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Demo vor dem Theater. Foto: Joachim Lange
Demo vor dem Theater. Foto: Joachim Lange
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Kunst in Demokratien: Debüt mit Hindernissen – Anna Netrebko in Wiesbaden

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Bei den Maifestspielen in Wiesbaden gab Anna Netrebko ihr Debüt als Abigaille – in einer konzertanten Aufführung, die sich gleichwohl kaum politischer denken lässt.

Unpolitisch ist Verdis „Nabucco“ eigentlich nie. Was bei dem Plot auch schwer vorstellbar ist. Außer vielleicht in Italien – aber auch da wird zumindest der Gefangenenchor (als da capo oft sogar vom Publikum) als heimliche Nationalhymne zelebriert und der Komponist und die einstige Heimat der Oper gefeiert. Bei Nabucco-Inszenierungen kann es aber auch im Saal ziemlich lautstark zur Sache gehen, wenn die Musik schweigt. Bei Peter Konwitschny krachte in der Semperoper 1996 ein Panzer durch die Tempelmauern und der Gefangenenchor kam (vor der Pause) zunächst nur aus dem Radio. Johann Kresnik überwarf sich 1999 noch vor der Premiere in Saarbrücken mit dem Dirigenten, weil er die Internationale auf den Gefangenenchor folgen lassen wollte. In Berlin brachte Hans Neuenfels das Premierenpublikum ein Jahr darauf so in Rage, dass man in einer Kritik von Pogromstimmung in der Deutschen Oper lesen konnte. Dass bei den vorigen Erfurter Domstufenfestspielen der Chor der vom Völkermord bedrohten Hebräer im Stück ukrainische Fahnen aus den Gewändern zogen und am Ende Nabucco als Putin-Widergänger erschossen wurde, war dann schon eher ein Fall von gezielt, aber nicht getroffen. 

Den politischsten „Nabucco“ gab es gleichwohl jetzt in Wiesbaden als Auftakt der dortigen Maifestspiele. Dabei stand in dem prunkvoll mondänen Theater nicht mal eine Inszenierung auf dem Programm, sondern „nur“ eine konzertante Aufführung. Die war aber mit einem „Rahmen“ versehen, der es in sich hatte. Der streitbare Intendant Uwe-Erik Laufenberg hatte Anna Netrebko eingeladen, ihr Rollendebüt als Abigaille zu geben. Diese Personalie sorgte für eine Aufregung sondergleichen. 

Die Russin, die auch eine österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, war nach dem russischen Überfall auf die Ukraine in die Kritik geraten, weil sie sich zunächst nicht, und dann für manche nicht überzeugend genug gegen den Krieg ausgesprochen hatte. Netrebko eignet sich schon wegen ihres Starnimbus als Projektionsfläche. Auch für Hass.

Zum Wiesbadener Prolog gehörte der Druck, den Politiker des Landes und der Stadt auf den Intendanten ausübten, der veröffentlichen Mehrheitsmeinung zu folgen und Netrebko wieder auszuladen. Soweit, Kunst zu verbieten, ging man zwar nicht und der Vertrag des Intendanten wird eh nicht verlängert. Aber Schirmherrschaft und Empfänge durch Stadt und Land wurden gecancelt. Also weniger Festspielglanz. Dafür gab es einen Aufmerksamkeitsbonus in den Medien. Eine Bürgerinitiative wollte über Tausend Demonstranten mobilisieren, gekommen (woher auch immer) waren etwa 200, maximal 300 ukrainische Aktivisten. Die skandierten vor, während und nach der Vorstellung „No-Netrebko“- und „Schande“-Sprechchören, sangen die Nationalhymne (mit Begleitung durch einige Orchestermusiker), machten Kuhglockenlärm und attackierten die Besucher (ausschließlich verbal) als „Putin-Unterstützer“. Auf einem zentralen in jede Kamera und jedes Handy gehaltenes, blutrot unterlegtem Plakat war zu lesen: „Die russische Kultur ist ein tödliches Virus“. Dazu etliche direkt auf Anna Netrebko zielende wie „Deine Stimme ist blutig“ usw. 

Diskussion ist hier kaum möglich und auch nicht gewollt gewesen. Ex-Botschafter Andrej Melnyk dürfte daran seine Freude haben. 

Immerhin entspannen sich unter den Zuschauern auch etliche Diskussion, die die unterschiedlichen Positionen in der gegenwärtigen kontroversen Debatte ebenso widerspiegelten, wie das Für und Wider zur Veranstaltung und der Haltung des Intendanten. Ein nicht unerhebliches Polizeiaufgebot sicherte mit bemerkenswert gelassener Umsicht alles ab. So dass man am Ende, nicht nur das exzellente Rollendebüt eines nach wie vor stahlkräftigen Weltstars miterleben konnte, sondern alles in allem eine Demonstration von funktionierender Demokratie, die eben auch lautstark demonstriertes Pro und Contra aushält und dafür eine Form findet. Dass die Kultur hier den Diskurs ermöglicht – dessen Spielraum die veröffentlichte Meinung derzeit immer mehr aufgibt, spricht zwar für die Bedeutung, die die Kultur noch hat, weniger aber für den Zustand der öffentlichen Diskursräume. Die ukrainischen Opfer des russischen Überfalls haben jedes Recht, sich zu empören und auch ihrer Verzweiflung Ausdruck zu verleihen. Sie müssen aber auch die Position aushalten, dass man Tschaikowsky oder Schostakowitsch, Tschechow oder Puschkin hierzulande als Teil der eigenen europäischen Kultur betrachtet und nicht für ein tödliches Virus hält. Und ebenso, dass man die jahrelang unisono vom Feuilleton und dem Boulevard gefeierte Anna Netrebko nicht als Agentin Putins mit „blutiger Stimme“ verdammt. 

Im Saal dann hatten Verdi, das Hessische Staatsorchester unter Leitung von Michael Güttler, die von Albert Horne und Ines Kaun auf der Bühne hinter dem Orchester postierten Chöre der Staatstheater Wiesbaden und Darmstadt und natürlich die Protagonisten unbehindert die Oberhand. Allesamt demonstrierten, dass dieser Verdi über die unmittelbar beim Zuhörer ankommende musikalische Emotion auch „pur“ seine Wirkung entfaltet. Aber natürlich waren die Zuschauer im ausverkauften Saal besonders auf Anna Netrebkos Abigaille gespannt. Und die erfüllte denn auch alle Erwartungen. Dass ihre Bühnenpräsenz auch ohne eine Inszenierung auskommt, war schon oft zu erleben. Ebenso ihre Qualitäten als Teamplayerin. Natürlich hat sie die große Divengeste drauf, noch dazu, wenn sie in gleich zwei so luxuriöse Gewänder wie hier auftritt. Wie pures Gold strahlend das eine und dunkel funkelnd das andere. War bei ihrem ersten Auftritt noch eine gewisse Anspannung bei ihren atemberaubenden Ausflügen in orgelnde Tiefen zu bemerken, hatte sich die nach dem ersten Szenenapplaus verflüchtigt. Und sie bot mit gewohnter Souveränität ihre nach wie vor imponierende Höhe und betörenden Piani. Ihre Stimme bleibt auch wohldosiert immer heraushörbar, ohne sich vorzudrängeln. Ioan Hatea als trompetenschmetternder Ismaele wird da einiges gelernt haben. Young Doo Park steuerte einen raumfüllenden Zaccaria bei und Fleuranne Brockway eine leidenschaftliche Fenena. Zeiljiko Lucic ist immer noch ein imponierender Nabucco, auch wenn seine Stimme beim vollen Krafteinsatz nicht mehr ganz so glänzt wie früher.

Der Beifall am Ende für alle war euphorisch – der für Anna Netrebko war es besonders. 

Die harte Kern der Aktivisten vor der Oper sorgte dann noch einmal dafür, dass niemand, der das Haus verließ, vergessen konnte, in welch belebten Zeiten wir allesamt leben.

 

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