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Foto: © Candy Welz
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Grundsätzliches – Richard Wagners „Tannhäuser“ in Weimar

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„Tannhäuser“ – das klingt schon wie Thüringen. Wegen des Schauplatzes des Sängerkrieges „auf Wartburg“ wie Wagner das so schön unvollständig klingend im zweiten Teil des Titels benannt hat. Es klingt aber auch wie Weimar! Wegen Franz Liszts Einsatz für die Musik seines berühmten Schwiegersohnes im Allgemeinen. Und für den Durchbruch seines „Tannhäuser“ mit der Weimarer Erstaufführung 1849 im Besonderen. Die Staatskapelle Weimar ist heute nicht nur das Renommierorchester ganz Thüringens, sondern hat Wagner seither gleichsam in den Orchestergenen.

Zur Premiere hielt das Deutsche Nationaltheater noch ein besonderes Schmankerl für die Wagnerianer bereit: im zweiten Rang durfte man sowohl die Originale von Liszts Weimarer, als auch die von Wagners Pariser Aufführungspartitur von 1861 samt eigenhändiger Vermerke des Meisters bestaunen! 

Wie sehr so eine historische Prägung nachzuwirken vermag, das machte GMD Kirill Karabits am Pult mit Vehemenz und Umsicht klar. Schon beim Bacchanal, in das das Vorspiel in der verwendeten Wiener Fassung von 1875 übergeht, loderte die Spannung auf. Die fiel auch dann nicht ab, wenn er im Laufe des Abends immer wieder kleine Generalpausen einbaute. Damit akzentuierte er nur noch deutlicher, dass es im Graben um Grundsätzliches geht. Andererseits vernachlässigt der GMD auch feine Details nicht. So etwa mit den Raumklangeffekten bei den Bläsern oder dem wie aus einer anderen Welt herüber hallenden Geläut der Kuh- oder Kirchenglocken.

Was aus dem Graben kam, war durchweg packend und erlaubt die anfänglichen Wackler beim ansonsten von Markus Oppeneiger vorzüglich für ihre Romreise ausgerüsteten Chor unter Premierenaufregung zu verbuchen. Das wird sich in den Folgevorstellungen sicher ändern. Zumal der Dirigent bei allem Furor auch für die Sänger das richtige Gespür bewies. In Weimar war ein Tannhäuser-Ensemble beisammen, das den Vergleich zur vor gerade eben herausgekommenen Leipziger Premiere nicht scheuen muss. Im Gegenteil. Der Weimarer Tannhäuser Corby Welch gehört in die kleine Riege der Wagnertenöre, die allein schon den Besuch einer Vorstellung lohnen. Aber auch die Truppe um den Landgrafen Hermann (Daeyoung Kim), mit Artjom Korotkov als Walther von der Vogelweide, Andreas Koch als polternder Biterolf, Jörn Eichler als tatsächlich mitschreibender Heinrich der Schreiber und Opernstudio Mitglied Andrii Chakov als Reinmar von Zweter, machte ihre Sache gut. Uwe Schenker-Primus spielt als Wolfram von Eschenbach sein schwergewichtiges Charisma voll aus. Bei Camila Ribero-Souza waren Elisabeth und bei der sich sinnlich verströmenden Sayaka Shigeshima die Venus in genau den richtigen Kehlen.

Ursuppe Leben

Zum musikalischen Ereignis kommt in Weimar die so ungewöhnliche wie spannende Regie von Maximilian von Mayenburg. Kein Eichwald, keine Wartburg. Nirgends. Es dominiert stilisiertes Schwarz-Weiß und Grau bei den fantasiereichen Kostümen von Ursula Kudrna. Die übertrifft sich bei der opulenten Kreation für Frau Venus. Unter dem gewaltig ausladenden, mit Rosenblüten übersäten, rot leuchtenden Rock dieser Ur-Frau oder Ur-Mutter haben alle die Wesen platz, die sich im Bacchanal aus ihren Hüllen (Marke: Homunkulus im aufgeblasenen Ganzkörperkondom) befreien und auf sie zu kriechen. Ursuppe Leben. So hat man das noch nicht gesehen. Ansonsten beherrschen die opulente Freitreppe und ein Flügel die abstrakten Räume oder Sphären von Stephan Prattes Bühne.

Ambivalenzen

Die Zusammenfassung der Handlung im Programmheft beginnt mit dem Wort „Frustriert“ und endet mit der Vokabel „erlöst“. Damit sind sowohl die individuell triebhafte, als auch die religiös transzendente Dimension markiert, durch die Wagners Held als Alter-Ego des Komponisten bzw. Träger eines widersprüchlichen Menschen- und Künstlerbildes laviert. Im Sängerwettstreit konfrontiert Tannhäuser das herrschende körperfeindliche Dogma einer uniformen Gesellschaft offen mit einem sinnlichen Gegenentwurf. Er scheitert mit beiden möglichen Wegen zur Selbstverwirklichung. Oder doch nicht?

Einheit der Gegensätze

Der dialektische Witz von Maximilian von Mayenburgs blitzgescheitem Zugang besteht darin, in Tannhäuser und Wolfram auf der einen Seite und Venus und Elisabeth auf der anderen jeweils die Einheit der Gegensätze zu denken, um die es im Stück geht. Bei manchen Regisseuren übernahm deshalb ja schon ein und dieselbe Sängerin Venus und Elisabeth, um die viel beschworene Ambivalenz von Hure und Heiliger zu verdeutlichen. In Weimar wird das sinnfällig, wenn Wolfram Venus anschaut, wenn er seine Worte eigentlich an Elisabeth richtet. Oder wenn die Liebesgöttin wiederum Wolfram ansieht, wenn sie um Tannhäusers Rückkehr zu ihr bzw. in den Venusberg wirbt. Am Ende folgt ihr tatsächlich Wolfram.

Dass in dieser Inszenierung Wolfram Tannhäuser erdrosselt, ist auf den ersten Blick starker Tobak. Aber dieser Mord auf offener Szene ist keineswegs ein Beispiel für den vorlauten Übermut des Regisseurs. Auf den zweiten Blick tötet hier nämlich ein Zerrissener eine Seite in sich, weil er mit und in dem Widerspruch (zwischen Körper und Geist, Leidenschaft und reinem Gefühl) offenbar nicht leben kann. Wolfram benutzt dafür das schwarze Band, das Tannhäuser Elisabeth als Liebespfand einst abgenommen hatte. Während der Romerzählung, die Wolfram als Zuhörer gleichsam illustrierend nachvollzieht, verbindet ihm Tannhäuser damit die Augen als der davon berichtet, wie er blind durch Italiens Auen wanderte. Dieses Detail gehört zu den kleinen, durchdachten szenischen Leitmotiven dieser Inszenierung.

Zu den größeren gehört die Rolle, die dem Hirten (SuJin Bae) zuwächst. Der wird hier zum (Ver-)Führer der im Venusberg gefangenen Geschöpfe. Sie folgen ihm über jene riesige Treppe, bei der man unwillkürlich an eine Himmelsleiter denkt, in eine andere Welt.

Aus dem amorphen Urzustand der Venuswelt, der als Raum keine klaren Formen und als Sphäre keine Regeln kennt, viele Stufen „hinauf“ in die zivilisierende Uniformität und den klaren Raum der (Wartburg-)Gesellschaft. Hier angekommen, weist der Hirt seinen Schäfchen zackig einen Einheitslook zu und macht sie so zur Festgesellschaft des Landgrafen. Dazu gehört auch eine rosarote Brille für den „richtigen“ Blick in dieser Welt. Als Tannhäuser beim Sänger-Wettstreit einem Paar diese Brillen abnimmt und die anderen diesem Beispiel folgen, fallen plötzlich die Regeln und Tabus, bricht eine Orgie, also die Hölle bzw. der Venusberg los. Es bedarf einiger Anstrengung des Landgrafen, um diese Entgrenzung zu beenden und die so „Gefährdeten“ zur Pilgerfahrt nach Rom zu verdonnern. Auch da ist wieder der Hirt der (An- oder Ver-)Führer. Wenn am Ende alle wieder zurück sind, wird klar, dass keine Pilgerfahrt gegen die Erfahrung hilft, die sie dank Tannhäusers Aufbegehren gemacht haben.

Ganz gleich ob man dem (wie das Premierenpublikum) nun folgt oder nicht: dieser neue Weimarer „Tannhäuser“ liefert reichlich Stoff zum Nach-Denken. Und jede Menge Grund zum Jubeln.

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