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„Asrael“ am Theater Bonn: Peter Auty (Asrael) und Pavel Kudinov (Il Padre). Foto: Thilo Beu
„Asrael“ am Theater Bonn: Peter Auty (Asrael) und Pavel Kudinov (Il Padre). Foto: Thilo Beu
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Spektakuläre Wiederentdeckung: „Asrael“ von Alberto Franchetti an der Oper Bonn

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Im Theater Bonn, das sich ja einen Ruf als Ausgrabungsort vergessener Oper gemacht hat, ist ein Werk reanimiert worden, das seit 1945 nicht mehr auf die Bühnen kam: Die 1888 in Regio Emilia uraufgeführte Oper „Asrael“, eine „Legende“ in vier Akten des italienischen Komponisten Alberto Franchetti.

Alberto Franchetti stammt aus einer steinreichen Familie, er war der Sohn eines sehr betuchten Großgrundbesitzers und einer Angehörigen der Rothschildbank. Mit zwanzig Jahren ging Alberto nach München. Hier studierte er bei Josef Rheinberger und anschließend in Dresden bei Felix Draeseke Komposition. Was ihm den Ruf einbrachte, er sei der deutscheste italienische Komponist, was nicht ganz stimmt. Er hatte das Glück, das sein Vater einer der reichsten Männer Italiens war und das Teatro Municipale in Regio Emilia besaß. Vater Franchetti hat den Opernerstling seines 28-jährigen Sohnes auf den Spielplan gesetzt. Alden erweist dieser Tatsache übrigens in seiner Inszenierung Reverenz, indem er den jungen Franchetti vor einen Zwischenvorhang setzt, auf den handschriftlich eine Widmung an seinen Vater geschrieben ist.

„Asrael“ wurde auf Anhieb ein Riesenerfolg und Franchetti wurde neben Giacomo Puccini, Ruggero Leoncavallo und Pietro Mascagni zu  einer der großen Hoffnungen der Musik Italiens. Verdi, Toscanini, der Verlag Ricordi und die Scala waren begeistert und machten sich stark für das Stück. Bis zum Aufkommen des Faschismus wurde es denn auch häufig gespielt. Nach Übernahme der deutschen Rassengesetze durch Italien im Jahre 1938 hatte sich die Situation des mittlerweile  greisen Komponisten auch in seinem Heimatland dramatisch verschlechtert (in Deutschland durfte er ohnehin nicht mehr aufgeführt werden). Nur die Fürsprache Pietro Mascagnis, der Mitglied in der faschistischen Partei war, verhinderte Schlimmstes.

„Asrael“ ist eine Legende in vier Akten. Librettist war Ferdinando Fontana. Er war Dramatiker und Lyriker und gehörte der Künstlergruppe Scapigliatura an. Scapigliare heißt so viel wie die Haare zerzausen. Charakteristisch für die Scapigliatura war neben dem antibürgerlichen Protest auch die Verherrlichung der sinnlichen Liebe und des Bösen. Fontana hat übrigens auch die Libretti zu Giacomo Puccinis frühen Opern „Le Villi“ und „Edgar“ geschrieben.

Die Handlung ist eigentlich abstrus, denn es ist die Liebesgeschichte zweier Engel: „Azrael“ ist der in jüdischen und islamischen Texten erwähnte Erzengel des Todes. Er liebt er im Himmel den Engel Nefta, von dem ihn der Kampf gegen Luzifer und die Verbannung in die Hölle trennen. Nefta ist eine „Engelin“! Eigentlich sind Engel ungeschlechtlich. Asrael und Nefta erwirken sich einen Aufenthalt auf der Erde, wo sie sich im Lauf der Opernhandlung wiederfinden und Nefta in Gestalt einer Nonne mit Namen Clotilde die Wiederaufnahme Asraels in den Himmel erwirkt, nachdem er in Händel zwischen zwei Frauen geriet.  Es handelt sich um ein zweifellos extrem frommes, ja bigottes Stück, das den Kampf von Himmel und Hölle erzählt und den Sieg Gottes und des Guten. Das Libretto ist wahrlich kein Geniestreich. Die Oper ist ziemlich unopernhaft, eher oratorisch, daher nennt Franchetti sein Stück auch Legende.

Inszeniert hat das Werk der amerikanische Regisseur Christopher Alden, nicht zu verwechseln mit seinem Zwillingsbruder David Alden, der ebenfalls weltweit inszeniert. Gottlob zeigt Alden kein christliches Theater, kein Mysterienspiel mit Engeln und Teufeln, sondern eher eine großbürgerliche Parabel, ein undramatisches, phantastische Stationentheater. Man sieht Kriegsgräuel und Uniformen, brave Bürger und nackte, frivole Jungs. Der Teufel tritt in Gestalt eines Generals auf. Im Keller herrscht Krieg, im Dachgeschoss Ringelreihen. Die Grundidee  der Inszenierung ist es, das Stück in einem hochherrschaftlichen Haus anzusiedeln, dessen Keller die Hölle, dessen Erdgeschoss die Erde und dessen Dachgeschoss den Himmel symbolisieren. In diesem szenischen Rahmen zeigt Alden eine Tour de force von der Hölle durch die Welt zum Himmel, frei nach „Faust“.

Zwischen Lust- und Krankenbett, Künstleratelier und Kriegsschauplatz geht es hin und her, rauf und runter in dem opulenten Bühnenraum, den ihm C. Edwards  gebaut hat, ein Pandämonium in Jugendstil und Kostümen der Franchettizeit. S. Willmington hat sie entworfen. Die Engel, die ja hordenweise singen, werden kaum gezeigt, und wenn, dann karikiert, mit abnehmbaren Flügeln. Auch die himmlische, bekenntnischristliche  Schlussapotheose wird als bürgerliches Begräbnis in Schwarz gezeigt. Eine ironische, eigenwillig-eindrucksvolle, mit pyrotechnischen Effekten und psychologischen  Verrätselungen aufwartende Version von Teufelspakt und Seelenhandel, Kampf zwischen höllischen Heerscharen und liebenden Engeln. Wie auch immer, in jedem Falle bildet die Inszenierung ein willkommenes, entpathetisierendes Gegengewicht zur Opulenz der Musik, die - bei aller Bewunderung – schon wegen der Engelschöre ans unerträglich Frömmlerische grenzt.

Am Pult dieser Opernausgrabung stand der junge Dirigent Hermes Helfericht, der tüchtige Erste Kapellmeister des Hauses. Er hat eine Fassung der Oper dirigiert und einstudiert, die eigens für die Bonner Produktion erstellt wurde. Das war auch notwendig, weil es außer einem gedruckten Klavierauszug keinerlei zugängliches Material dieser Oper gab Die Bonner Fassung, die das italienischen Verlagshaus Ricordi erstellte, beruft sich auf die Autographe der Partituren aus den Staatsbibliotheken Berlin und München und bemüht sich, so nah wie möglich am Original, also an der Uraufführungsversion zu sein.

Was die Musik angeht, so sind die Einflüsse von Arrigo Boito und seinem „Mefistofele“, Gounods „Faust“, Verdi, Ponchielli und Puccini deutlich herauszuhören. Franchetti schont weder Zuhörer noch Musiker. Er wagt für seine Zeit viel, lehnt sich weit aus dem Fenster musikalischer Opernkonventionen. „Franchettis Debütwerk ist ein prall gefüllter Kosmos all dessen, was das europäische Musiktheater der 1880er Jahre beinhaltete, zu bieten hatte, bieten wollte – eine Momentaufnahme.“ (Richard Erkens)

Franchettis Musik ist tatsächlich ohrenbetäubende, alle Sinne überreizende „Zukunftsmusik“, um diesen Wagnerschen Begriff zu verwenden. Sie klingt, um es salopp zu sagen, als hätten Berlioz, Wagner, Strauss und Korngold gemeinsam italienische Opernmusik ins Hochrelief getrieben. Das ist gewiss für die Zeitgenossen eine Zumutung gewesen, mutig und außerordentlich raffiniert. Ein überwältigender Klangrausch zwischen Engelskonzert und Höllenlärm, opernhaftem Melos und unopernhafter Symphonie fantastique. Man hört die Trompeten von Jericho und elysische Harfenglissandi, Massenchöre und ein Riesenorchester, aber auch bezaubernde Sommernachtstraumanklänge und filigrane Kammermusik. Franchetti zeigt, dass er auf der Höhe der Zeit ist, mit allen Wassern gewaschen und ein Meister der Instrumentation, übrigens auch der  melodischen Erfindungen. Es gibt ein Liebesduett, das dem von „Tristan und Isolde“ nicht nachsteht.

Hermes Helfericht ist die ehrenvolle Aufgabe zuteil geworden, den schweren Musikschatz zu heben.Er hat den großen Apparat bewundernswert im Griff, er hat Kraft und Sensibilität, enormen Klangsinn und wagt Raummusik, denn Chor und Blechbläser sind im Zuschauerraum postiert. Das Beethoven Orchester Bonn ist prima in Form. Der Chor und die 5 Solisten – herausragend sind der britische Tenor Peter Auty als Asrael und die georgische Sopranistin Svetlana Kasyan als Nefta – singen äußerst engagiert. Sie gehen an ihre Grenzen, gelegentlich sogar darüber hinaus. Nicht vergessen werden darf der schöne Mezzosopran der georgischen Sängerin Khatuna Mikaberidze in der Partie der Loretta. Man darf – alles in allem – von einer außergewöhnlichen, sinnlich-suggestiven, musikalisch verblüffenden, ja überwältigenden Aufführung sprechen.

Es ist ohne alle Frage eine der spektakulärsten Opernausgrabungen der letzten Jahrzehnte. Das Publikum, das zum grössten Teil weder diese Oper, noch den Komponisten Alberto Franchetti kannte, war überrascht, aber auch überrumpelt und hingerissen von der musikalischen Wucht des Werkes.  Es war außer sich vor Begeisterung. Ein großer Erfolg für die Bonner Oper.

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