Seit 18 Jahren, seit Georg Katzers „Antigone oder Die Stadt“ aus dem Jahr 1991 gab es an der Komischen keine Opern-Uraufführung mehr. Am 21. Juni wird jetzt ein Werk des 1963 in Trier geborenen Komponisten Christian Jost uraufgeführt. Die Komische Oper stellte ihm die Wahl des Stoffes frei. Jost entschied sich für den historischen Hamlet-Stoff, wobei es ihm nicht um die musikalische Nacherzählung einer chronologischen Handlung, sondern um Ausdruck, um die Expression von körperlichem Gestus und theatralem Bild geht.
Das schlägt sich im Titel der Oper nieder: „Hamlet - 12 musikdramatische Tableaux“. Wie in zahlreichen Shakespeare-Inszenierungen der Theatergeschichte spielt die Geschlechterfrage bei Jost keine Rolle: Hamlet wird von einer Frau, von Josts Gattin, der Mezzosopranistin Stella Doufexis gesungen.
Arno Lücker hat nach einem Probenbesuch mit dem Komponisten gesprochen.
Herr Jost, in biographischen Angaben über Ihre Person kann man meistens lesen: „studierte in Köln und San Francisco.“ Nun ist es in der Welt der Neuen Musik nicht üblich, lediglich Studienortsnamen anzugeben, Lehrernamen scheinen für die Karriere wichtiger zu sein. Ihnen offenbar nicht. Bei wem haben Sie an der Kölner Musikhochschule studiert, bei Mauricio Kagel?
Der war zu meiner Zeit in Köln, ja. Ich habe aber nur ein paar Meisterkurse bei ihm besucht. Meine Lehrer waren Bojidar Dimov in Köln und David Scheinfeld in San Francisco. Auch Hans Werner Henze bin ich begegnet, und György Ligeti habe ich in Hamburg besucht. Ich muss aber gestehen, dass ich es immer als problematisch empfand, bei einer einzigen Person ein ganzes Studium zu absolvieren. Man ist schnell nur noch „Schüler von…“. Es gab mir immer mehr, bestimmte Dinge zeitweise konzentriert anzugehen und mich von ganz verschiedenen Stellen beeinflussen zu lassen.
Sie haben sicher davon gehört: Die berühmten Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt wird es in dieser Form wohl bald nicht mehr geben. Man überlegt, die Kurse nach Frankfurt zu verlagern. Hat sich Darmstadt als jahrzehntelanges Mekka der Neuen Musik weltweit nun überholt?
Die Frage in unserer heutigen Zeit ist, wie man die Dinge in einer globalisierten Welt stärker gesellschaftlich verankert. Es ist sinnlos, wenn wir uns so eine Experimentierstube wie in Darmstadt weiter leisten, wenn sie vom realen Betrieb total entkoppelt ist. Es muss vielmehr die Möglichkeit geschaffen werden, dass die Neue Musik in den normalen Betrieb integriert wird und Präsenz zeigt – bei allen Schwierigkeiten. Auch bei der „Hamlet“-Produktion jetzt kommt so ein Haus wie die Komische Oper an ihre Grenzen, was besetzungstechnische Fragen, was die gesamte Koordination angeht.
Ich hatte bei der „Hamlet“-Probe allerdings das Gefühl, dass man hier sehr wohlwollend und mit viel Geduld arbeitet. Das ist ja, was groß besetzte Werke der Neuen Musik angeht, in Berlin eine Ausnahme. Überhaupt ist die Lage paradox: es gibt sehr viele Konzerte mit Neuer Musik in Berlin, aber selten nur für das größere Publikum.
Ja. Dabei ist hier auch von Komponistenseite ein großer kreativer Pool vorhanden, der diese Ansprüche auf hohem Niveau erfüllen könnte.
Da könnte man ja fast ein schlechtes Gewissen haben, dass die meisten Komponisten hier auf Kammermusik angewiesen sind, Sie aber schon für Simon Rattle und die Philharmoniker schreiben durften („Heart of Darkness“ für Klarinette und Orchester, 2007). Wie begegnen Sie dem Vorwurf, Ihre Werken seien nun einmal brav und philharmoniekonform? Schreiben Sie mit Absicht so, dass es möglichst häufig aufgeführt wird?
Nein, das würde ja voraussetzen, dass ich, egal, in welcher Ästhetik ich mich gerade bewege, immer nur mit Kalkül arbeite. Aber das geht gar nicht. Wissen Sie, über manche Sachen kann ich mir einfach keine Gedanken machen. Rattle bekommt übrigens hunderte Partituren zugeschickt und nimmt diese Dinge sehr ernst.
Sie sprachen von der Dringlichkeit größerer Präsenz der Neuen Musik in der breiten Öffentlichkeit. Warum greifen Sie dann für Ihre Oper nicht ein aktuelles Thema auf? Muss es wirklich der historische Hamlet-Stoff sein? Das klingt für mich eher nach Rückzug als nach Präsenz…
Nein, die Frage ist doch immer, wie man mit den Dingen umgeht. Nur die Entstehungszeit des Stückes ist historisch. Das Hamlet-Thema selbst ist alles andere als veraltet, sondern immer noch aktuell. Wenn ich eine Oper über ein wirklich tagesaktuelles Thema schreibe, ist sie morgen überholt, wobei die großen Stoffe automatisch eine Zeitlosigkeit beinhalten. In allen meinen Bühnenwerken versuche ich einer übergeordneten Wahrheit nachzuspüren, einer Wahrheit die das Menschsein in seinen verschiedenen Schattierungen hinterfragt. Und dafür greife ich sowohl auf historische als auch zeitgenössische Themen zurück.
Ja, aber diese Rückgriffe sind trotzdem ein Akt des Unpolitischen! Helmut Lachenmann nennt zwar sein einziges Bühnenwerk „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“, nimmt also sogar ein Kindermärchen als Sujet, doch scheint konkret durch, dass dieses Mädchen auch Gudrun Ensslin sein könnte. Und da wird die Äußerung des Mädchens mit den Schwefelhölzern „Jetzt stirbt jemand!“ natürlich erst richtig politisch und provokant…
Vielleicht sollten Sie das Interview lieber mit Lachenmann machen.
Nein, ich möchte nur wissen, warum bestimmte Generationen keine Lust an der Provokation mehr haben und so unpolitisch geworden sind…
Ich finde beispielsweise das neunte Bild in meinem „Hamlet“ extrem politisch! Es gibt da eine Art „Soldatenchor“, der in die Schlacht zieht. Die entscheidenden Worte aus der Shakespeare-Vorlage: „Was ist der Mensch, wenn seiner Zeit Gewinn, sein höchstes Gut nur Schlaf und Essen ist? Ein Vieh, nichts weiter“ kommen bei mir aber nicht, wie vorgesehen, von Hamlet, sondern eben von einem Soldatenchor. Ich gehe also sehr wohl mit politischen Dingen um. In meiner Choroper „Angst“ beispielsweise verwende ich auch Schilderungen von Folteropfern des Bosnienkrieges.
Aber ist das schon politisch? Gab es irgendjemanden hierzulande, der nicht unterschrieben hätte, dass der Bosnienkrieg grauenvoll ist? Kann man dann nicht gleich so allgemein werden, dass man Sätze vertont wie: „Das Hungern der armen Kinder in der Welt ist schrecklich“?
So plakativ würde ich das auch niemals machen. Ich versuche nur zu erläutern, dass der großpolitische Kontext innerhalb meines Werkes eine Rolle spielt. Aber letzten Endes geschieht dies immer in der individuellen Verortung des Einzelnen innerhalb eines komplexen gesellschaftlichen Kontextes.