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Hier gibt es "Unerhörte Musik" Foto BKA Berlin
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Gestaltete Landschaften – Musik von Kreidler, Hosokawa und anderen in der „Unerhörten Musik“

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Wer als Sympathisant Neuer Musik nach Berlin kommt (und es folglich, aufgrund der hohen Zahl interessanter Aufführungen in diesem Bereich, auch bleiben wird), muss zunächst zweierlei lernen: 1.) Nein, die Abkürzung „BKA“ steht in der Neuen-Musik-Welt Berlins nicht für „Bundeskriminalamt“, sondern für „Berliner Kabarett Anstalt“ und

2.) Nein, der Fahrstuhl, mit dem man in den fünften Stock des Gebäudes an der U-Bahnstation Mehringdamm gelangt, ist nicht defekt, er braucht nur etwas länger als andere, um sich zum Eingang des BKA-Theaters hin, nach zugegeben ungewöhnlich langen Momenten des gedrängten Wartens, zu öffnen: Hier findet sie statt, die einzige wöchentliche Konzertreihe Deutschlands mit ausschließlich Neuer Musik; veranstaltet von Rainer Rubbert und Martin Daske gibt es jeden Dienstag um 20.30 Uhr „Unerhörte Musik“.

Vor 20 Jahren aus der Taufe gehoben ist die „UMU“ längst zu einer festen Institution innerhalb des Berliner Musiklebens geworden. Fast immer sind ausgezeichnete Interpreten zu hören, ganz gleich, ob es sich dabei um junge bis sehr junge oder bereits längst etablierte Musiker handelt. Die Qualität der Kompositionen schwankt freilich; so wie bei jedem Konzert oder Festival mit Neuer Musik. Unter den vielen uraufgeführten Werken (im September 2008 wurde die 1000er-Marke überschritten) dürfte sich aber im Vergleich zu hierzulande einmal im Jahr ausgetragenen Großfestivals der Neuen Musik, die mit ganz anderen finanziellen Mitteln arbeiten und mit einer sehr viel längeren Vorbereitungszeit künstlerisch betreut werden können, eine erstaunlich hohe Anzahl von Stücken befinden, denen man die Verwurzelung in das Grundrepertoire der tonangebenden Spezialensembles wünschen würde.

Unter den vier am 28.10.08 von Ruth Velten (Saxophon), Silke Lange (Akkordeon), Wolfgang Zamastil (Violoncello) und Felix Dreher (Klangregie) eindrücklich, spannungsvoll und höchst konsequent interpretierten Werken befanden sich exakt drei solche Kompositionen. Einzig der mit Abstand älteste und renommierteste Komponist des Abends, Toshio Hosokawa (*1955) konnte mit seinem Stück In die Tiefe der Zeit (1994/96) für Akkordeon und Violoncello weniger fesseln. Zu häufig hört man derartige „Klanglandschaften“ von langen, ineinander gleitenden Tönen und Klanginseln, die, obwohl bald mit Knarztönen gewürzt und durchaus gekonnt hörend empfunden, nichts anderes wollen, als „Landschaft sein“.

Die jungen Komponisten des Abends, Johannes Kreidler (*1980), Sara Minguez (*1978) und der Cello spielende Wolfgang Zamastil (*1981) schafften es auf unterschiedliche Weise, ihre jeweils vorgefundenen Landschaften sehr persönlich und innovativ zu gestalten. So vermochte Minguez in ihrem 2006 entstandenen Werk mit wenigen Mitteln, intelligent-absurde Situationen zwischen den Tönen und Geräuschen des Akkordeons und denen des Saxophons herzustellen. Die Saxophonspielerin war dabei hinter einer schwarzen Wand positioniert, was keineswegs als billiges theatralisches Accessoire, sondern als klangliches und strukturelles Moment des gedämpft-Seins, des zer- und im wahrsten Wortsinne versetzt-Seins in das kammermusikalische Geschehen zwischen den beiden hervorragend agierenden Spielerinnen Eingang fand. Der Titel des Werkes, A-....... (...), der entweder attraktiv kryptisch oder angenehm ironisch (als Karikatur auf die inzwischen längst abgegriffenen drei Neue-Musik-Pünktchen) gemeint sein dürfte, wurde durch die in positiver Hinsicht merkwürdigen Vorgänge im Stück selbst zu einem Teil der gesamten Performance. Als dann kurz vor Schluss kurzzeitig eine Art Polka störend eingriff, wirkte das ähnlich kunstvoll, wie der Moment, in dem der komische Zwerg in Twin Peaks in dem karierten Zwischenbereich von Leben und Tod vor Dale Cooper zu tanzen beginnt.

Auch in Wolfgang Zamastils uraufgeführtem Stück Archiv II (2008) für Saxophon, Akkordeon, Violoncello und Elektronik mag der Hörer den Eindruck gewinnen, er sei nun Teil der Handlung eines Films von David Lynch. Nur ist es nicht Twin Peaks, sondern Inland Empire, einem Film über das Erzählen, einem Film mit Überlänge, der hier als Vergleich dienlich wäre (wobei Zamastil die Überlänge ebenfalls nicht zum Verhängnis wird; auch nicht die Verwendung alter amerikanischer Schlager, im Gegenteil). Die bald einsetzende, unbarmherzig hämmernde Fußmaschine der Saxophonistin wird als eigentlich stoisches Klangelement zum Leitfaden durch das farberfüllt knirschende, immer interessante und spannend narrative „Archiv“ Zamastils, der es dem Hörer – umso sympathischer – nicht leicht macht, ihm bei seinem langen, aber nicht langweiligen Gang zu folgen, ihn jedoch durch seinen wirklich intelligenten Umgang mit klanglichem Trash liebevoll zum Zuhören zwingt.

Das Konzert hatte in derselben Besetzung mit der Uraufführung von cache surrealism (2008) von Johannes Kreidler begonnen. Kreidler machte bekanntlich Mitte September 2008 flächendeckend auf sich aufmerksam, als er in einer theatralischen Aktion mit mehreren meterhohen Stapeln von Formularanlagen einer Anmeldung für ein nur 33-sekündiges elektronisches Werk, in dem 70.2000 kürzeste Ausschnitte Verwendung finden, bei der GEMA vorfuhr, eine Pressekonferenz provozierte und so letztlich erfolgreich das längst überholte Urheberrecht kritisierte – und en passant aufdeckte, dass die GEMA nicht nur außen-, sondern auch innenpolitisch dringend reformbedürftig ist.

Auch sein neues Werk für Saxophon, Akkordeon, Violoncello und Elektronik enthält eine Vielzahl von Popmusik-Samples, die mit außerordentlicher Feinsinnigkeit, Humor und gleichzeitigem kammermusikalischen Ernst in die notierten Klangaktionen der Interpreten eingeflochten sind. Cache surrealism entfaltet ein meisterhaftes und gestalterisch konkretes, nie beliebig entspanntes Netz von Musik, das ein ungeheuer unterhaltsames und doch höchst anspruchsvolles Hörerleben ermöglicht. Vor allem die geistreich erfundene Abwechslung von Aneignung und Entfremdung im Mix von Popmusikandeutungs-Sample feat. Instrumentenklang gelingt hier derart beglückend, dass das Konzept Kreidlers („Musik mit Musik“) in sehr eigener Musik (ohne Anführungsstriche) aufgeht.

Wenn in Helmut Lachenmanns Das Mädchen mit den Schwefelhölzern die Popmusik aus dem nur ganz kurz aufgedrehtem Radio erklingt, gleicht das einem altväterlichen Ermahnen: „Hört ihr? Das ist die böse Popmusik!“ Wenn Johannes Kreidler in seinen Werken der letzten zwei Jahre Popmusik (laut Programmheft) als „alltägliche, akustische Realität“ in Form von Samples, aus deren minimaler Länge ein ständiges lustvolles „Hörschlittern“ zwischen Identifizieren und doch-nicht-Identifizieren resultiert, verwendet, so kommt diese Art des Umgangs mit Popmusikklängen ungleich aufgeklärter und künstlerisch selbstbewusster daher. Die Popmusikrealität wird bei Kreidler zu einer Bratsche im Streichquartett, die meist eher eine begleitende, untergründig verbindende, summende Rolle einnimmt, um dann doch auch mal „ihr Solo“ zu haben - und doch wieder ins hintere Glied zurücktreten muss.

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