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Kartal Karagedik. Foto: Hans Jörg Michel
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Herbert Fritsch inszeniert Mozarts „Così fan tutte“ – natürlich nicht so wie alle …

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Selber schuld könnte man sagen, wenn sich der Vorhang in Hamburg, nach dieser außergewöhnlichen „Così fan tutte“ wieder schließt. Denn da lassen sich der Inhaber der höheren und der der tieferen Männerstimme (Ferrando und Guglielmo) darauf ein, wieder zu den Sängerinnen mit der dunklen und der hellen Stimme (Dorabella und Fiordiligi) zurückzukehren. Obwohl DaPonte und Mozart in ihrem von Don Alfonso mit Despinas Hilfe angezettelten Beziehungsexperiment bis dahin ausführlich vorgeführt haben, dass die Sänger der beiden hohen und der beiden tieferen Stimmlagen jeweils viel besser zusammenpassen würden, also die gegebenen Verlobungsversprechen vielleicht etwas voreilig waren. Aber da bei einer Herbert Fritsch-Inszenierung die Applausordnung immer mit dazu gehört (in der B-Premiere leider ohne den Meister selbst), dürfen sie dann auch mal mit ihrem Wunschpartner an die Rampe….

Wenn Don Alfonso das titelgebende Fazit così fan tutte, also so machen es alle, ausdrücklich auf die Frauen bezieht und den Schluss zieht, dass man die halt so nehmen müsse wie sie sind, ist das eben nur die halbe Wahrheit. Beide Frauen gestehen sich den Wunsch nach dem Wechsel der Partner zwar eher selbst ein, als die Männer. Aber auch die hätten, wenn sie ehrlicher wären, als sie es sich selbst erlauben, nicht wirklich etwas dagegen, es in der neuen Paarung zu belassen, die sie während dieses Treuetestes ausprobiert haben. 

Genussmittel mit Suchtgefahr

Es ist schon nachvollziehbar, dass ein derartiges Ausprobieren eines erotischen Gleichklangs, der von der Konvention einer zweckgebundenen Partnerwahl abweicht, mit einem fest gefügten Moralkodex kollidiert. DaPonte und Mozart haben hier im Gewand einer – wörtlich genommen ziemlich unwahrscheinlichen – Maskerade eines Treuetestes beim Partnertausch für ein emanzipiertes Publikum einer von ihnen aus fernen Zukunft geschrieben und komponiert. „Così fan tutte" ist ein verblüffend modernes Stück, eigentlich Mozarts modernste Oper. Wenn es sich selbst in seiner komödiantischen Verkleidung für mehr als ein spießig puritanisches Jahrhundert lang aus dem Rennen nahm und „Don Giovanni“ und „Le nozze di Figaro“, gar die „Zauberflöte“ zu Mozart-Hits werden ließ, dann kann das nur außermusikalische Gründe haben. Handelt es sich doch auch bei der dritten DaPonte Oper um ein Genussmittel mit Suchtgefahr. Eines, das noch dazu mit einem ziemlich flotten Witz in den zungenbrecherischen Parlando-Passagen aufgeppt ist. Sébastien Rouland am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters hat dabei für alle Facetten genau das richtige Händchen für Sängerbalance und Tempovariation. 

An der Staatsoper in Hamburg ist das Mozart-Schmuckstück mit Hintersinn in der Komödieneinfassung jetzt Herbert Fritsch in die Hände gefallen. Besser vielleicht: er dem Stück. Und das ist gut so. Beim ersten Mozart-Versuch dieses hochprofessionellen und gefühlsgescheiten Klassenkaspers unter den Gesamtkunstwerkern der Branche, seinem „Don Giovanni“ an der Komischen Oper in Berlin, schmiss er vor vier Jahren bildlich gesprochen vor allem mit Mozartkugeln. Ließ die Rezeptionsgeschichte links liegen, zog seine Figuren nach dem Motto „je verrückter, desto besser“ auf, ließ sie sich austoben und führte vor allem alle Versatzstücke seiner energiegeladenen, extrem dynamischen Ästhetik vor. 

Fritsch gibt seinem Komödiantenaffen Zucker

Auch jetzt gibt Fritsch natürlich seinem Komödiantenaffen Zucker. Besonders der rotuniformierte Spielmacher Don Alfonso und seine passend aufgerüscht verpackte Helferin Despina bewegen sich beide in ihren Lackstiefeln gelegentlich so, als würden sie durch das Stück galoppieren. Aber weder diese beiden, noch ihre vier Versuchskaninchen kommen dabei auch nur einen Moment vom Pfad der musikalischen Tugend ab. Jede Bewegung – ob mit den behandschuhten Händen oder mit den angewinkelten Armen – sind musikalisch legitimiert. Jeder Grimasse lassen sich Noten zuordnen. Fritsch bringt es sogar fertig, bei den großen Arien von Ferrando oder Fiordiligi deren Interpreten von jeder Artistik zu suspendieren und sie an der Rampe in Ruhe zu lassen. 

Kurzum: Herbert Fritsch ist mit dieser Così bei einem gereiften Altersstil angekommen, der sich seiner Mittel bewusst und so sicher ist, dass er sie nicht mehr dauernd ausstellen muss. Er vertraut der Musik und seinen Darstellern mehr, als seiner Lust an der Grenzüberschreitung. Was natürlich nicht heißt, dass sie bei ihren Abgängen nicht noch mal aus der Gasse zurück in den Saal schauen. Oder die eine oder andere Sprechblasen Zugabe beisteuern.  

Wie immer hat Fritsch auch seine Bühne selbst erfunden. Eine knallbunte Zauberkiste mit spiegelglattem Boden, auf dem ein paar geometrischen Riesenbauklötzer um das Cembalo in der Mitte verstreut sind. Das Instrument ist mehr ein optisches Statement, steuert aber auch mal ganz selbstständig die kleine Nachtmusik bei. Die Seitenwände und die Decke mit dem schlichten aber riesigen Lampenschirm sind beweglich und im dauernden Farbenwechsel. Dazu die verrückt stilisierten Phantasiekostüme von Victoria Behr (Marke: Hochschul-Modeklasse im „Macht-Neues-Kinder!“-Stadium). Bei den Verkleidungen der Männer lässt sie mit den unpraktischen aber effektvoll einsetzbaren Zottelmähnen-Perücken alle Zügel schießen. 

Fritsch hat keinen Ehrgeiz für einen weiteren rezeptionsgeschichtlichen Beitrag, um aus dem auf die Frauen bezogene Così fan tutte ein auf die Männer ausgedehntes Così fan tutti zu machen. Aber, wenn Fiordiligi und Dorabella sich einigen, wer den Blonden und wer den Braunen kriegt, dann ist das selbst in der stilisierten Kostümierung ein erkennbarer Akt von weiblicher Selbstbestimmung. So wie der Katzenjammer am Ende, wenn alles aufgeflogen ist, ist auch die zur Schau getragene Zerknirschung der ertappten Frauen durch das Komödiantische der Form entschärft. So wie die erste Annäherung der Männer an die Frauen in der Wunschkonstellation gleich zu Beginn eben doch nicht nur ein zufälliger Irrtum der Regie, sondern ein bewusster Fingerzeig auf das was kommt ist. 

Musste sich bei der A-Premiere noch die vorgesehene Dorabella vertreten lassen, so fiel in der B-Premiere der geschmeidig lyrische Dovlet Nurgeldiyev als Ferrando wegen einer akuten Knieverletzung im ersten Akt noch vor der Verkleidungsszene aus. Zum Glück war der ukrainische Tenor Oleksiy Palchykov im Publikum und sprang gleichsam aus dem Stand ins Zottelkostüm des falschen Albaners. Dass er dann mit dem „Un’ aura amorosa“ regelrecht abräumte und sogar vom Dirigenten mit Beifall bedacht wurde, ermunterte ihn für den Rest des Abends, seinen tenoralen Sexappeal voll einzusetzen.

In ihrer persönlichen Premiere begeisterte Stephanie Lauricella als Dorabella mit charmant hintergründigem Witz und jedem Wackler mit ihrem Hinterteil im eng anliegenden Wunder an modischer Abendkleid-Eleganz genauso wie mit ihrer dunkel timbrierten Eloquenz. Hinreißend Maria Bengtsson als eine Fiordiligi, die nicht nur in der Felsenarie mit ihrer Souveränität im Wechsel vom Piano zum Auftrumpfen und zurück, sondern durchweg glänzte. Kartal Karagedik fremdelte als ihr Wunschpartner Guglielmo zwar ein klein wenig mit der Fritschiade aber er fand sich zunehmend in sie hinein – stimmlich komplettierte er das Quartett von Anfang an. Die beiden Spielmacher, in denen man am Ende das dritte Paar vermuten könnte, hatten die Bewegungsdynamik von Fritsch hingegen mustergültig verinnerlicht. Sylvia Schwartz als hyperaktive Despina und Pietro Spagnoli als diabolischer, gleichwohl menschenfreundlicher Don Alfonso machen diesen Mozart-Abend so rund, dass selbst der mit Fritschs Ästhetik vertraute Opernfreund ins Staunen kam. 

 

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