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Mozart-Geschwisterwerk: Anders Eliassons Concerto für Geige und Bratsche uraufgeführt

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Das unerhört Neue an der Musik des großen Schweden Anders Eliasson (geb. 1947) liegt nicht in der Klangsensation als solcher. Doch gibt es heute keinen anderen bekannten Tonschöpfer, der in solche Dimensionen harmonischer Transzendenz und Schwerelosigkeit, Beweglichkeit und energetischer Dichte und Verwegenheit vorgedrungen ist wie er (das Unbekannte wollen wir nicht ausschließen).

Eliassons Schaffen ist in jeder Hinsicht von höchstem Karat: vollendete Beherrschung des harmonischen Raums in einer neugefundenen ‚freien Tonalität’, die sich vollkommen von den überlieferten Systemen emanzipiert hat; thematisch-motívische Verwebung auf allen Ebenen, die im gleichen Atemzug zwingend und frei wirkt; lebendige Rhythmik jenseits aller Mechanizität; Orchestration und virtuose wie idiomatische Behandlung der Instrumente von betörendem Glanz und letztem Schliff; überall unverwechselbare Individualität und eine Präzision, die das kleinste Detail ebenso umfasst wie die große Form, die sich in stets unvorhersehbarer und zugleich völlig organischer Weise entwickelt. Was auch immer man bereits von ihm kennt, das nächste Werk ist eine Überraschung, und doch ist stets sofort unverkennbar, aus wessen Feder die Musik stammt.

Nun kam in Helsinki sein vor wenigen Monaten vollendetes Doppelkonzert für Violine, Viola und Kammerorchester zur Uraufführung, gespielt von den Widmungsträgern Ulf Wallin und Lars Anders Tomter, begleitet vom Ostrobothnian Chamber Orchestra unter Juha Kangas. Die Aufführung profitierte vom phänomenalen Niveau aller Beteiligten sowie intensiver Einstudierung. Auch ist bemerkenswert, dass die beiden Konzerte am 25. und 26. November in der Finlandia Hall, bei denen das führende nordische Kammerorchester im Abonnement-Zyklus des Helsinki Philharmonic Orchestra spielte, beide vor vollbesetztem Saal stattfanden. Umrahmt wurde die Premiere von Haydns 89. Symphonie und der großen g-moll-Symphonie Mozarts in der Erstfassung ohne Klarinetten, und das Publikum verfolgte das Konzert mit kontemplativer Hingabe und nach den Eliasson- und Mozart-Darbietungen mit nicht enden wollenden, euphorischen Beifallsbekundungen.

Es sind nicht nur stilbewusste Klarheit und ausgefeilte Ensemblekultur, die man von Kangas’ Dirigaten längst kennt, sondern eine expressiv überbordende Intensität, der kein Risiko zu viel scheint und die in ihrer Körperlichkeit die Hörer in einen magischen Bannkreis zieht. Wie bei Mozart, ist auch bei Eliasson immer alles in Bewegung, was den Musikern wie den Zuhöhern ein Maximum an Gegenwärtigkeit abverlangt – keinen Moment stagniert der Fluss der Energie, keinen Moment verweilt die Musik in einer geschaffenen Atmosphäre.

Entgegen Eliassons Gepflogenheit der letzten Jahre, die ganze Gegensätzlichkeit in den Zusammenhang eines großen Satzes zu bündeln, ist das Doppelkonzert dreisätzig. Am Anfang steht ein symphonisch-konzertant durchgeformtes Allegro energico, das in seiner Mannigfaltigkeit besonders komplex angelegt ist. Es folgt ein Adagio misterioso, dessen unergründlicher Tiefe ein Siciliano-Charakter eingewoben ist, sicherlich einer der schönsten, unaffektiert ergreifendsten Konzertsätze seit Bartók oder Schostakowitsch. Das Finale Allegro con fuoco e poco ruvido reißt den Hörer wie ein Sturzbach mit sich fort, in hinreißender Virtuosität, die wie bei Mozart nie ins Oberflächliche entgleitet, und zum Ende setzt wie unterschwellig injiziert eine Art energetischer Feuerwalze ein, die im Handumdrehen eine Welle der Frenesie erzeugt, die jenseits von Hysterie oder äußerlicher Gewalt unerhörte Kräfte entfesselt.

Dieses Concerto, identisch besetzt wie Mozarts berühmte Sinfonia concertante für Violine, Viola und Orchester KV 364, ist ein wahres Geschwisterwerk des Mozart’schen – nicht im Stil (wo es keinerlei Gemeinsamkeit gibt), sondern im Geist der reinen Präsenz, Klarheit, Kraft, Flexibilität und formalen Stringenz unermesslich scheinender Mannigfaltigkeit – mit anderen Worten, wie Mozart auch: eine dramatische Apotheose der unablässig pulsierenden Lebensenergie.

Ab dem 4.12. ist 3 Wochen lang ein Mitschnitt des Konzerts zu hören unter:

http://arenan.yle.fi/audio/577818

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