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Foto: Dirk Rückschloß / Pixore Photography
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Spiel, Tanz, Nachdenklichkeit: Benatzkys „Der reichste Mann der Welt“ in Annaberg-Buchholz

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Mit der Entdeckung der Oper „Leonce und Lena“ von Erich Zeisl und jetzt der deutschen Erstaufführung von Ralph Benatzkys Operette „Der reichste Mann der Welt“ beginnt Moritz Gogg seine Intendanz am Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz mit spannenden Musiktheater-Akzenten. Diese Entdeckungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzen die Raritäten-Initiativen seines Amtsvorgängers Ingolf Huhn mit neuen Schwerpunkten fort. Die letzte erzgebirgische Subventionstheater-Bastion vor der tschechischen Grenze bleibt also auch für reisende Opern- und Operetten-Anhänger äußerst attraktiv.

Ralph Benatzky hat mehr zu bieten als „Im weißen Rössl“ und Kammer-Operetten à la „Bezauberndes Fräulein“. Im Jahr 1936 gelangte in Wien „Der reichste Mann der Welt“ zur Uraufführung und verschwand bis zur Wiederaufführung in Annaberg-Buchholz von den Bühnen. Erst die Nationalsozialisten und dann der verkitschende Operetten-Zeitgeist der Nachkriegsjahre verhinderten, dass gerade die der sozialen Wirklichkeit näher rückenden Werke des unterhaltenden Genres auf die Spielpläne zurückkamen. So erging es auch dem „reichsten Mann der Welt“. Hier kommt es nicht zur Konfrontation zwischen amerikanischen Millionär*innen und verarmtem Balkan-Adel wie etwa in Kálmáns „Die Herzogin von Chicago“. Benatzky und Hans Müller erfanden mit Ilka ein wunderbar emanzipiertes Frauenfrüchtchen, das dem für sie vorgesehenen und schon allein deshalb verachteten Bankierssohn Schorsch im Zug-Schlafwagen etwas näher und schließlich ganz nahe kommt – wie von der Familie gewünscht. Der Chanson- und Schlager-affine Benatzky komponierte dazu eine prägnante Musik, die verschiedene Idiome der Zwischenkriegszeit nicht nebeneinander stellt, sondern listig ineinander wirkt. In einer Nummer verschmelzen „Carmen“-Zitat, Rákóczi-Marsch und moderner Rhythmik-Background, bis sie in eine typische Benatzky-Melodie mündet. Ein bisschen Berliner Gassenhauer, ein bisschen Wiener Stimmungslied und letztlich doch keins von beidem. Oder etwas mehr.

„Der reichste Mann der Welt“ – gemeint sind das ganze Stück und auch die Figur, welche Ilka am Ende abbekommt – befindet sich oft im Schwebezustand, den die Annaberger Inszenierung zu ihrem dominanten Kunstmittel erhebt. Dreizehn Musiker sitzen vor dem neuen Generalmusikdirektor Jens Georg Bachmann im Graben. Wolfgang Böhmers Instrumentation ist pointiert, ohne Sentimentalität und pikant. Das Klavier untermalt so manche Dialogszene. Wichtig auch: Das Arrangement passt gut in die Überakustik des Hauses und vergröbert nicht einmal dann, wenn es – wie bei Benatzky öfter – eher prall als lyrisch kommt.

Nur die Verheiratung Ilkas mit einem reichen Mann kann die finanziell klamme Familie von Györmrey retten. Dazu ist jedes Mittel recht. Und deshalb belauert die Familie jede Annäherung zwischen Ilka und Schorsch, dem steinreichen Bankierssohn mit Belcanto-Ambitionen. Christian von Götz rettet diese Standardsituation einer Operette mit deren ureigenen Mitteln und zum Schluss mit etwas Nachdenklichkeit. Die Handlung ist dem Regisseur schnuppe, dafür nutzt er den internationalen Assoziationsmix der Musik ebenso exzessiv wie intelligent. Geschliffene Pointen und zärtliche Augenblicksmomente zählen mehr als Erbsenzählerei betreffend Handlungslogik. Der Choreograph Leszek Kuligowski hat extrem viel zu tun – Blicke und Berührungen sprechen weitaus deutlicher als das Textbuch.

So wird „Der reichste Man der Welt“ zur Feier eines Miteinander verschiedener Ethnien und Religionen. Nicht nur, weil Schorsch Tenor ist und sein Schwiegervater in spe mal Kammersänger war, wechseln Wiener Dialekt, ungarischer Akzent und Jiddisch. Bewegtheit und Kostüme in allen Regenbogenfarben zeigen, was für ein buntes Gemisch an Unterhaltungs- und Alltagskultur in den 1930-er Jahren von den Nationalsozialisten vernichtet wurde. Auch von Götz’ Ausstattung bedient sich einer klaren Symbolik. Queere Assoziationen sind als filigranes Mittel beabsichtigt, aber nur eine gleichberechtigte Symbolmarke von mehreren. Auf der Drehbühne steht ein Türen-Karussell – darüber schwebt ein Kranz mit bunten Glühbirnen wie zum Jahrmarkt. Alles so schön bunt hier, bis die Szene sich am Ende bedrohlich rötet und – Fanal dessen, was im Holocaust kommen wird – aschgrauer Rauch steigt. Ohne Betroffenheitsdruck wird deutlich, dass die Launen, der Spaß, der Witz, die Freude ein gar kostbares Gut sind. Dieses gelangt in Annaberg mit nachdenklichem Hedonismus auf die Bühne.

Das im geschlossenen Theaterraum an zahlreichen romantischen Entdeckungen gewachsene und auf der Naturbühne Greifenstein in allen Operetten-Registern versierte Ensemble meistert wie selbstverständlich auch Benatzkys sprachakzentuierte Lieder. Madelaine Vogt als Brautmasse Ilka kann lieblich sein, muss aber nicht. Bei László Varga, Christina Wincierz und Leander de Marel verschwinden manchmal vorsätzlich die Rollenzugehörigkeiten, weil die Pointe den dramatischen Sinn überfunkelt. Am deutlichsten ist das beim schönen Schorsch von Richard Glöckner. Unterm rosa Anzug nimmt die Regie die Bestandteile eines Krawattentenors auseinander und montiert mit seinem Darsteller einen Paradiesvogel. Aber es entsteht keine Karikatur, sondern eine originelle Figur, die wie nebenbei betörend singt. Im Ensemble daneben finden sich Perlen wie Nadine Dobbriner als Juliska, schwebende Hummeln wie Marvin George und Salondamen wie Bettina Grothkopf. Auch die allerschönsten Momente sind flüchtig, weil es gleich mit dem nächsten Tanz, der nächsten Pointe und dem nächsten Schlager weitergeht. Auf beglückend hohem Niveau mischt Annaberg-Buchholz in der aktuellen Operetten-Renaissance kräftig mit.


  • Der reichste Mann der Welt. Operette von Hans Müller, Musik von Ralph Benatzky (Deutsche Erstaufführung) – Musikalische Leitung: Jens Georg Bachmann / Karl Friedrich Winter – Inszenierung und Ausstattung: Christian von Götz – Choreographie: Leszek Kuligowski – Dramaturgie: Annelen Hasselwander – Thassilo: László Varga – Marie: Bettina Grothkopf – Bandi: Christian Wincierz – Ilka: Madelaine Vogt – Anselm Hugelmann: Leander de Marel – Philippine: Judith Christ-Küchenmeister – Ludwig Reingruber: Jason-Nandor Tomory – Schorsch: Richard Glöckner – Graf Bronsky: Marvin George – Juliska: Nadine Dobbriner – Zenzi: Stephanie Ritter – Schlafwagenkondukteur: Christian Wincierz – Männerquartett: Yuta Kimura / Jens Langhans / Jinsei Park / Volker Tancke – Erzgebirgische Philharmonie Aue – Opernchor des Eduard-von-Winterstein-Theaters
  • Aufführungen: Sa, 30.10.2021, 19.30 Uhr (besuchte Vorstellung: Generalprobe Do 28.10.21) – Mi 03.11.2021, 19.30 Uhr | Fr 19.11.2021, 19.30 Uhr | So 28.11.2021, 19.30 Uhr | So 05.12.2021, 19.30 Uhr | So 19.12.2021, 16.00 Uhr | Do 30.12.2021, 19.30 Uhr | Sa 05.03.2022, 19.30 Uhr | Sa 19.03.2022, 19.30 Uhr | Mo 18.04.2022, 19.30 Uhr 

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