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Zeynep Buyraç (Dotcom). Foto: © Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Zeynep Buyraç (Dotcom). Foto: © Bregenzer Festspiele / Karl Forster
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Ohne musikdramatischen Irrwitz - Uraufführung von „Impresario Dotcom“ bei den Bregenzer Festtagen

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„UngeHEUER“ prangt auf einem Plakat und das gilt auch für die Bregenzer Festspiele. Denn „heuer“, in diesem Jahr mussten rund 200.000 Karten Corona-Bedingt rückabgewickelt werden. Doch mit sieben Festtagen wird soeben ein künstlerisches Lebenszeichen gesendet. Dafür wurde die kleine Uraufführung aus dem Kornmarkttheater ins große Festspielhaus verlegt: mit Pflichtabstand konnten zumindest 500 der 1750 Plätze besetzt werden.

„Das Theater ist ein Irrenhaus – und die Oper ist die Abteilung für Unheilbare“ lautet eine alte, bissige Sottise. Der Aberwitz um hypersensible, eitle, neurotische und nervöse Menschen, die gut singen können, gibt natürlich selbst Stoff für Theatralik her. Die slovakische Komponistin Ĺubica Českovská hat sich von der Italienerin Laura Olivi, Dramaturgin am Münchner Residenztheater, ein darauf abzielendes Libretto schreiben lassen. Darin wird einer 1761 uraufgeführten Theaterkomödie Carlo Goldonis ein „Update“ verpasst: „Dotcom“ heißt der neureiche, extrem kostenbewusste Impresario, der über einen halbseiden agierenden Agenten die Künstler Orfeo, Olimpia, Violetta, Carmen und Tamino engagieren lässt – alle fünf auch Vertreter ihres ursprünglichen Stimmfachs. Doch Orfeo spekuliert auch auf Siegfried; Violetta will natürlich alle Sopranrollen des italienischen Repertoires; Tamino leidet daran, dass seine private Beziehung zur Violetta gescheitert ist und all ihren Männerbeziehungen haben Carmen depressiv gemacht.

Leider schlägt Olivis Libretto daraus keine bühnenwirksamen Funken. Dass die Sänger in einem „aquarischen Theater“ unter Wasser singen sollen – per Video im Hintergrund beschworen – wirkt nur bemüht utopisch, nicht absurd witzig. Impresario und Agent verlangen „performativischen“ Gesang. Doch auch daraus erwächst nichts.

Erfreutes Schmunzeln stellte sich auf einigen Gesichtern im Publikum ein, wenn jeder der fünf Sänger zunächst einige Phrasen seiner Arie, also „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ oder „Que faro senz‘Euridice“ sang, dann Komponistin Čekovská erst die Instrumentation kurz amüsant veränderte, um schließlich ganz in eine zeitgenössische Tonsprache zu wechseln – ohne nur wirklich eigenes Profil zu gewinnen. Dabei setzte das 1984 gegründete und mehrfach von Kirill Petrenko in einem „Ferien-Dirigat“ geförderte Symphonieorchester Vorarlberg unter Dirigent Christopher Wards präziser Zeichengebung alle kleinen Klangfinessen und kurzen musikdramatischen Eruptionen um – nur das Schwierigste von allem: musikalischer Witz erklang nicht.

Elisabeth Stöpplers Inszenierung konnte aus wenigen Requisiten, ein paar Bauteilen und Videozuspielungen auf Zwischenvorhängen keine zündenden Komödien-Funken schlagen. So gab es zurecht Sänger-Beifall für Hagen Matzeit (Orfeo), Eva Bodorová (Olimpia), Terezia Kruźliaková (Carmen), Adriana Kučerova (Violetta), Simeon Esper (Tamino), Christoph Pohl (Agent). Die Besetzung von Dotcom mit einer fast als Domina auftretenden Frau, die zunächst das Publikum zu Corona ansprach, dann im Hintergrund unergiebig agierte und am Schluss in Pailletten-Robe auch ein paar Sätze Sprechgesang hatte – all das blieb trotz Zeynep Buyraçs performativem Engagement befremdlich: kein Hieb in Richtung „Weinstein-#metoo“, kein arroganter Ölprinz, kein aalglatter Digital-Milliardär. So wurde der Schlussapplaus für das Bühnenteam schütter. Dem Theaterfreund war zunehmend bewusst, dass es in Goldonis „Der Impresario von Smyrna“ mehr Textwitz, in Donizettis „Viva la Mamma“ mehr unsterbliche Klamottenturbulenz gibt – von den Kunsthöhen im verwirbelten Theaterkosmos von Strauss-Hofmannsthals „Ariadne auf Naxos“ ganz zu schweigen.

 

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