Man kennt sie, die Lieblinge des zeitgenössischen Musiktheaters. Was ein Salvatore Sciarrino, ein Helmut Lachenmann liefern, erfreut sich des intensivsten Zuspruchs. Ohne, dass daraus schon regelrechte Renner hervorgegangen wären. Jedenfalls nicht, wenn man es am Hype bemisst, den der griechisch-französische Komponist Georges Aperghis mit Machinations ausgelöst hat.
Seit der Pariser Uraufführung im Juni 2000 hat diese multimediale Montagearbeit einen geradezu unglaublichen Siegeszug angetreten. Kein Festival-, kein Festspiel-Intendant zwischen Berlin, Genf, Monaco, Rom, Salzburg, der nicht seine Machinations-Version im Spielplan haben möchte. Dazu ein permanenter Machinations-Diskurs: Kolloquien, Gespräche, Bücher, Einspielungen, Filme. Es nimmt kein Ende damit. –
Woher diese Faszination für ein Musiktheater, das alles andere als „verständlich“ ist, das keine „Geschichte“ erzählt, nicht „Arm“ und „Reich“ verhandelt, überhaupt jenseits der Geschlechterspannung handelt, mit Oper, mit Musiktheater also wie wir es kennen eigentlich nichts zu tun hat. Gleichwohl war er auch jetzt wieder da, der Beifall zumal derjenigen, die ihre Volljährigkeit deutlich im 21. Jahrhundert erreicht haben.
Quatre femmes et ordinateur
Woher diese Begeisterung für sechzig Minuten sprechender Gesang, singendes Sprechen von französischen, stark philosophielastigen Texten, die sich über weite Strecken dem Bedürfnis nach Sinngebung, Semantik widersetzen, sich vielmehr geradezu einigeln im Kannitverstan? Sprache wie nach der Kernspaltung. Was übrig geblieben ist nach der Zertrümmerung, die Brocken, Teilchen (Fachleute reden von „Phonemen“) rotiert als Buchstabensalat durch den Raum, wird aufgefangen von vier Frauenstimmen: Fanny Alofs, Jennifer Claire van der Hart, Eléonore Lemaire, Michaela Riener. Das ganz famose Quartett der Performance-Gruppe Silbersee (vormals – schöner, klarer, weniger nach „Schatz“ und „May“ chargierend – Nederlands Vocaal Laboratorium) spielt zum Publikum, lässt sich mit vier Tänzern auf wilde Choreographien ein, die das asketisch-steife Setting der Pariser Uraufführung überwunden haben. Über den Performern Projektionsflächen für Videozuspiel, Duisburgs industriekathedrale Gebläsehalle als dankbare, präzis ausgesteuerte akustische Hülle für eine ausgetüftelte Elektronik, am Bühnenrand Computer-Playstation: Machinations – Quatre femmes et ordinateur.
Mensch und Maschine
Im Untertitel steckt des Rätsels Lösung. Anders als Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ zugeschrieben, ist dies tatsächlich ein Musiktheater für das 21. Jahrhundert. Jeder sieht es jeden Tag. Wo Menschen stehen, sitzen, gehen – gehen, stehen und sitzen sie mit ihren Devices, haben sich verkabelt, verstöpselt, sind Teil einer gigantischen Surf- und digitalen Quasselwolke geworden. Manche sind der Meinung: Ich bediene die Regler! Eine Illusion mit großer Zukunft, gerade weil „Mensch“ und „Maschine“ dabei sind, zusammenzuwachsen – das große Thema von Georges Aperghis. Subjekt/Objekt, Ursache/Wirkung, Ich/Welt – all dies hat ausgespielt. Was in Machinations „passiert“, lässt sich nicht mehr nach solchen Kategorien sortieren. Man „versteht“ nicht und nichts, aber man erkennt sich wieder, weswegen Machinations als musiktheatralische Abbildung des Cyberspace glaubwürdig ist, wahrscheinlich die erste Zeitoper des 21. Jahrhunderts; Krenek-Erbschaft „Johnny spielt auf“ angetreten.
Das von Romain Bischoff gegründete Ensemble aus Sängerinnen, Tänzern, Live-Elektronikern hat dieses multimediale Montage-Theater seit ein paar Jahren für sich entdeckt – und ist damit ganz automatisch in den Focus des Ruhrtriennalen-Intendanten gerückt, so dass sich nun auch Johan Simons in seiner letzten Spielzeit seinen Machinations-Wunschtraum hat erfüllen können. „Extremley important“ sei es gewesen, dieses „masterpiece“ im Programm zu haben. Nur wäre Simons nicht Simons, wenn er es bei einer bloßen Machinations-Aufführung belassen hätte. Simons will immer mehr. Sein Theaterprinzip ist die Potenzierung der Potenz, geht auf stetes Collagieren, Decollagieren, so dass er Bischoff dahingehend überzeugt hat, diesem masterpiece weitere pieces anzuhängen: Luigi Nonos düstere Arbeitswelt-Collage „La fabbrica illuminata“ sowie zwei vokal-elektronische Neukompositionen des griechischen Komponisten Yannis Kyriakides: „Ode to Man I und II“.
Sprech-Häcksel und Neugeburt
Der Duisburger Premierenabend belegte: Eine wenig glücklich zu nennende Entscheidung. Herausgekommen ist ein aufgepumpter, überfrachteter, undurchschauter Stücke-Turm. Insbesondere die Dramaturgie der beiden Kyriakides-Beigaben haben dem Duisburger Theaterabend einen oberflächlich-kulturpessimistischen Schlingerkurs aufgenötigt. Einer, der in Machinations gerade nicht die Botschaft ist, nämlich schwarz-weiß wie bei Kyriakides. Dort strahlt erst alles: Vier Sängerinnen beschwören nach der Antigone des Sophokles den „schaffenden Menschen“ (Ode I), dann ist alles verstrahlt. Im Schlusskapitel „Jenseits des Menschen“ ist die Bühne leer, der Mensch hat sich aufgelöst in Datenströme, die sich über die Leinwände schieben wie frisch ausgetretene Lava (Ode II). Das ist genauso platt wie die Holzhammer-Texttapeten, die zum Kapitel „Industrieller Mensch“ projizierend ausgerollt werden.
Nur auf den ersten Blick geht dies mit Aperghis zusammen. Sicher, da sind die Texte, die durch die Wortmühle des Philosophen Francois Regnault gegangen sind. Doch dabei bleibt es nicht. Ganz allmählich, Stück für Stück, schält sich aus dem Sprech-Häcksel etwas Neues heraus. Machinations, sagt Aperghis, sei auch das „Märchen von der Geburt von Sprachen“, wofür die Silbersee-Dramaturgie in ihrem kulturpessimistischen Tunnelblick nicht nur keinen Sinn entwickelt, sondern verstellend, zukleisternd wirkt. Alles klebt aneinander, rollt unförmig durch den Abend. Die ausgeleierte Figur von Aufstieg/Fall als schale Botschaft angetackert ans homo instrumentalis-Gesamtkunstwerk. Dramaturgischer Mehltau. Andererseits: So richtig etwas fürs Lieschen Müller in uns homines instrumentales.