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Theo Geißler. Foto: Hufner
Kurz-Schluss von Theo Geißler. Foto: Hufner
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Kurz-Schluss – Wie ich einmal als Quereinstiegs-Lehrer wirklich helfen wollte und ins Kittchen geriet

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Es ist schon fast wieder komisch, was einem so alles widerfährt, wenn man im hochseriösen redaktionellen Umfeld einer glaubwürdigen Kulturzeitschrift gewissermaßen der Hofnarr ist, zuständig für ein wenig Fun und viel Fake: Etliche Menschen haben mein Glösschen in der Ausgabe 4/20 unserer geschätzten PuK wohl allzu ernst genommen. Jedenfalls erhielt ich mit Hinweis auf meine angebliche Börsenkompetenz – gelogen wie gedruckt – an die 20 mehr oder weniger eindeutige Partnerschafts- und Heiratsangebote jedweden Geschlechtes. Ich antwortete natürlich sehr freundlich, aber ablehnend, obwohl da schon zwei, drei Sahneschnitten jedweden Geschlechtes dabei waren. Na ja, das Alter …

Meine Behauptung im gleichen Artikel, ich sei Spezialist für Quantenphysik – was ist das? – regte einen kultusministeriellen Lehrermangel-Beseitiger aus einem neuen Bundesland an, bei mir nachzufragen, ob ich nicht als offensichtlich hochkompetenter Quereinsteiger den Mathe-Unterricht an einem unter fürchterlichem Pädagogen-Mangel leidenden humanistischen Gymnasium übernehmen wolle. Meinen Einwand, ich gehöre schon rein altersbedingt zu einer bekannt nutzlosen Risikogruppe, fegte der hochengagierte Ministerialrat mit dem energischen Hinweis beiseite, es handle sich schließlich um digitalen Fernunterricht ohne jedwede Ansteckungsgefahr, gewissermaßen per Internet aus dem Home-Lehrerzimmer. Wenn ich wolle, könne ich auch noch verbeamtet werden, erhalte eine hilfreiche Fernschulung und ein feines monatliches Salär samt Pensionsberechtigung nach fünf Dienstjahren.

Vor allem das „feine Salär“ veranlasste mich – hilfsbereit wie ich bin – spontan zur Zusage. Also klemmte ich mich in meiner aktuellen Wohn- und Schlaf-Küche hinter meinen Super-Laptop, den ich bekanntlich vor fünf Jahren zum Hungerlohn noch in Diensten des Innenministeriums zwecks Test des Bundestrojaners geliehen bekam und seinerzeit aus Trotz als gestohlen gemeldet hatte. Es galt, verschiedene Updates durchzuführen und das allseits beliebte Video-Kommunikationsprogramm namens „Zoom“ zu installieren. Via E-Mail erhielt ich ein Passwort und somit zunächst Zugang zu dem für mich zuständigen Briefing-Programm. Im sogenannten Sachteil vervollständigte ich zunächst meine verschütteten Kenntnisse in den vier Grundrechenarten. Nach drei Wochen Training bestand ich mein erstes Examen und erhielt das Zeugnis der Lehrbefähigung summa cum laude.

Etwas mehr Mühe hatte ich mit den Aufgaben im Fach „Überleben im realen pädagogischen Umfeld“. Vermutlich dank eines falschen Links landete ich in der Sportabteilung. Weil es hier mangels persönlicher Kontrolle nur Beispielvideos samt anschließender schriftlicher Abfrage erreichter Ziele gab, erreichte ich im Sitzen sehr schnell das goldene Sportabzeichen. Ein wenig Schummeln war schon nötig. Verantwortungsbewusst bestätigte ich mir meine täglichen 50 Liegestütz, gefolgt von 100 Kniebeugen und noch mal 50 vollen Klimmzügen. Die nötige Beschreibung des Knieaufschwungs, des Kopfstandes und des Saltos aus dem Stand in „sachlicher Schriftform“ hatte ich mir ergoogelt und clever textlich verfremdet. Nach Rückskype mit meinem ministerialen Tutor erhielt ich dafür einen 30-prozentigen Gehaltsaufschlag für die Befähigung, ein zweites Fach zu unterrichten.

Mittlerweile hatte mich das üppige „Grundausrüstungspaket für geprüfte Quereinsteiger in den digitalen Lehrbetrieb in den Fächern Mathematik und Sport alle Schulstufen an humanistischen Gymnasien umfassend“ erreicht. Es enthielt vor allem eine mediale Kulissen-Grundausstattung. Schließlich sollten die Kids ihren Respekt vor mir nicht verlieren, weil im Hintergrund meines stets ernsten Philosophengesichtes, glaubwürdig dank Kreisglatze, systembedingt umrahmt von langen grauen Zotteln, sich nicht unbedingt meine seit Wochen angehäuften Pizza-Kartons stapelten. Ein mit dem griechischen oder russischen Alphabet und einigen mir völlig fremden mathematischen Formeln bedrucktes Bettuch sei als Hintergrund zu nutzen. Bei Bedarf könne ich auf einer beigefügten Billig-Bambus-Röhre den aus Styropor gefertigten Kopf von Archimedes ins Bild rücken. Ich bevorzugte, um mit ein wenig lockerem Gesprächsstoff motivierend zu starten, eine 3D-Replica von Che Guevara – letztlich ja auch ein Humanist eben der neueren Geschichte. Ein dickes Print-Charakter-Dossier mit dem Vermerk „Streng vertraulich“ enthielt sämtliche Infos über die Schülerinnen und Schüler meiner Klasse samt Kontaktadressen. Es waren nur noch vier, die Mathematik nicht in der zwölften Klasse abgewählt hatten – vom Schulsport waren aufgrund unterschiedlicher körperlicher Gebrechen, Dauermumps, Tastatur-Allergie, dysfunktionale Festspeicher-Überlastung – alle befreit.

Bestens vorbereitet, startete ich also meine erste digitale Unterrichtsstunde mit einem per WhatsApp angekündigten Video-Call per „Zoom“ bei der Klassensprecherin meiner 13c. Sie hatte zugesagt, die restlichen drei Schülerinnen und Schüler zum gemeinsamen „Schillern“ oder so ähnlich einzuladen. Ruck-zuck waren Bild-und Tonkontakt aufgebaut. Mir eröffnete sich eine Kissen-Totale erheblichen Ausmaßes, auf der es sich vier Menschlein unbestimmten Geschlechtes vermutlich vor einer Webcam mit vorgelagertem Laptop bequem gemacht hatten. „Hey Alter, welche Gruft hat dich denn ausgespuckt?“, nuschelte die etwas näher an die Cam gerobbte Klassensprecher/in? „Wir wollen uns aufs Mathe-Abi vorbereiten – ich bin euer Coach“, versuchte ich zeitgeistig zu replizieren, als mir im Hintergrund eine rote Fahne auffiel, ein weißer Kreis in der Mitte und ein schräg gestelltes Kreuz mit angewinkelten Ärmchen. „Wir wollen gar nix von dir, du linke Halbglatze. Schmeiß den Guevara ins Klo, piss drauf und verpiss dich in deinen Rolli und lass dich in den Schredder schieben.“ Statt des Live-Bildes auf meinem Monitor tauchte untertitelt mit „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ eine grausig plärrende Gruppe auf – Hassgejodel der übelsten Sorte. Humanistisches Gymnasium, dachte ich noch, da knallte es, meine Wohnungstür wurde aufgebrochen und ein SEK-Trupp quetschte sich in meine Wohn-Schlaf-Küche: „Auf den Boden, Hände auf den Rücken, Sie sind verhaftet wegen Verbreitung nationalsozialistischen Kulturgutes an Jugendliche und Diebstahl von Staatseigentum in Form eines Laptops.“ – In der U-Haft hatte ich viel Zeit, darüber zu rätseln, ob mir der gute alte Bundestrojaner – oder das verdammte Schnüffel-„Zoom“ diese üble Suppe eingebrockt hatte …

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur


 

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