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Foto: Kai-Uwe Schulte-Bunert
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Kurt Weills „Ein Hauch von Venus“ in der Staatsoperette Dresden

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Weills Broadway-Erfolg funktioniert auch in der Staatsoperette Dresden. Fröhliche Farbigkeit, Revue-Ausflüge machen den Abend rund. Dabei ist Matthias Davids, Leiter der Musicalsparte in Linz, mit seiner meisterhaft geschmeidigen, definitiv kantenlosen Regie auf der richtigen Weill-Spur, meint unser Kritiker Roland H. Dippel.

Wolfgang Schaller verabschiedet sich von seiner in der Spielzeit 2003/04 angetretenen Intendanz an der Staatsoperette Dresden. Herausragendes Ereignis dieser Jahre waren der Umzug des Ensembles von der Pirnaer Landstraße in das Kraftwerk Mitte. Schaller übergibt die Leitung eines der nur zwei deutschen Repertoiretheater mit dem Schwerpunkt Musical und Operette an Kathrin Kondaurow. Zum Abschluss besinnt sich der Theaterleiter, der mit einem umfangreichen Johann-Strauss-Zyklus und an der neuen Spielstätte vor allem mit Musical-Uraufführungen wie „Der Mann mit dem Lachen“ und „Zzaun!“ überregionales Interesse auf das Haus zog, noch einmal auf den ‚amerikanischen’ Kurt Weill – wie vor einigen Jahren bei „The Firebrand of Florence“. „Ein Hauch von Venus“ wurde ein gut anzusehendes und anzuhörendes Gesamtereignis.

Nach der Uraufführung am 7. Oktober 1943 gelang Kurt Weill mit „One Touch Of Venus“ in 567 Vorstellungen sein größter Musical-Erfolg am Broadway. Für die Bühnenfassung hatten S. J. Perelman und Ogden Nash den Roman „The Tinted Venus“ von F. Anstey gründlich bearbeitet. Marlene Dietrich wollte als antike Liebesgöttin im modernen Manhattan auf einmal nicht mehr viel Bein zeigen, sagte ihre Mitwirkung ab. Also wurde die Titelrolle für Mary Martin zum Triumph. Mit der neuen Übersetzung von Roman Hintze hatte das Musical in der zweiten Aufführung, gemessen an den hochsommerlichen Temperaturen erstaunlich gut gefüllten Zuschauerraum, großen Erfolg. Ein kleiner Teil des Publikums brachte dieser amerikanischen ‘Venus auf Erden’, die in weitaus näherer Beziehung zu „On The Town“ als zu Suppés „Schöner Galathee“ steht, keine allzu begeisterte Ehrerbietung entgegen. Dabei hat Weills Venus im Vergleich den entscheidenden Vorteil: Vor ihrem freiwilligen Rückzug nach Anatolien bringt sie es mit göttlicher Nonchalance zu einem fantastischen Schlafzimmerfinale, dem Bernsteins Matrosen JunX vergeblich hinterherhecheln.

Den Anspruch auf die vom Publikum geschätzten Schauwerte erfüllen die bunt beleuchtete Bühne, Judith Peters urban-adrette Kostüme und das Ballett in der genregerechten Choreografie von Francesc Abós genau. Vor allem in Hinblick auf fröhliche Farbigkeit. Etwas verstohlen signalisieren Hans Hadlochs Betonwände, dass es dabei um mehr gehen könnte: Nämlich um schlechte Chancen von (physischer) Liebe und deren lustvoll-zwanglos-ausgelassenen Komponenten in der Überzivilisation New Yorks kaum überlebensfähig scheinen. Die Verschiebung des Stücks aus den Vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts in die Gegenwart merkt man eigentlich nur daran, dass die neben Johanna Spantzel als Titelfigur das Ensemble überragende Winnie Böwe straffen Service und raffinierte Dominanz zu begeisternder Synthese bringende Sekretärin Molly auch zwischen Schwärmen und Pragmatismus die richtige Dosierung findet.

Die Aktualisierung – oder ist es doch ‘nur’ Zeitlosigkeit? – wirft ein trauriges Licht auf das scheinbar so unkomplizierte Geschlechtsleben. Die Figuren stecken einfach zu tief im Beruf wie der Millionär und Kunstmäzen Whitelow Savory (Christian Grygas mit rundum kompetenter, dabei etwas routinierter Ausstrahlung) oder zerstören die Ekstase des Augenblicks durch die schlaffe Zukunftsvision von Reihenbungalow mit Grillparty. Whitelow hat sich durch Mittelsmänner eine antike Statue entwenden lassen, die von einem anatolischen Stamm bewacht wird und einer seiner früheren Geliebten ähnelt. Weil der Friseur Rodney Hatch aus Jux seinen Verlobungsring an deren steinernen Finger steckt, wird Venus lebendig. Janik Harneit als blond-verbindlicher Rodney repräsentiert alle Tugenden der Dresdner Kompanie. Er kann gut spielen und hat telegenes Attraktivitätspotenzial. Aber emotionale Tiefen wie das Erschauern vor dem Einbruch des Göttlichen bleiben ihm zutiefst fremd. Nach diversen Umwegen beschenkt Venus dem von ihr umworbenen Rodney die sexuelle Begegnung seines Lebens und versteinert sich, weil Ehehygiene für die Göttin der Liebe die allerschlimmste aller Entgleisungen bedeutet. Immerhin hat sich Rodney gestärkt und selbstbewusst der Fesseln an seine prüde, quengelige Braut Gloria (Beate Korntner) und ihre dieser in nichts nachstehenden Mutter (Silke Richter) entledigt. Mit von der Partie sind unter anderem ein anatolischer Gesandter (Markus Liske), die die süße steinerne Last in die angestammte Tempelecke zurückwuchtet und der von Whitelaw Venus und den bevorzugten Rivalen Rodney auf die Fersen gesetzten Detektiv (Marcus Günzel) nebst Assistent (Gerd Wiemer).

Die Figuren werden gut bis sehr gut getroffen, in den meisten Fällen nicht allzu fein gezeichnet und hinter maßvoller Komödiantik erfreulich ernst genommen. Revue-Ausflüge in die Cowboyszene New Jerseys und der Abstieg der poetischer antiker Götter mit weißen Tuniken auf attraktiver Haut in die Niederungen der Zivilisation machen den Abend rund. Das Broadway-Musical um 1940 und die Berliner Revue-Operette erweisen sich als recht analoge Gebilde, wobei in dieser Produktion trotz reichlicher Effekte die umfangreichen, oft subtilen Dialogszenen mehr überzeugen.

Dabei ist Matthias Davids, Leiter der Musicalsparte in Linz, mit seiner meisterhaft geschmeidigen, definitiv kantenlosen Regie auf der richtigen Weill-Spur: Tempo und der Witz der Dialoge werden nicht von szenischer Extrovertiertheit verschüttet. Denn er zeigt, dass die etwas angemüdete Gesellschaft eigentlich nicht mehr reif ist für das Wunder der willigen Liebesgöttin von Manhattan. Venus ruft allerorten dazu auf, sich ohne emotionalen Ballast in die körperlichen Liebesfreuden zu stürzen und verstößt im Fall Rodney doch selbst gegen ihre Kardinalregel. Oder tut sie nur so? Pikantes Detail: Der Psychotherapeut (Dietrich Seydlitz) zeigt angesichts epischer Metaphern aus der antiken Mythologie professionelle Überforderung.

Die Musik Weills, der die Partitur gegen die Broadway-Konventionen selbst und echt mitreißend instrumentierte, hat viel Erstaunliches, Bewegendes und Lockendes. Einmal artikuliert sich Venus wie eine Walzerherzogin von Chicago und holt dann im sagenhaft bewegenden Song „Speak low“ für ihren Lover alle nur denkbaren Sterne vom Himmel, besser Olymp. Das Orchester der Staatsoperette sorgt in den intimen für einen dunklen Sound, in den zackigen Nummern wie „New Jersey liegt im Westen“ tönt es unter Peter Christian Feigel umsichtig und routiniert.

Erst verfließt Johanna Spantzel als Venus auf Erden vor Distinktion. Erotisches – und das ist viel gemessen am Musical-Gros der Entstehungszeit – modelliert sie mit weicher Mädchenstimme, die keinen Widerspruch duldet. Diese Venus ist keine Draufgängerin oder Domina, sondern hat in Gesang, Sprache und Bewegungen eine begehrliche Distinktion mit Stromstößen, die bis in die letzten Zuschauerreihen prickeln, perlen und knistern. Ein affirmatives Finale der Intendanz Schaller: Sensationelle Stückwahl und herausragende Einzelleistungen in einem bestens funktionierenden, dabei weitgehend überraschungsfreiem Gesamtpaket.  


  • Kurt Weill: Ein Hauch von Venus – besuchte Vorstellung: Di 25.06., 19:30 (Premiere: Sa 22.06., 19:30)  – wieder am Fr 12.07., 19:30  – Sa 13.07., 19:30 – So 14.07., 15:00 und Wiederaufnahme in der Spielzeit 2019/20 ab Sa 30.11., 19:30

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