Hauptbild
Johann Dismas Zelenka, Erste Seite aus der Stimme für Violone ò Tiorba zu der 4. Sonate g der 6 Sonate a due Hautbois et Basson con due bassi obligati (1715/16), Autograph. Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Mus. 2358/Q/3 (= Cd 13).
Johann Dismas Zelenka, Erste Seite aus der Stimme für Violone ò Tiorba zu der 4. Sonate g der 6 Sonate a due Hautbois et Basson con due bassi obligati (1715/16), Autograph. Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Mus. 2358/Q/3 (= Cd 13).
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Jan Dismas Zelenka – eine kleine Würdigung zum 275. Todestag (mit Hörtipps)

Publikationsdatum
Body

Jan Dismas Zelenka war schon zu Lebzeiten ein Pechvogel – und blieb es auch in den ersten zweihundert Jahren nach seinem Tod am 23. Dezember 1745. Am Dresdner Hof, an dem er unter August dem Starken und dann unter Friedrich August in der Hofkapelle zunächst als Kontrabassist und ab 1720 als katholischer Kirchenmusiker angestellt war, vertrat er zunächst ohne zusätzliche Vergütung den kränkelnden Heinichen. Nach dessen Tod 1729 wurde ihm der zwanzig Jahre jüngere, weltläufige Hasse vorgezogen, dessen Musik moderner, eingängiger klang. Aber mit einer geistlichen Musik, die noch dazu mit allen kontrapunktischen Wassern gewaschen war – und einer solchen hatte sich Zelenka mit Leib und Seele verschrieben – war ohnehin weniger Staat zu machen als mit großen Bühnenwerken. Und so blieb der 1679 geborene Böhme Zelenka noch hundertfünfzig Jahre länger vergessen als der Thüringer Johann Sebastian Bach, der bekanntlich ebenfalls keine Oper hinterließ.

Dabei schätzten sich beide Tonsetzer nachweislich gegenseitig. Die klingende Evidenz legt nahe, Bach und Zelenka als Kirchenkomponisten auf eine Stufe zu stellen, auch wenn der Protestant Bach und der Jesuit Zelenka andere Arbeitsschwerpunkte setzten: der erstere (deutschsprachige) Kantaten und Passionen, der letztere (lateinische) Messen und Motetten. Doch die Wiederentdeckung Zelenkas in den 1970er Jahren nahm zunächst einen Umweg über eher untypische Belege seines Genius‘ – und das auch noch von der Schweiz aus: Heinz Holliger setzte sich für die sechs Oboensonaten ein und wirkte auch im Rahmen der Camerata Bern bei den überlieferten neun Orchesterwerken mit; die Aufnahmen erschienen damals in zwei Plattenboxen der renommierten Archiv Produktion.

Die in Basel beheimatete Schola Cantorum Basiliensis produzierte 1982 für die Deutsche Harmonia Mundi eine nicht zuletzt dank Solisten wie dem jungen René Jacobs bis heute unübertroffene Darstellung der Lamentationes Jeremiae Prophetae. Und zwei Jahre später machten sich wiederum Berner Kräfte unter Jörg Ewald Dähler für Claves an eine erste Darstellung des Requiems in c-Moll, eines von vieren. Und endlich publizierte auch Supraphon in Prag (damals noch hinter dem Eisernen Vorhang) nach unbeachtet gebliebenen Vorstößen in den sechziger Jahren einen repräsentativen Drei-Platten-Querschnitt durch instrumentale und vokale Werke des großen Landsmannes. Von da an begann sich die frohe Botschaft vom Glanz, Tiefgang und Erfindungsreichtum der Zelenkaschen Musik über ganz Europa zu verbreiten.

Frieder Bernius etwa befasst sich seit nunmehr dreißig Jahren mit dem Böhmen – den Anfang hatte die Missa Dei Filii aus Zelenkas unvollendetem Zyklus der sechs letzten Messen gemacht. Bernius‘ aktuelle Zelenka-Auseinandersetzung, wiederum mit dem Kammerchor Stuttgart, gilt der nach ihrer Rekonstruktion (die autographe Partitur wäre 1945 um ein Haar verbrannt) ersteingespielten Missa Sancti Josephi von 1732, der von ihrer Besetzungsstärke her aufwändigsten Messvertonung Zelenkas (Carus). Keine Geringere als Julia Lezhneva übernahm den Sopranpart in diesem an Prachtentfaltung nicht sparenden Opus.

Václav Luks, Leiter der in Prag ansässigen Ensembles Collegium 1704 und Collegium Vocale 1704, wagte seinerseits ein interessantes Experiment: Die „Missa 1724“ (Accent) hat es so nie gegeben, vielmehr hat Luks aus einzeln überlieferten Messesätzen der 1720er Jahre, die eine übereinstimmende Besetzung aufweisen und tonartlich zusammenpassen, ein neues Werk geformt, welches so homogen wirkt, dass die unterschiedliche Provenienz seiner Teile nicht auffällt, zumal sich diese als so hochkarätig erweisen, dass es eine Verschwendung gewesen wäre, sie noch länger im Archiv verstauben zu lassen.

Eine Schweizer Formation wiederum, namentlich die Accademia Barocca Lucernensis unter ihrem Leiter Javier Ulises Illán, verantwortet das instruktiv komponierte Programm „Sacred Music for Dresden Cathedral“ (Pan Classics). Darin werden jeweils ein Miserere und ein Confitebor tibi von Zelenka und Hasse einander gegenübergestellt, wobei die beiden Miserere-Vertonungen sogar die Tonart c-Moll teilen. Zelenkas viel kürzere Version von 1738 geriet umso erschütternder. Es ist davon auszugehen, dass die Gläubigen von einer damals wie heute derart emotional aufwühlenden Musik aus ihrer wohligen Passivität gerissen und zu einer Auseinandersetzung mit den Textinhalten geradezu gezwungen werden. Wohl deshalb findet sich auch bei keiner der hier vorgestellten Aufnahmen aus den letzten beiden Jahren eine Spur von Routine oder ein Musizieren und Singen auf Autopilot, sondern ein durchweg spürbares Engagement aller Beteiligten. So auch in der 1741 vollendeten Missa Omnium Sanctorum, der letzten von Zelenkas 21 Messen. Ruben Jais dirigiert LaBarocca, eine italienische Vokal- und Instrumentalformation. Als Starsolist glänzt hier der Tenor Cyril Auvity (Glossa). Hoffen wir, dass es wie schon bei Zelenkas wunderbarer Weihnachtsmesse (Missa Nativitatis Domini) nicht bei den Erstaufnahmen bleibt und einige dieser konkurrenzlosen Werke einen festen Platz im Repertoire erobern.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!