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Foto: Tom Schulze
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In die Freiheit entkommen – Die Musikalische Komödie in Leipzig entdeckt Albert Lortzings „Casanova“

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Ein Besuch der Musikalischen Komödie in Leipzig Lindenau umweht immer der dezente Hauch einer Zeitreise in die Vergangenheit. Es ist ein Vorstadttheater mit einer besonderen Aura, wirkt auf sympathische Weise wie aus der Zeit gefallen. Hat (neben der Staatsoperette in Dresden) als Haus für dieses eine Genre ein Alleinstellungsmerkmal. Und sein eigenes, sehr treues Publikum. Eines, das zuverlässig nörgelt, weil in der gerade wieder eröffneten und aufgestylten Theaterkneipe (namens Lortzing!) gleich nebenan, alle Erinnerungsfotos wegrenovierten wurden.

Wenn Albert Lortzing (1801-1851) auf dem Programm steht, dann ist das auch eine Reise in die eigne etwas fernere Vergangenheit. Im Unterschied zu dessen unverwüstlichen Dauerbrennern „Zar und Zimmermann“, „Waffenschmied“ oder „Wildschütz“ kommt sein „Casanova“ wie eine Ausgrabung daher. Ganz so wie der sprichwörtliche Frauenheld aus dem venezianischen Kerker mit Hilfe von Eisenfeile, Strickleiter und Gondel geradewegs auf einen Maskenball und dann in die Freiheit spaziert. Über die Freiheit – also die „richtige“, die in einer Revolution erkämpft wird – hat der Bühnentausendsassa Lortzing im Revolutionsjahr 1848 sogar eine ganze „Freiheitsoper“ geschrieben. Die Originalfassung dieser „Regina“ konnte erst 150 Jahre später (von Peter Konwitschny in Gelsenkirchen) uraufgeführt werden und war zuletzt vor zwei Jahren in Meiningen zu sehen. Da staunt man nicht zu knapp, was der populäre Spielopern-Komponist so alles noch drauf hatte.

Wenn in seinem „Casanova“, der 1841 in Leipzig herauskam, also der weinselige und geschichtsversessene Kerkermeister Rocco (Fidelio lässt grüßen) die Republik hochleben lässt und der Titelheld die gleich eingangs besungene „Freiheit“ am Ende höher schätzt, als das Verzeichnis seiner Eroberungen in der Damenwelt, so darf man Lortzing durchaus unterstellen, dass er es so gemeint hat, wie wir uns den subversiven fortschrittlichen Geist „unserer“ Komponisten gerne wünschen. Natürlich hinter der Maske einer deutschen Opéra-comique versteckt, so dass es für die Zensur nicht zu fassen war. 

Lortzing war von 1833-1845 am Leipziger Stadttheater Schauspieler, Sänger und Kapellmeister. Nun flicht bekanntlich die Nachwelt dem Mimen keine Kränze, dem Komponisten aber schon. Und die MuKo ist genau der Ort, wo dieser „Casanova“ hingehört. Als das, was er ist. Eine Komödie mit einer halbwegs nach vollziehbaren Handlung über Liebe und Eifersucht, mit einem berühmten Helden, einer verschleierten Schönen, einem reichen aber etwas dümmlichen Bräutigam, den die Braut nicht will. Und einer kleinen Maskenball-Intrige, die in manchen Parlandopassagen ihren berühmten Nachfolger in der „Fledermaus“ vorweg nimmt. Und alles mit einer nicht übermäßig aus dem Lortzing-Rahmen fallenden, aber doch flotten und flüssig erzählenden und sich in schmissige Ensembleszenen fügenden Musik, die es gelegentlich auch mal auf zungenbrecherisches Rossini-Tempo bringt. Stefan Klingele kann sich auch da auf die Kompetenz seines Orchesters voll verlassen. 

Chefregisseur Cusch Jung versucht gar nicht erst, gegen das Genre zu bürsten. Mit seinem bewährten Gespür für Timing und der Sorgfalt mit der er jede Peinlichkeit bei gesprochenen Passagen vermeidet gondelt er sozusagen mit ihm. Setzt auf Venedig-Bilder, die jeder im Kopf hat. Den Blick auf den Dogenpalast vom Wasser aus und mit sanftem projizierten Wellengang auf den Vorhang. Dann mit einer Mini Rialtobrücke und viel blitzblanker Uniform- und Kostümfolklore. Beim venezianischen Adel macht Ausstatterin Beate Zoff daraus eine opulente Kostümorgie. Schade, dass der Doge nicht zu sehen ist, wenn er – angeblich im Hintergrund – vorbei fährt. Casanovas Zelle liegt unter Zinnen (nicht unterm Bleidach) und hat Meerblick. Ihr ist leicht zu entkommen, zumal wenn er auf den Ball will, wo die angebetete Schöne offiziell unter die Haube gebracht werden soll. Was der so zwielichtige wie alle faszinierende Held natürlich verhindert. 

Den gibt (in der besuchten Reprise am 12. Juni) Radoslaw Rydlewski (als Zweitbesetzung, alternierend mit dem Premieren-Casanova Adam Sanchez) mit schlanker Gestalt und (allzu) enger Höhe. Wenn ihn sein Konkurrent Gambetto in der Zelle besucht, dann bringt Hinrich Horn mit dem vokalen Glanz auch jene Portion Ironie mit, die Spaß macht und die auch Michael Raschle seinem Festungskommandeur auf die Perücke pudert. Für Milko Milev ist der Kerkermeister, wenn er philosophiert und singt, ein gefundenes Komödiantenfressen. Magdalena Hinterdobler ist für die zupackende Klugheit des einfachen Mädchens an der Seite von Schliesser Peppo (Andreas Rainer) zuständig und Lilli Wünscher für die Aura der begehrten Schönen Rosaura, die Casanova am Ende kriegen könnte, aber dann doch nicht nimmt. Der Freiheit wegen. … 

  • Weitere Aufführungen: 19., 29. & 30. Juni

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