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Monica Garcia Albea als Schlangenfrau Euridike in Christoph Hagels Haydn-Produktion. Foto: Oliver Wia
Monica Garcia Albea als Schlangenfrau Euridike in Christoph Hagels Haydn-Produktion. Foto: Oliver Wia
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Schlangenfrau und Seelmännchen: Ungewöhnliche Berliner Aufführungsorte für Opern von Holst und Haydn

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Gustav Holsts Oper „Sāvitri“, nach einer Episode aus dem Mahbarata, scheint in Besetzung, Inhalt, Form und Länge hierzulande in kein gängiges System zu passen. So erfolgte denn die deutsche Erstaufführung erst 1980 in Hamburg. Jetzt fand die Oper in Berlin eine ungewöhnliche, faszinierende Realisierung im Berghain, einem dreigeschossigen Techno-Tempel.

Der Opernerstling des Dichterkomponisten Gustav Holst war eine dreiaktige Oper „Sita“, nach dem indischen Epos „Ramanjana“. Doch der Komponist ließ sie unveröffentlicht, da er darin seine Abhängigkeit vom Musikdrama Richard Wagners erkannte. Seine intensive Beschäftigung mit dem indischen Mythos verdichtete er anschließend zu orchestral geringer besetzten Chorwerken und zu der einaktigen Oper „Sāvitri“, op. 25. Gleichwohl schimmert, nicht nur im Fazit, in Holsts 1909 vollendeter Oper – wieder auf ein eigenes Libretto – Wagners Kunstreligion durch: „Liebe dem Liebenden, Lied dem Sänger, Gott den Betenden“, heißt es da, das Leben also als Liebe, Kunst und Religion.

Nach den Angaben des Dichterkomponisten soll seine 1916 in der Wellington Hall in London uraufgeführte Oper „im Freien oder in einem kleinen Gebäude“ gespielt werden, wobei – wie in Bayreuth – Orchester und Dirigent, aber auch der Chor unsichtbar sein sollen. Den Chor nämlich behandelt Host wie ein vokales Orchester, zu dem nur noch zwei Flöten, Englischhorn, zwei Streichquartette und Kontrabass treten. Aufgrund der Kürze der rund vierzigminütigen Partitur wurde bei szenischen Aufführungen der Oper gerne der Chor „Hymn of the Travellors“ für Frauenstimmen und Harfe (aus Holsts 1910 entstandenen „Choral Hymns for the Rig Veda“ op. 26) als quasi gesungene Ouvertüre ergänzt.

So auch in Berlin, wo die Frauen des Rundfunkchors das „Lied der Reisenden“ intonieren, während sie über eine Freitreppe in die erste Ebene der ehemaligen Fabrik hochsteigen, gefolgt vom „Lied an die Morgenröte“ beim Aufstieg in die höchste Ebene, wo sie dann, nahezu unsichtbar, als Parallele zu den Stimmen aus höchster Höhe im „Parsifal“, den vokalisen Orchesterklang der Maya bilden.

Savitri gelingt es, Djamal, den personifizierten Tod, der ihren Liebsten Satyavan dahingerafft hat, zu becircen. Daher darf sie sich alles wünschen, nur nicht das erneute Leben ihres Mannes, – und so wünscht sie sich Nachkommen von ihrem Mann. Wie im deutschen Märchen (und etwa in Siegfried Wagners Märchencollage „An Allem ist Hütchen Schuld!“, op. 11, auch auf der Musiktheaterbühne) wird der Tod von der Schönen überlistet, zunächst erotisch, hier aber auch philosophisch: da der Tod selbst ein Teil der Maya, also nur Täuschung ist, kann es ihn für Sāvitri nicht geben. Sāvitri hat ihren Gatten wieder.

Der britische Bariton Konrad Jarnot, schwarz gewandet und mit Sonnenbrille, sammelt als Tod an einem großen Schlüsselring die Seelmännchen seiner Opfer. Derartige Seelmännchen, leuchtend rote Stäbchen, werden jedem Besucher beim Eintritt in den Technotempel, einem ehemaligen Heizkraftwerk in der Nähe des Ostbahnhofs, um den Hals gehängt. Der Besucher folgt dem Frauenchor ins obere Plateau, wo das Orchester positioniert ist und wo – auf Sockeln – drei Kontorsionisten fernöstlichen Tanz durch unnachahmliche Körperbiegungen übersteigern. Kontorsionist ist der Fachbegriff für jenes Faszinosum an körperlicher Biegbarkeit, dem der vor 100 Jahren verstorbene Lyriker und Romancier Otto Julius Bierbaum – parallel zu Holsts Komposition – mit seiner erotischen Erzählung „Die Schlangendame“ ein Denkmal gesetzt hat.

Die choreographische Gestaltung der Schlangendamen, jenseits von Artistik und Varieté, spannt für den in Leningrad geborenen Choreographen und Regisseur Lars Scheibner den Bogen vom Unsagbaren der Spielvorlage zum Berghain, als jenem „Ort in Berlin, wo Phänomene wie Grenzüberschreitung, Ekstase und Transzendenz heute ausgelebt werden“. Inmitten von farbig eingesetzten, reizvollen Projektionen (Ausstattung: Rico Heidler und Änn) agieren die drei Sängerdarsteller eher statisch und konventionell: die britische Mezzosopranistin Susan Bickley gemahnt in Stimmgestus und Attitüde an Wagners Isolde, der britische Tenor Christopher Gillett als ihr Gatte Styavan an eine Mischung von jungem Seemann und Tristan.

Vor der Schlussszene wird in der Berliner Aufführung noch einmal ein Chorgesang aus Opus 26 eingeschoben, das „Lied an Vena“. Es greift, von Harfenarpeggien begleitet, das Hauptmotiv der Oper auf und bildet fraglos den musikalischen Höhepunkt des Abends. Simon Halsey, Chefdirigent des Rundfunkchors Berlin, ist hier der Mittler zwischen den Welten differenzierter Spiel- und Soundebenen. Holsts eigenartiges Klangkolorit bringt er, als trefflicher Sachwalter mit viel Liebe zum Detail, zu großartiger Wirkung.

Haydns letztes Bühnenwerk
An einem weiteren, für Musiktheater ungewöhnlichen Ort in Berlin, dem Bode-Museum auf der Museumsinsel, ist derzeit Joseph Haydns letztes Bühnenwerk „L’ anima del filosofo ossia Orfeo ed Euridice“ zu erleben. Auch hier Schlange (lebend!), drei Tänzerinnen und ein dem modernen Breakdance verpflichteter, personifizierter Tod. Muss das Publikum im Berghain stehen, so sitzt es hier in der Basilika zu beiden Seiten eines Steges, auf dem in Augenhöhe die kurze Zeit der Liebe und der missglückte Rettungsversuch Eurydikes aus dem Reich des Hades pausenlos abgespult werden. Die von Harfe begleiteten Rezitative erfolgen auf Deutsch, die Gesangsnummern der Solisten und der solistisch ausgeführten Chöre im italienischen Original. Herausragend der Tenor Alexander Geller, an (körperlicher) Virtuosität allerdings überboten von Manu Laude als Tod.

Die erstmals im Jahre 1951 beim Maggio Musicale Florenz unter Erich Kleiber mit Maria Callas szenisch realisierte Oper hat Dirigent Christoph Hagel in Berlin selbst inszeniert und dabei um eine Hades-Stimme von Band und um einen tanzenden Knaben Amor ergänzt (Choreographie. Sabina Ferenc). Musikalisch getragen wird die Produktion – wie die vorangegangene „Così fan tutte“ (siehe: http://www.nmz.de/online/cosi-fan-tutte-als-tv-show-schickeria-feiert-opernpremiere-im-berliner-e-werk-als-event) – von den Berliner Symphonikern.

Weitere Aufführung von Holsts „Sāvitri“: 11. Mai 2010 um 22 Uhr.
Ein Mitschnitt der Produktion wird am 17. Mai um 20:03 Uhr in Deutschlandradio Kultur ausgestrahlt.
Weitere Aufführungen von Haydns „Orpheus und Eurydike“:
bis 12. Juni, jeweils Di, Mi, Fr, Sa und So (außer 15.+16.05.) um 20:30 Uhr.

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