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Die Organistin Iris Rieg.
Die Organistin Iris Rieg.
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Fulminantes Album „Orgeltanz“ – Iris Riegs vielseitiges Orgel-Recital mit französischem Schwerpunkt

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Ein in Konzeption und Ausführung fulminantes Album hat die Kölnerin Iris Rieg an der mächtigen Klaisorgel der Trinitatiskirche ihrer Heimatstadt vorgelegt. Sie versteht es, alle Register sinnfälliger Phrasierung zu ziehen, ohne der Gefahr unvermittelbarer Temporückungen zu erliegen, obwohl sie keinen Registranten zur Seite hatte, was das flüssige Fortschreiten oftmals ungemein erschwert und sehr leicht ein gelegentliches Stocken des durchgehenden Pulsierens zur Folge haben kann.

Der Kunst natürlichen, also atmenden und sanglichen Musizierens liegt bei der Orgel ein weit größerer unnatürlicher Aufwand an Differenzierungen des ‚Anschlags’ zugrunde als bei jedem anderen Instrument, soll es nicht mechanisch eintönig und unverständlich werden. Und das gelingt hier vortrefflich, was in besonders hinreißender Weise schon in den so einfach wie trefflich kontrastierend gebauten Variationen über ‚Unter den Linden grüne’ vom niederländischen Altmeister Jan Pieterszoon Sweelinck zu erleben ist. Dieses erste Stück umrahmt zusammen mit den zwei abschließenden ‚Biblischen Tänzen’ (Der Tanz von Jephtas Tochter und Die Hochzeit zu Kana) des Tschechen Petr Eben (1929-2007) ein rein französisches Programm. Ebens Musik ist sehr einfach in ihrer Grundaussage und ziemlich komplex in ihren akkordischen Abfolgen. Insbesondere im abschließenden Stück bringt sie die unmittelbar musikantische Seite dieser Musik mit groovender rhythmischer Verve zum Tragen.

Von den französischen Werken sind das improvisatorisch flüchtig dahinhuschende Impromptu von Louis Vierne und die große mystische Choralimprovisation über Victimae Paschali von Charles Tournemire von besonders eigentümlichem Reiz und weisen uns wieder einmal eindrücklich darauf hin, dass diese beiden 1870 geborenen Großmeister der Orgel zwischen César Franck und der Moderne nach wie vor bei uns viel zu unbekannt sind. Einen pastoral entspannten Ruhepunkt bildet das Andante aus Charles Marie Widors ‚Symphonie gothique’. Marcel Duprés (1886-1971) Musik (hier Cortège et Litanie op. 19 Nr. 2 und Deux Esquisses) dürfte es kaum schaffen, über die Kreise von eingeschworenen Orgelmusikkennern hinaus große Anerkennung zu erreichen, doch so, wie sie hier verwirklicht wird, entfaltet sie teils mächtige architektonische Bögen und wirkt in ihrer stilisierten Kühle zumindest sehr beeindruckend, wenn auch kaum allzu ergreifend.

Umso eindringlicher vermag der allzu jung verstorbene Jehan Alain (1911-40) mit seinen Trois Danses zu fesseln, die in großflächiger Steigerungsanlage archaisierende Beschränkung der Stilmittel, einprägsam in sich kreisende Melodik mit suggestiv fesselnden Registrationskontrasten und kühnen harmonischen Wendungen verbindet. Wie schon Tournemire und Vierne, wenn auch viel harscher und existentialistischer, erreicht uns diese so gar nicht überfrachtete, gleichwohl prachtvoll sich auftürmende, rhythmisch zackig wilde Musik auch daher so unmittelbar, dass sie über das rein Orgelmäßige hinausweist in Sphären eines imaginären Orchesterklangs.

Die beherrschte Lebendigkeit von Iris Riegs Spiel ist beispielhaft, und die akustische Abbildung der Klais-Orgel von körperhaft klarer Kontur, erstaunlich ausgewogen in der Abstimmung von deutlich zeichnender Nahaufnahme und raumakustischer Atmosphäre. Die Musikerin hat außerdem einen so erfrischenden wie informativ einführenden Booklet-Essay verfasst.

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