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Foto: © Xiomara Bender
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Im Stehen sterben – Markus Lüpertz malt in Meiningen eine Oper: Puccinis La Bohème

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Die Rechnung ging auf. Und sie hatten auch noch Glück. Wie jedes Theater, dem (außerhalb von Sachsen) gegenwärtig eine Premiere gelingt, war auch in Meiningen allein schon die Tatsache, dass der Vorhang hoch ging, ein kleiner Triumph. Über die Pandemie. Aber auch über eine Politik, die Theaterdichtmachen mit effektiver Virusbekämpfung verwechselt.

Mit der Einladung des 80jährigen Regieneulings Markus Lüpertz ist dem neuen Meininger Intendanten Jens Neundorff von Enzberg ein echter Coup gelungen. Mal ganz abgesehen davon, wie man seine Inszenierung von Giacomo Puccinis Repertoire-Dauerbrenner als Musiktheater beurteilt: ein Gesamtkunstwerk der ganz eigenen Art ist es allemal geworden. So viel Medienrummel und Vorfeldaufmerksamkeit gab es selbst in der Theaterstadt Meiningen seit dem Nibelungen-Ring von Christine Mielitz, Alfred Hrdlicka und Kirill Petrenko vor zwanzig Jahren nicht mehr. 

Lüpertz pflegt zwar offensiv sein Image als Malerfürst. Sein persönliches Auftreten wird noch jedes Mal schlichtweg zum Hingucker. Schon als Person ein Kunstwerk, ist er aber auch ein fleißiger Arbeiter und charmanter Gesprächspartner. Mit seiner ablehnenden Haltung zum Regietheater, wie es heute allenorts, mal mehr, mal weniger überzeugend, gepflegt wird, hält er nicht hinterm Berg. Auch beim amüsanten Pressetermin im Schauspielfoyer vor der Premiere nicht. Dass er dort sogar mal kurz die Bühne verließ, weil ihm der Intendant ins Wort fiel, dann aber wieder versöhnt zurückkam, hatte einen eigenen Unterhaltungswert.

Für den musikaffinen Maler ist Oper dennoch kein Event, sondern erklärtermaßen Kunst. Eine eigene Welt und nicht die ästhetische Verlängerung der Wirklichkeit auf die Opernbühne. Mal abgesehen davon, dass Lüpertz durch seine mehrwöchige pure Anwesenheit in Meiningen und die Tatsache, dass er sich erstmals nicht nur als Ausstatter, sondern auch als Regisseur einer Oper versuchen würde, hat er Meiningen ein Großevent beschert. Mit drei selbst von ihm aus dem Off gelesenen poetischen Texten hat er zwar auch in die Vorlage eingriffen, aber dennoch seine wichtigste Ankündigung eingelöst. Er hat konsequent als Maler inszeniert. Beim rein Handwerklichen mit Hilfe seines Co-Regisseurs Maximilian Eisenacher. 

Das Ergebnis ist eine nahezu klassische in die Tiefe gestaffelte Prospektebühne geworden. Wofür Meiningen, mit seinem imposanten Original-Prospektemuseum voller Kulissen aus den Zeiten des Theaterherzogs Georg II., ein geradezu prädestinierter Ort ist. Lüpertz verriet, dass ein Teil seiner selbst gemalten Kulissen dort landen wird.

Nachdem der eher heitere Zwischenvorhang vor den fünf überlebensgroßen, gemalten Porträtköpfen der Bohème-Künstler hochgegangen ist, dominieren beim Blick in deren Behausung eher düstere Hintergrundfarben. Wodurch die Kostüme, die Lüpertz in seiner Manier ziemlich bunt angemalt hat, besonders hervorstechen. Da der Maler-Regisseur ganz bewusst die quasi neobarocke Vorstellung durchexerzieren lässt, dass die Sänger von der Rampe aus direkt ins Publikum singen sollten, führt beim ihm jeder Weg über ein paar zentral platzierte Stufen direkt nach vorn. Der mit Manuskripten beheizte Kanonenofen, die Stühle und Tische, samt Fisch und Wurst sind allesamt zweidimensional. Auf dem Weihnachtsmarkt bildet der (von Manuel Bethe einstudierte) tannengrün kostümierte Chor ein grün leuchtendes Weihnachtsbaumtableau. Die armen Künstler sind anverwandelte Commedia dell’arte Figuren mit zweidimensionalen Insignien ihrer Profession: Feder und Manuskripte für den Dichter Rodolfo (mit voller Tenorpower: Alex Kim), eine gemalte Staffelei samt Bild und Farbpalette für den Maler Marcello (Julian Younjin Kim), einen Instrumentenkasten für den Musiker Schaunard (Johannes Mooser), einen Doktorhut für den Philosophen Colline (Selcuk Hakan Tıraşoğlu). Monika Reinhard macht aus Musetta eine rot gelockte, kokette Kreation eigenen Rechts. Wenn sie ihren aktuellen Liebhaber Alcindoro (Thomas Lüllig in Hut und Mantel) öffentlich erniedrigt, kommt ein Hauch von komödiantischem Witz auf. Wenn ihr Liebhaber aus der Bohème-Truppe Marcello sie aber beschimpft und ihr schließlich auf die Pelle rücken will, und dafür einfach so in die Kulisse abgeht, dann ist das auch mal unfreiwillig komisch. Als die von Denzi Yetim durchweg überzeugend gesungene Mimi schließlich todkrank ist und unter Rodolfos Eifersucht leidet und selbst bei der Versöhnung auf Distanz und mit Abstand ins Publikum singt, dann ist das, jenseits jeden Coronaregelverdachtes, in vollem Vertrauen auf die emotionale Wucht der Musik von Lüpertz so gemeint. Aber zugleich doch auch doppelbödig. 

Im Graben schwelgen Philippe Bach und die Hofkapelle mit hörbarer Lust im Puccinisound zu der durchweg überzeugenden Ensembleleistung der Meininger Protagonisten auf der Bühne. Dabei haben auch das Meininger Urgestein Stan Meus (als Todesbote Parpignol), Raphael Hering als Benoit und Sergeant sowie Matthias Richter ihren bunt kostümierten, gut platzierten Auftritt.  

Dass Mimi im Stehen stirbt, ist maler-konsequent. Wenn dafür aber Rodolfo am Ende zusammenbricht und auf die Knie geht, dann haben die Psychologie und die Emotionen des Theaters der inszenierten Malerei doch noch für einen Moment ein Schnippchen geschlagen. 

Der Jubel und die stehenden Ovationen des Publikums für die Protagonisten und den Maler gaben ihm als Anwalt für die Kunst an sich an diesem Abend jedenfalls recht.

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