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Pearl Jam: Gigabot.
Pearl Jam: Gigaton.
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Irgendwo dazwischen – Pearl Jam veröffentlichen „Gigaton“

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Wie immer, wenn Pearl Jam seit Ende der 1990er Jahre ein Album veröffentlichen, spricht man von der „letzten verbliebenen Grunge-Band“, von den „Urgesteinen des Grunge“ oder wahlweise der „letzten Rockband, die die Welt verändern könnte“. Am 27. März 2020 war es nun soweit. Nach sieben Jahren Studiopause erschien „Gigaton“. In den Zehnerjahren nur ein einziges Studioalbum (Lightning Bolt, 2013) zu veröffentlichen, muss man sich leisten können. Offenbar können sich Eddie Vedder, Mike McCready, Stone Gossard, Jeff Ament, Matt Cameron das erlauben.

Was insbesondere daran liegt, dass Pearl Jam schon lange keine Album-Band mehr sind. Diesen Fehler darf man eigentlich nicht machen. Zu versuchen, ihre Alben einzuordnen. Ihre Alben zu katalogisieren. Pearl Jam machen seit vielen Jahren nämlich das, was man unter der so oft strapazierten „künstlerischen Freiheit“ wohl tatsächlich versteht. Wenig Zwänge gibt es da, denen sie unterliegen. Trotz fehlender Alben sind sie nämlich mehr oder weniger konstant auf Tour. Suchen sich stets spezielle Spielorte aus. Und machen sich dadurch desgleichen rar. Sorgen für kein Überangebot. Sie veröffentlichen ihre Shows als offizielle Bootlegs zu einem akzeptablen Preis um die zehn Euro. Wissend freilich, dass ihnen die Pearl Jam Familie über alle Kontinente zu Liveshows folgt. Jede Show hat eine eigene Setlist. Songs, die zwei Tage vorher zu hören waren, verschwinden plötzlich für zwei Jahre aus dem Live-Repertoire.

Pearl Jam verknüpfen ihre Musik mit visuellen Künsten (jeder Spielort bekommt ein persönliches Tourplakat), bieten seit Jahrzehnten einen eigens erschaffenen Fanclub (mit diversen Privilegien) an oder unterstützen mit ihrer „Vitalogy-Foundation“ gemeinnützige oder soziale Projekte. Das alles läuft irgendwo dazwischen. Nicht zu laut, dass man es satthaben oder als streberhaft einstufen könnte, aber auch nicht all zu leise, als dass man es nicht mitbekäme.

Man kann Pearl Jam für diese Kunstauffassung und deren Umsetzung nur Respekt zollen. Und natürlich. Irgendwo dazwischen kommt jetzt „Gigaton“. Das elfte Studioalbum. Zwölf Songs. Die, und das ist vielleicht eine einzige – aber für Rockmusik keine überraschende – Gemeinsamkeit aller Pearl Jam-Alben, Zeit brauchen. Die Songs kommen vermeintlich glatt poliert daher. Digital aufgeplustert. Hier und da elektronische Spielereien. Und nach dem ersten Hören neigt man dazu, leichtfertig zu sagen: Okay. „Gigaton“ ist ein Pearl Jam-Album. Mit Songs, die vergessen sein werden. Und mit Songs, die sich live zu Klassikern entwickeln werden. Doch vielleicht macht man sich das speziell bei „Gigaton“ zu einfach. Denn die nächsten Hördurchgänge offenbaren Wahrhaftiges.

Näher als auf „Gigaton“ war Pearl Jam dem Grunge seit den frühen 90er Jahren nicht mehr. Die Gitarren von Mike McCready und Stone Gossard signalisieren Macht. Jeff Ament und Matt Cameron parken einen Rhythmus-Bus unter den Songs. Ein Rhythmus, der in seiner Fülle und seiner irreparablen Dominanz einzigartig scheint. Und irgendwo dazwischen, in dieser vordergründigen Instrumentenlastigkeit, gibt es noch Eddie Vedder. Der diesmal gar nicht so auffällt. Weil stimmlich brillant. Wie immer. Aber sich sehr zurücknimmt. Und den Rest gewähren lässt. Deutlich zu hören bei Songs wie „Who Ever Sad, Superblood Wolfmoon, Quick Escape, Alright, Seven O‘ Clock oder River Cross“. Das war bei Alben wie „Ten“, „Vs.“ oder „Vitalogy“ noch anders. Da setzte man bewusst auf den Vedder-Effekt, der manch unausgegorenen Song dank Stimme und Timbre zu einem Klassiker konvertieren ließ.

Bei „Gigaton“ scheint Pearl Jam nun die Mitte gefunden zu haben. Die selbstverständlich – irgendwo dazwischen – liegt. Zwischen ruhigen Nummern wie „Comes Then Goes“ oder „Buckle up“. Zwischen kratzigen und aufwühlenden Songs wie „Superblood Wolfmoon“ oder „Quick Escape“. Oder zwischen Experimenten wie „Dance Of The Clairvoyants“ und „Seven O‘ Clock“. Der deutlichste Beweis jedoch, dass Pearl Jam ein mutiges Album gelungen ist: Jeder Song des Albums funktioniert als Soundtrack des einstigen Grunge- Films „Singles – Gemeinsam einsam“. Augen schließen. An das Seattle der frühen 90er Jahre denken. Und irgendwo dazwischen läuft „Gigaton“.

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