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Foto: Marlies Kross
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„Tannhäuser“ in Görlitz: Zwischen Muse und Mätresse

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Am gleichen Tag, an dem die Oper Leipzig nach der Absage Katharina Wagners mit dem dritten Remake der „Tannhäuser“-Produktion von Calixto Bieito herauskam, gab es am Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz die Neuinszenierung der gleichen Oper: Schnörkellos auf dem Punkt und musikalisch gekonnt mit zwei beeindruckenden Protagonisten. Der Ausflug in die Lausitz lohnt sich.

Auf dem Flügel leere Notenblätter, unschuldiges Papier in der Schreibmaschine und die Leinwand auf der Staffel ist blütenweiß. Heinrich Tannhäuser kommt zu nichts in seinem Atelier, denn in seinem Bett räkelt sich eine Frau mit einem Leib von Alabaster. Das ist Frau Venus, von der Heinrich Tannhäuser wegwill und der er beim Sängerkrieg auf Wartburg wiederbegegnen muss. Das Gerhart-Hauptmann-Theater zeigt sich bei seiner ersten Wagner-Produktion seit langem (vor fünfzehn Jahren gab es dort den „Fliegenden Holländer“) erstaunlich sicher im Umgang mit dieser romantischen Oper und ihren großen Herausforderungen.

Tannhäuser wird in Görlitz unübersehbar zum Alter Ego Richard Wagners, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts neue Schaffensimpulse sucht. Erst dann kann er wieder kreativ sein, wenn er erkennt, dass ihm die gleiche Frau Sinnlichkeit gewähren kann und zugleich doch zu einer tragfähigen Partnerschaft mit ihm fähig ist: Am Ende gibt es mehr als nur einen blühenden Pilgerstab, nämlich eine ganze Frischblatt-Kolonie auf abgeholzten Baumstämmen: Tannhäuser sinkt nicht entseelt zu Boden, sondern findet zu neuer Schaffens- und Manneskraft. Dabei sind beim Sängerkrieg die wichtigsten Werke der anwesenden Poeten gebändigt und portalhohe Buchrücken bestimmen den Schauplatz.

Bildung wird zum Bild

Literatur dient als repräsentatives Ornament, Bildung wird zum Bild. Als Zentrum von Tannhäusers Atelier hat Karine Van Hercke einen Konzertflügel gesetzt, aus dessen Corpus der kecke junge Hirt (Jenifer Lary) in Tracht entspringt. Ji-Su Park als rundum fabelhafter Wolfram von Eschenbach singt sein Lied an dem Abendstern vor dem umgestürzten Instrument und großbürgerlichem Statussymbol, aus dem die Phantasien drängen. Er ist der Stern dieses „Tannhäuser“-Ensembles, eine bessere, stimmigere Leistung ist kaum denkbar.

Für kulturpessimistische Wagnerianer wie Charles Baudelaire oder Apokalyptiker wie Oswald Spengler wäre das Ende dieser hier kaum anarchischen Kunst- und Schaffenskrise wohl zu optimistisch, zu unspektakulär gewesen. Aber François de Carpatries steuert in seiner plausiblen, schnörkellosen Personenregie so gekonnt auf das harmonische Ende zu, dass seine durch die schweren Kostüme verdichtete Lesart als Salonpièce hervorragend mit dem Werk und der musikalischen Realisierung der fast strichlosen Dresdner Fassung harmoniert. Albert Seidl verstärkte den rundum homogenen Opernchor auf etwa vierzig Sänger und hält ihn in der stimmendominierten Überakustik des Theaters in einer ausgezeichneten Balance.

Andrea Sanguineti legt mit der Neuen Lausitzer Philharmonie ein eindrucksvolles Plädoyer für die belcantesken, melodischen Momente der Partitur vor. Natürlich ist in Görlitz die Balance mehr auf Seiten des Blechs und fördert zwangsläufig den mehr offenen als streichergedeckten Klang. Nicht nur die kleine Celli-Gruppe hinterlässt genauso wie die kultivierten Hölzer einen sehr guten Eindruck. Andrea Sanguineti ist ein hervorragender Sängerdirigent, weiß mit den akustischen Tücken des Hauses umzugehen und zeigt immer wieder mit Eleganz und Dolcezza, wie viel Meyerbeer und Donizetti in Wagner stecken. Dazu hat er in den beiden Hauptpartien auch die genau richtige Besetzung.

Denn Patricia Bänsch ist als Elisabeth kein zahmes Gesangsverein-Maskottchen, als Venus ebenso wenig eine Gründerzeit-Kurtisane. Gertenschlank windet sie sich auf dem großen weißen Bett um Tannhäuser und attackiert ihn bei seiner Rückkehr zum Sängerfest auf Augenhöhe. Sie durchmisst ihr intensives Rollendoppel mit unerschöpflich markanten Tönen und optimaler Diktion. Ein spannendes Porträt, in denen sich Patricia Bänsch erfreulich gegen die von Wagner seinen Frauenfiguren aufoktroyierten Erlösungsaufgaben zur Wehr setzt.

Optimale Balance

Das gewinnt eine optimale Balance durch die Besetzung mit einem Tannhäuser, der aussieht wie ein echter Salonlöwe und dazu das vokale Umfeld dieser gefürchteten Partie mitdenkt. Die italienisch geführte Stimme Franco Farinas hat nach seinem bemerkenswerten „Tristan“ mit Catherine Foster vor einigen Jahren in Weimar noch immer ein außerordentlich schönes Material, das allerdings nicht immer ganz bis an die Enden der kräftezehrenden Preislied-Strophen reicht. Die Romerzählung Franco Farinas wird zum expressiven, konditionsstark durchgehaltenen und steigerungssatten Höhepunkt des Abends. Da gibt er eine glänzende Visitenkarte für zukünftige Aufgaben als Peter Grimes oder Herodes ab.

Nicht ganz klar ist, was die Lazarettschwestern am Ende mit dem Kinderwagen wollen und was dem Rosenregen auf Tannhäusers Liebeslager, das es hier anstelle einer Venusgrotte gibt, noch folgen kann. Aber das sind Bagatellfragen angesichts dieser rundum erlebenswerten Produktion.

  • Premiere: Sa 17.03.2018  – Besuchte Vorstellung: Ostersonntag, 01.04./15:00  - Wieder am Fr 06.04./18:30 -  fr 13.04./18:30 – So 27.05./18:30 – Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz (Musikalische Leitung: Andrea Sanguineti / Ulrich Kern - Regie: François de Carpentries - Ausstattung: Karine Van Hercke - Choreinstudierung: Albert Seidl - Hermann, Landgraf von Thüringen: Stefan Bley - Tannhäuser: Franco Farina - Wolfram von Eschenbach: Ji-Su Park - Walther von der Vogelweide: Thembi Nkoski - Biterolf: Hans-Peter Struppe - Heinrich der Schreiber: Michael Berner - Reinmar von Zweter: Meinhardt Möbius - Elisabeth/Venus: Patricia Bänsch - Ein junger Hirt: Jenifer Lary - Neue Lausitzer Philharmonie, Opernchor, Statisterie)

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