Hauptbild
Frank Albrecht (Puck; mit Besen) und Kinderchor der Oper Frankfurt inklusive Solist*innen (Elfen). Foto: Monika Rittershaus.
Frank Albrecht (Puck; mit Besen) und Kinderchor der Oper Frankfurt inklusive Solist*innen (Elfen). Foto: Monika Rittershaus.
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Klangsinnarm und harmlos: Benjamin Brittens „A Midsummer Night‘s Dream“ in Frankfurt

Publikationsdatum
Body

Zum fünften Mal führt Brigitte Fassbaender Regie bei Brittens „A Midsummer Night‘s Dream“. Die Realisation an der im Bockenheimer Depot der Frankfurter Oper bleibt blass: „da ist nichts Gespenstisches, Subversives, Freches zugange“, findet unser Kritiker Dieter David Scholz. Das liege auch im „allzu vorsichtigen Dirigat des britischen Frankfurt-Debütanten Geoffrey Paterson, das ohne dramatisches Temperament Kraft und gestalterische Chuzpe die Musik Brittens weitgehend teilnahmslos buchstabiert.“

Am 11. Juni 1960 wurde „A Midsummer Night‘s Dream“ von Benjamin Britten anlässlich der Wiedereröffnung der Jubilee Hall bei dem von ihm und Peter Pears gegründeten Aldeburgh Festival uraufgeführt. Das Libretto verfasste der erfolgreiche englische Komponist gemeinsam mit seinem Lebensgefährten. Dabei wurde die als Vorlage dienende und von Brittens Vorgängern vielfach vertonte gleichnamige Komödie William Shakespeares von fünf auf drei Akte verkürzt und weitgehend in Shakespeares Wortlaut belassen. Nun kam diese Oper am Bockenheimer Depot, der attraktiven zweiten Spielstätte der Frankfurter Oper heraus. Regie führte Brigitte Fassbaender, einst eine der führenden Mezzosopranistinnen, dann Operndirektorin in Braunschweig und Intendantin in Innsbruck. Sie ist längst eine vielbeschäftigte Regisseurin und hat das Stück schon viermal inszeniert (Amsterdam 1993, Tel-Aviv 1994, Braunschweig 1995 und Innsbruck 2010).

In einem zauberischen Wald nahe Athen herrschen Eifersucht und Ehestreitigkeiten zwischen dem Herrscherpaar des Elfenreichs, Oberon und Titania um einen faszinierenden jungen indischen Prinzen. Oberon beauftragt Puck, ihm einen Zaubersaft zu beschaffen, der Männer wie Frauen in jedwede Kreatur, die man nach dem Erwachen erblickt, verliebt macht. So will er sich Titania vom Leib schaffen, um den „indian boy“ für sich zu haben. Der Wald wird zum magischen Ort fortwährender Verwandlungen: Der Weber Bottom, der mit seinen Freunden ein Theaterstück zur Hochzeit des Herzogspaares einstudiert, verwandelt sich in einen Esel, in den sich die Elfenkönigin Titania verliebt. Und dann beträufelt Puck auch noch versehentlich die falschen Lider zweier schlafender Liebespaare mit dem Nektar der Zauberblume und löst dadurch ein Verwirr- und Verwechslungsspiel der Gefühle aus. Glücklicherweise ist am nächsten Morgen ist der erotische sommerliche Traum- Spuk des Liebesdurcheinanders, vorbei.

Brigitte Fassbaenders Spuk, Gefühlschaos und Elfenzauber hält sich allerdings in Grenzen, zauberisch, poetisch oder gar erotisch ist da wenig, schon wegen des wenig einschmeichelnden Bühnenbilds von Christoph Fischer. Er hat eine weiße, variable, drehbare und aufklappbare Bühnenkonstruktion mit roten Baumskeletten, etwas Schilf, perlmuttfarbenen Steinen und weißen Phantasiegewächsen in den grossen Raum des Bockenheimer Depots gestellt. Diese „Bühne“ wird von den aus allen Himmelsrichtungen herbeieilenden Darstellern beklettert, bestürmt, bespielt. Auch die biederen und einfallslosen Kostüme von Anna-Sophie Lienbacher tragen nicht zu einer irgendwie faszinierenden Aufführung bei, es sind durchweg austauschbare, wenig charakteristische, androgyne, mit roten Bändern und Fetzen behangene „Priesterlook“-Bühnengewänder, was die Elfen und Geister angeht sowie moderne Straßenanzüge und Casual wear, was die Handwerker und menschlichen Liebespaare angeht. Dass Oberon wie eine manierierte Dragqueen mit hochgeschraubter Damenperücke auftreten muss, hat sich mir nicht erschlossen, ebensowenig wie das betont ungelenke Auftreten des reichlich betagten Pucks (Frank Albrecht) mit Gummikopfputz eines Hahnenkamms, oder sollte es Reptilisches meinen? Eine Grotesk-Charge, die nichts von einem schelmischen, närrischen Kobold, den man erwartet, schon gar nichts Erotisches. Überhaupt ist Eros in dieser Mitsommernachts-Partnertauschkomödie ziemlich abwesend, ganz zu schweigen von den Abgründen und Abnormitäten, die das Stück ja andeutet und nahelegt. Statt in einen Esel mit langen Ohren (Symbol außerordentlicher animalischer Sexualität) wird Bottom in einen Kürbiskopf verwandelt. Diese Entsexualisierung ist bezeichnend für die Verharmlosung und Banalisierung, die die Regisseurin dem Stück antut. Selten hat man einem derart langweiligen und nichtssagenden „Midsummer night’s dream“ beigewohnt. Auch die Elfen gehen über braves Kinderballett (Ringelpietz mit Anfassen) nicht hinaus, da ist nichts Gespenstisches, Subversives, Freches zugange.

Die pralle Shakespeare-Komödie voller Liebeswahn und Dramatik, Elfenträume, Rüpel-Szenen und der Tragikomik der Hingabe einer zarten Feenkönigin an einen verliebten Esel in einer schwülen Sommernacht wird durch die Inszenierung Lügen gestraft. Aber auch die musikalische Sprache Brittens, die ja an sich poetisch, geheimnisvoll, komisch, drastisch und immer von überragender handwerklicher Meisterschaft zeugt, wird nicht annähernd angemessen realisiert. Die in allen Farben schillernde Instrumentation, die ins tiefe Dickicht der Gefühle führt, ins emotionale Unterholz gewissermaßen, verbleibt in Frankfurt in harmlos-bravem Niemandsland.

Das irrlichternde harmonische Klangweben im Elfenreich kommt entschieden zu kurz im allzu vorsichtigen Dirigat des britischen Frankfurt-Debütant Geoffrey Paterson, das ohne dramatisches Temperament Kraft und gestalterische Chuzpe die Musik Brittens weitgehend teilnahmslos buchstabiert. Auch wenn Paterson im zweiten Teil des Abends sich endlich etwas aus seiner Zurückhaltung herauswagt, das Musizeiren „aufdreht“ und tatsächlich Klangsinn beweist: In diesem Dirigat treffen – wie bei der Inszenierung – keine wirklich auflodernden Begierden oder gar heimliche Laster aufeinander.

Eigentlich war die Oper für eine Kammerorchester-Besetzung entstanden, doch Britten erweiterte später die Partitur für ein größeres Orchester. Das Ergebnis ist eine farbenreiche Komposition, die mit Harfenglissandi, Xylophon und Celesta für die Elfenwelt aufwartet, neben Oberons Countertenor, Titanias Koloraturen und Pucks gesprochenen Worten. Die Liebenden hingegen werden von Streichern und Holzbläsern begleitet, während die Szenen der Handwerker durch tiefe Holz- und Blechbläser, Kontrabässe und Schlagzeug charakterisiert sind. Was für eine Musik, gewagt wie das Sujet! Wenig gewagt kommt sie in Frankfurt daher. Man spielt übrigens eine Mischfassung.

Immerhin verfügt die Aufführung über beachtliches sängerisches Niveau. Aus dem großen, insgesamt überzeugenden Ensemble ragen der farbenreiche, großstimmige persisch-kanadische Countertenor Cameron Shabazi als Oberon hervor, aber auch die virtuose ukrainische Sopranistin Kateryna Kasper, der virile Bass Thomas Faulkner als Theseus, die schönstimmige Hippolyta von Zanda Švede, der amerikanische Tenor Michael Porter als Lysander, Danylo Matviienko als Demetrius, die Mezzosopranistin Tamara Gura als Hermia, die Polin Monika Buczkowska als Helena und der britische Bass Barnaby Rea als Bottom, um nur die Wichtigsten zu nennen. Eine geglückte Ensembleleistung wie gesagt, zu der auch die Solist*innen des Kinderchores, das Frankfurter Opern- und Museumsorchester und der Kinderchor der Oper Frankfurt (Leitung Alvaro Corral Matute) beitragen. Doch die Aufführung als Ganzes darf man alles Andere als geglückt oder gar als beglückend bezeichnen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!