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Photo: Rudy Amisano © Teatro alla Scala
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Musik wattiert die Heftigkeit der Körper – Wiener Festwochen: Luca Francesconis „Quartett“ nach dem Stück von Heiner Müller

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Die Wiener Festwochen präsentierten Luca Francesconis Musiktheater „Quartett“ in Co-Produktion mit der Scala. Das Zwei-Personen Stück wurde in Mailand bereits im vergangenen April gezeigt. Stéphane Lissner, Direktor des Opernunternehmens in der oberitalienischen Metropole und neben Luc Bondy bei den Festwochen an der mittleren Donau für Musik zuständig, sorgte für „Vernetzung“. Francesconi, 1956 in Mailand geboren, definiert sich – und das verweist auf seine ziemlich große Bandbreite – als Schüler von Azio Corghi, Karlheinz Stockhausen und Luciano Berio.

1990 gründete er das Agon Acustica Informatica Musica in Mailand, ein Zentrum für Neue Musik. International bekannt wurde er u.a. durch seine Oper „Ballata“, deren Uraufführung Achim Freyer 2002 am Théâtre de la Monnaie in Brüssel inszenierte. Aus der Retrospektive nimmt sie sich aus wie eine Vorstufe zur Arbeit an „Quartett“ (und diese musikalisch so differenziert und reich bestückte Oper könnte sich als „Hauptwerk“ nicht nur ihres Schöpfers, sondern des Jahrzehnts erweisen). Mit „Ballata“ ging es vor einem Jahrzehnt um die musikalisch weit ausholende und kräftig postmodern zupackende Lebensreise eines Seemanns mit Text-Elementen des britischen Romantikers Samuel Taylor Coleridge. Halb handelte es sich um die reale Schilderung einer Ausfahrt in südliche Breiten, halb um Alptraum und philosophischer Exkurs. Weniger Resonanz fand 2004 eine Gesualdo-Oper; das Thema des mordverdächtigen Aristokraten und Komponisten der Spätrenaissance halten bereits Alfred Schnittke und Salvatore Sciarrino besetzt.

„Quartett“ ist wohl so etwas wie eine unendliche Geschichte. Sie beginnt mit Adam, Lilith und Eva und nahm konkretere Konturen an mit dem 1782 in Paris publizierten Briefroman „Les Liaisons dangereuses“ von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos (1741–1803), der u.a. 1959 von Roger Vadim mit Jeanne Moreau verfilmt wurde, 1988 von Stephen Frears, im Jahr darauf von Milos Forman („Valmont“) und 1999 von Roger Kumble („Eiskalte Engel“). Francesconi hat sich die 13 Szenen, die er mit Musik versah, nach dem Stück „Quartett“ von Heiner Müller (1981) selbst eingerichtet (ohne des Weiteren noch einmal auf de Laclos zurückzugreifen).

Es wird auf Englisch und teilweise mit Engelszungen gesungen: von der Kunst der Verführung und der Gegensätzlichkeit männlicher und weiblicher erotischer bzw. sexueller Wünsche und Gewohnheiten – wobei sich die Rollen der Spiele, die zunehmend keine mehr sind, sondern erbitterter Machtkampf, vertauschen und verschränken. „Die Inbrunst unserer Körper muss gespielt werden“, lautet einer der Schlüsselsätze. Es geht also um „Liebe“ als Zeitvertreib einer gelangweilten Oberschicht und Begierden in einer gleichsam „reinen“ Versuchanordnung. Die erscheint äußeren Faktoren wie dem Alltag mit seinen Beschaffungspflichten und so lästigen Eintrübungen wie Miete- und Steuerzahlungen oder Bahnfahren völlig enthoben. Es geht um ordinäre Verbindung und Entzweiung der Geschlechter wie um differenziertes Verlangen, aber allemal um Aggregatzustände des Fleisches, das hier im Besonderen einen „eigenen Geist“ hat (und nur in einem Fall einen heiligen). So steht das Rohe und das Ausgebuffte zur Diskussion, selbst das Begehren der Jungfräulichkeit, das ja erfahrungsgemäß ein fragiler Zustand ist. Immer wieder auch die Gefühllosigkeit („Valmont, haben Sie ein Herz?“) und die Gewalt, z.B. in Form der „Vernichtung der Nichte“.

Alex Ollé lässt das erotische und obszöne Spiel auf Liebe und Tod zu den zunächst ganz luftig auftauchenden und recht unverbindlich wirkenden Raum- und Neuzeitklängen mit einer Kamerafahrt über Mailand beginnen. Der Zoom führt auf ein Nobeldomizil zu und durch die hohen Sprossenfenster in den kleinen Salon der Marquise de Merteuil, die sich mit Erinnerungen in Stimmung bringt. Ein erhöhter Bühnenkasten steht für ihre alte Lust und neue Intrige zu Verfügung – aufgehängt an vielen dünnen Fäden wie in einem Niemandsland und ausgerüstet nur mit zwei Stühlen und einem Kanapee aus der Rokokozeit. Der inwendig schwarz ausgeschlagene Würfel wurde als „Kerker der Gefühle“ konzipiert. Elaborierte Videozuspielungen entwerfen auf den Flächen neben, unter und hinter diesem Kubus freie Assoziationen. Am Schluss, nach dem Giftmord an Valmont, schlägt die Marquise die Verkleidung von den Wänden ihres Appartements; sie reißt Bücher und sonstige Habe aus den zum Vorschein kommenden Regalen und richtet schwere Verwüstung an: der Clinch der Geschlechter setzt ungeahnte Kräfte frei.

Bereits vor sechzehn Jahren schrieb Piet Swerts für de vlaamse opera in Gent und Antwerpen Musik zu „Les liaisons dangereuses“ – es klang wie die 13. Oper Puccinis. Umso angenehmer nun die Überraschung im Museumsquartier: Vom Puccinösen hebt sich das, was Luca Francesconi zu bieten hat, meilenweit ab. Der Mailänder Komponist entwickelt eine in hohem Maß auch von elektronischen Mitteln gestützte neue Musik mit faszinierenden Momenten des Raumklangs. Sein Tonsatz scheint einerseits an Geräusche, Betönungen und vor allem auch Gesten des alltäglichen Lebens angebunden, drückt aber weder in traditionellem Sinn „Gefühle“ aus noch begleitet er einfach Stimmungen. Francesconi prozessiert, oft mit vereinzelten Tönen oder sehr kurzen Motiven, verschiedene „Zustände“ heraus, die zueinander in Kontrast stehen.

Ein Glücksfall waren die beiden Protagonisten. Die Mezzosopranistin Allison Cook als Marquise de Merteuil und der Bassbariton Robin Adams als Vicomte de Valmont, beide gut gebaut, schlank und im besten Alter, boten eine große, fulminant stimmartistische und sängerdarstellerische Leistung. Der Dirigent Peter Rundel koordinierte vom Dirigentenpult aus die komplexen Aktionen. Das Resultat wurde etwas benommen, aber überwiegend begeistert aufgenommen.

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