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Mary Halvorson. Foto: © Christina Marx
Mary Halvorson. Foto: © Christina Marx
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Festival „Music Unlimited“ in Wels kratzt an den Grenzen der improvisierten Musik

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Die New Yorker Gitarristin Mary Halvorson durfte die 31. Auflage des Festivals „Music Unlimited“ im österreichischen Wels kuratieren. Die Gitarre stand folglich auch im Mittelpunkt des konzertanten Geschehens. Beim Programm setzte Halvorson allerdings nicht nur auf die Heldinnen und Helden der sechs bis zwölf Saiten, sie verzichtete auch auf die großen Namen der Szene. Stattdessen durfte an den drei Tagen eine U40-Frau- und Mannschaft die Grenzen der improvisierten, neuen und elektronischen Musik ausloten. Dabei ließen sie sich auch von den kulturpolitischen Störfeuern der schwarzblauen Landesregierung nicht aufhalten.

Schon das Festival-Motto war ein eindeutiges Plädoyer für das in die Jahre gekommene Saiteninstrument: „Ribbons of Euphoria“, ein Zitat aus dem Song „Bold as Love“ von Jimi Hendrix, der am 27. November seinen 75. Geburtstag feiern würde. Von der Pedal-Steel-Guitar über die klassische Jazz- und Rockgitarre bis hin zur präparierten Gitarre wurde alles geboten. Insgesamt erklang das Instrument in 11 der 17 Konzerte.

Halvorson selbst war während der drei Festivaltage drei Mal zu hören. Die Auftritte bildeten ihre musikalische Bandbreite allerdings nicht komplett ab: Jazz und (frei-)improvisierte Musik dominierten, Noise und Indie-Rock kamen dagegen kaum vor. Im Duo mit John Dieterich (Gitarrist der Rockband „Deerhoof“) verzichtete sie ebenso wie ihr Partner komplett auf Effekte, stattdessen ließen sie die halbakustischen Gitarren klingen: Licks, offene Akkorde und abstrakte Melodieläufe. Dann standen wieder Flageolett-Töne so lange im Raum, bis sie vom Verstärker ein Feedback bekamen. Derek Bailey, einer der frühen Helden Halvorsons, hätte applaudiert.

Nach dem Konzert gab es eine kurze Verbeugung, ein leicht verlegenes Lächeln: Halvorson hauchte ein kurzes „Thank you“ ins Mikrofon, schnappte sich ihre kleine Handtasche und ging von der Bühne. Als Kuratorin blieb sie während des Festivals eh lieber im Hintergrund und ließ andere sprechen.

Improvisieren und komponieren im Kollektiv

In zwei größeren Formationen traf Halvorson jeweils auf Musiker, mit denen sie seit vielen Jahren zusammenspielt: den Schlagzeuger Tomas Fujiwara und den Trompeter Taylor Ho Bynum. Letzterer stammt wie Halvorson aus dem Umfeld von Anthony Braxton. Beide haben bei ihm nicht nur an der Wesleyan University studiert, sie haben auch in Braxtons Tri Centric Orchestra Erfahrungen gesammelt, die sie gerne weitergeben. „In Braxtons Gruppen gibt es keine Hierarchien. Jeder kann zu jeder Zeit autonome Entscheidungen treffen, egal ob als Improvisator oder als Bandleader“, sagt Taylor Ho Bynum.

Das Quartett „Illegal Crowns“ ist ein Musterbeispiel für diese Philosophie: ein bestens funktionierendes, gleichberechtigtes Kollektiv. Neben Halvorson, Bynum und Fujiwara gehörte noch der Pianist Benoít Delbecq dazu. Jeder der vier Musiker trug Kompositionen bei, die Improvisation fand entweder im Kollektiv oder mit wechselnden Partnern statt. Freiheit und Ordnung bedingten sich gegenseitig: In den ruhigeren Parts kamen die abgedämpften Töne Delbecqs und das filigrane Spiel Halvorsons besonders zur Geltung, sobald die Dynamik zunahm, dominierten Trompete und Schlagzeug. Polymetrik, Polyrhythmik und freie Exkursionen, die schnell und locker eingefangenen wurden. Eine perfekte Synthese.

Tomas Fujiwaras „Triple Double“ übertrug das Motto des Konzerts auf das Konzept einer Double Band, hier bestehend aus jeweils zwei Trompetern (Bynum, Ralph Alessi), Gitarristen (Halvorson, Brandon Seabrook) und Schlagzeugern (Fujiwara, Tom Rainey). High Energy-(Free)Jazz mit viel drive, dazu auf den Punkt eingesetzte Delays und handgemachte Loops. Kollektive wie AACM aus Chicago oder Bands wie Ornette Colemans Prime Time standen Pate, ohne dass deren Arbeits- und Spielweise bloß kopiert wurde.

Ruhigere Töne dominieren

Ohne Gitarren kam das Duo Kaja Draksler/Susana Santos Silva aus. Die slowenische Pianistin Draksler ist mittlerweile fest etabliert in der Szene. Die 30-Jährige sieht sich in der Tradition von Thelonious Monk, György Ligeti oder Cecil Taylor, über den sie auch ihre Examensarbeit geschrieben hat. Wie Santos ist sie klassisch ausgebildet, was man dem Konzert anmerkt: Ruhige Töne beherrschten den Auftritt: Rauschen, Ostinati – klassische Moderne. Die Basis bildeten intime Kompositionen, die oft nur kurz angespielt wurden, um sie anschließend zu dekonstruieren. Draksler bewegte sich dabei zwischen Tastatur und den präparierten Saiten ihres Klaviers. Santos war immer dann besonders überzeugend, wenn sie die klassische Spielweise hinter sich ließ und auf Geräusche und Überblastechnik umschaltete. Ein Höhepunkt des Festivals.

Die Konzerte bestätigten allgemein den Trend innerhalb der improvisierten und zeitgenössischen Musik weg von energetischen hin zu verspielten, feinsinnigen Formen. Kompositionen nehmen mittlerweile ähnlich viel Platz ein wie die Improvisation. „Wir haben das Glück, in einer Zeit zu leben, in denen die musikideologischen Auseinandersetzungen größtenteils überwunden sind. Wir können uns aus einem riesigen Fundus bedienen“, nennt Halvorson als einen Grund für die Entwicklung.

Die große Kunst dabei ist es freilich, nicht ins Beliebige abzudriften, was am Wochenende leider auch geschah: Die eher am klassischen Songwriting orientierten Konzerte von „Seaven Teares“ und „Schmiede Puls“ wirkten selbst bei einem offenen Festival wie Music Unlimited deplatziert. Das „Liberty Ellman“ Trio wandelte hauptsächlich auf den eingetretenen Pfaden aller möglichen Gitarren-Trios der vergangenen 50 Jahre. Und auch der Gitarrist Joe Morris brauchte bei seinem Solo-Auftritt gut eine halbe Stunde, um neben seinen technischen Fähigkeiten auch musikalisches Verständnis zu demonstrieren. Gitarrenskeptiker dürften durch diese Auftritte nicht wirklich überzeugt worden sein.

Eher schon vom Konzert des Wiener Trios Radian. Schnell wurde klar: Hier sind Elektroniker am Werk. Die seit mehr als 20 Jahren existierende Gruppe war vielleicht am weitesten von dem entfernt, was Traditionalisten von dem Festival erwarten: Statt freier Improvisation und zeitgenössischer Komposition standen brachiale Sounds und psychedelische Klangteppiche im Mittelpunkt. Und für kurze Zeit schienen sogar die Mauern des alten Schl8hofs zu wackeln. Die Jazzpolizei zuckte kurz mit den Augenbrauen und verließ den Saal.

Kulturpolitische Störfeuer

Neben der musikalischen Konfrontation rücken zunehmend andere Dinge in den Fokus: Politisch kämpft man nicht nur in Wels gegen die „Freiheitlichen“, die seit Jahren nicht nur im Bundesland oder in der Stadt das Sagen haben, sondern bald auch im Bund mitregieren werden. Dabei geht es nicht nur um Werte wie Toleranz oder Solidarität. Auch finanziell wirkt sich die Regentschaft der „Rechten“ negativ aus: So ist etwa das Ulrichsberger Kaleidophon – neben Music Unlimited, den Nickelsdorfer Konfrontationen und den Artacts in St. Johann eines der wichtigsten Festivals der Szene – existenziell bedroht. Das Land Oberösterreich möchte das Kulturbudget um rund 10 Millionen Euro reduzieren. Die zeitgenössische Musik soll dabei besonders leiden: Hier soll um 33 Prozent gekürzt werden. Der im Sommer abgelöste Landeshauptmann Josef Pühringer sagte zu den Plänen der schwarzblauen Landesregierung: „Die Frage ist nicht, ob wir uns die Kultur leisten können, sondern ob wir uns die Unkultur leisten wollen.“ Ein vor gut 72 Jahren verstorbener Landsmann Pühringers hätte es wohl nicht „besser“ ausgedrückt.

Als „Unkultur“ hätte Pühringer vermutlich auch den nachmittäglichen Auftritt des Duos „Bag“, bestehend aus der Saxophonistin Anna Högberg und dem Multiinistrumentalisten Christof Kurzmann, im Medien Kulturhaus bezeichnet. Kurzmann dürfte am ehesten mit Robert Wyatt vergleichbar sein, nicht nur der fragilen Stimme, auch der kompromisslosen politischen wie musikalischen Haltung wegen. Brüchige Klangteppiche und reduzierte Improvisationen dominierten das Konzert – ergänzt von kleinen, verspielten Juwelen des Post-Pop. Anna Högberg fügte sich auf dem Saxophon perfekt ein und erzeugte Geräusche und Flächen statt der von ihr gewohnten Shouts. 

Ein Hinweis auf die gesamtpolitische Lage durfte auch bei dem Konzert nicht fehlen. Christof Kurzmann meinte, dass sich das Wetter seit der letzten Wahl noch einmal rapide verschlechtert habe. Zumindest während der drei Festivaltage regnete es beinahe komplett durch: Schwarzblau ergibt dunkelgrau. Zum Glück haben sich Musiker und Macher davon nicht unterkriegen lassen. Und am Ende lachen dann vielleicht doch die Außenseiter – leise, aber sichtbar, wie Mary Halvorson nach ihrem Auftritt am Sonntagabend.

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