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„Meine Ruh ist hin“: Schubert-Singspiele an der Komischen Oper Berlin. Fot: Michael Radig
„Meine Ruh ist hin“: Schubert-Singspiele an der Komischen Oper Berlin. Fot: Michael Radig
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Schubert goes Lachenmann: Anti-Schubertiade als K.O.13-Programm in Berlin

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Schuberts Themen sind von Komponisten des späten 20. Jahrhunderts gerne in ihre zeitgenössischen Werke adaptiert worden. Der Versuch der Komischen Oper Berlin, im Rahmen der gemeinsamen Reihe mit der Universität der Künste und der Hochschule Hanns Eisler als K.O.13 unter dem Titel „...meine Ruh’ ist hin“ drei Singspiele Schuberts zu koppeln, ist eine klare dramaturgische Absage an den Bühnenkomponisten, nicht aber an den Melodiker Franz Schubert.

Von den seligen Schubertiaden, die noch im 20. Jahrhundert fröhliche Urständ feierten, ist die jüngste Gemeinschaftsproduktion der Komischen Oper Berlin mit den Berliner Musikhochschulen in Ost und West meilenweit entfernt. Die hier beschäftigte jüngste Generation der Regisseure übernimmt als vorherrschenden Stil des Hauses die Zertrümmerung herkömmlicher Erzählweisen, setzt dem aber, außer dem – wie am Haupthaus praktizierten – intensiven bis überbordenden Spiel von Protagonisten und Musikern, kaum etwas entgegen.

Den Anfang macht Schuberts Aristophanes-Adaption „Der häusliche Krieg“ aus dem Jahre 1823, unter dem Zensurtitel „Die Verschworenen“. Eingedampft auf weniger als die Hälfte der originalen Spieldauer und von zehn Solisten reduziert auf nur eine Sängerin, siedelt Regisseurin Margita Zalite die zur Situation verknappte Handlung in einem vernebelten, mit Suchscheinwerfern durchschossenen Kriegsraum an; blaue Plastikfässer bilden die bedrohliche Szenerie (Ausstattung: Franziska Schuster), und die machen unguten, aber beabsichtigten Lärm. Vier Saxophone und eine Tuba blasen, wie in Lachenmanns Partituren, zumeist tonlos durch ihre Instrumente. In dem primär von Rhythmus bestimmten Klangraum der Vocal Experimentexpertin Anne Kohl schallt Elektronik-Flüstern und improvisiertes Präludieren, singt und agiert der neunköpfige Chor roboterartig.

In den Arrangements von Arno Waschk, Max Murray und Liga Celma bleiben nur noch Rudimente der Schubertschen Kantilene als Motivfetzen einer Ahnung von Gesang übrig. Die Frauen müssen sich den Männern nicht verweigern, denn es gibt keine Männer mehr, nur eine stumme, alte Gräfin und eine singende junge (Léa Trommenschlager), die ihren Gesang von ihrer vor den Mund gehaltenen Hand verschlucken lässt. Die Instrumentalisten sind kriegerisch vermummt, und der Chor singt mit sich bewegenden, genitalen Lippen. Dann vertreibt ein zweiter Chor mit Schaumgummirüben das Publikum unsanft von seinen Sitzplätzen und lässt es auf den blauen Tonnen, auf der Bühne, Platz nehmen, denn das Auditorium wird nun als Gemüsebeet bepflanzt.

In Schuberts 1814 komponierten, aber ebenfalls zu seinen Lebzeiten unaufgeführten Singspiel „Der vierjährige Posten“ geht es darum, dass ein Deserteur von der Gesellschaft gerettet wird, mit der Behauptung, er sei als Posten vier Jahre lang nicht abgelöst worden. Mit dem skandierten Ausruf „Frisch zur Arbeit“ ist das Alltagsleben der Bauern in Tamara Heimbrocks Inszenierung durchaus militärischer als das des weiß gewandeten, auch a cappella singenden Militärs. Der ursprünglich dem Genre anhaftende Witz des Fahnenschwurs aus Liebe soll sich durch synkopische Sprechkompositionen des Chores und durch ein a cappella gesungenes Terzett anders erneut einstellen, so wie optisch durch die nach der Rübenernte gepflanzten Euter. Gesungen wird hier – mit Ausnahme von Anna Schoeck als Käthchen – allerdings mehr schlecht als recht.

Nach der Pause dann das Hauptwerk, „Die Zwillingsbrüder“, in der Regie von Sina Schecker. Als übergreifenden Rahmen hatte die Person des Vaters (Martin Schubach) aus dieser Handlung bereits vor dem ersten Singspiel den Abend eingeleitet, mit bayerischer Diktion als Ersatz-Österreichisch. Nun tritt auf die kleine Foyer-Bühne á la Sängerstadl, von eingespielten Applaussalven unterstützt, noch ein Tenor in schweizerischer Diktion (Semjon Bulinsky). Er ist seit Sandkastentagen der Partner jenes Mädchens, das nach 18 Jahren seinen heimgekehrten Paten und Geldgeber heiraten soll. Während die Brettl-Ebene musikalisch mit Flöte, Klarinette, Gitarre und Hackbrett bestückt ist, hat der heimkehrende, militärische Pate (Matthias Bergen) ein Blechbläser-Ensemble im Rücken.

Das verfehlt nicht seine Wirkung auf das junge Lieschen (Rebecca Koch) und lockt auch das Publikum vom Foyer wieder in den Saal. Aber die Verwicklungen, die sich aus der Existenz eines Zwillingsbruders des Paten Spieß und eines dritten Spieß im Original ergeben, bleiben in der von Nora Willy mit grünen Laken behängten Stadtlandschaft völlig außen vor. Gelungen zu nennen sind die Arrangements des musikalischen Leiters Sebastian Zidek. Durch die orchestrierten Lieder „Im Dorfe“ aus Schuberts „Winterreise“ und „Der Doppelgänger“ aus dem „Schwanengesang“ stellt sich inmitten des dritten Singspiels doch die Ebene einer Schubertiade ein, aber eben einer Anti-Schubertiade. Das Publikum ging von Ort zu Ort und auch sonst gut mit und spendete lebhaft Beifall für die zahlreichen Mitwirkenden im Raum der legendären „Schaubühne am Halleschen Ufer“.

Weitere Vorstellung: 10. Oktober 2011

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