Europa der Freiheit und der kulturellen Vielfalt sein. Und nicht eines der „Nations first“.

Eine der vielen Fragen, die das Akademie-Gesprächskonzertes aufwarf, könnte auch so beantwortet werden: Liebe Veranstalter bucht das Leipziger Streichquartett! Nur durch ein Dauerengagement kann Moosdorf seinen Verpflichtungen als wissenschaftlicher Mitarbeiter von AfD-Politikern nicht länger nachkommen. Und muss endlich wieder das tun, was er wirklich kann: Cello spielen.

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