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Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald
Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald
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Theos Kurz-Schluss: "Wie ich einmal – vor mich hinmodernd – versuchte, den politisch verordneten Modern Times zu genügen"

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Mich erreichte der Weckruf überraschenderweise ausgerechnet via eines TV-Trios oder modischer »Trielles« aus dem Munde Armin Laschets (vielleicht war es aber bei einem Quartett, neuerdings auch »Quartell« genannt, doch Christian Lindner): Jedenfalls hatte sich das altbackene Land der Dichter und Denker – so das Postulat – in ein Land der digitalen Dichter und Denker zu wandeln, um international konkurrenz- und zukunftsfähig zu werden.

Mir wurde klar, dass ich in Sachen künstlicher Intelligenz – sowohl in allen Bereichen von Soft- wie von Hardware – ein schier unverzeihliches Informationsdefizit mit mir rumschleppte. Um mir wenigstens ansatzweise einen Überblick in Sachen digitaler Entwicklungen zu verschaffen, warf ich meinen Pentium-Computer an, blies den Staub von der Tastatur und versank lange Zeit – auch weil mein Modem, statt zeitgemäß zu rasen, leider nur humpelte – im Internet.

Irgendwas mit Innovation und Apfel hatte ich noch im Resthirn – und tatsächlich verband mich mein Explorer zunächst mit etlichen Apple-Links. Da gab es einen Hinweis auf das iPhone 20. Flugs holte ich mir die Beschreibung aus der Future-World-Website von Computer-Bild: grandios. Dagegen wirkte das üppigste Schweizer Taschenmesser wie ein Feuerstein-Pfeil von Ötzi. Abgesehen von Wasserstoff-Akku-betriebener World-Wide-Kommunikation via Satelliten samt GPS, All-Stream-Player mit Tageslichtprojektion in Cinemaxx-Leinwand-Dimension und Hologrammdarstellung samt Laserschwert mit Flaschenöffner bot das Teil einen Mini - 3D-Drucker. Der konnte – war man nicht weiter als einen Kilometer vom nächsten Fastfood-Schuppen entfernt – Big Macs, Sushi oder Chicken Wings produzieren. Und das Sensationellste: Faltbar passte das Teil in das Pay-Chip-Täschchen jedes Stringtangas. Da fühlte ich mich Lichtjahre hinterm Mond.

Nach kurzem Nachdenken und einem zufälligen Blick in meine Kochnische gab ich »Reinigungsmittel« als Suchbegriff ins Explorerfeld. Circa 20 Rechenminuten später wurden mir etwa 1.000 sogenannte Links angeboten. Zunächst klickte ich mal auf »Intelli-Clean« – und bekam einen etwas ruckelnden Film zu sehen – ohne Ton, weil ich zunächst vergessen hatte, die Kopfhörer einzustöpseln: Im Bild erst eine goldene Tube, dann eine stark verschmutze Küche und eine Hand, die ein paar Tropfen auf dem Boden verteilte. Die breiteten sich in Windeseile über das gesamte Kücheninterieur – eine Stoppuhr zählte zehn Sekunden – eine rosa Wolke breitete sich aus, verschwand – und der Raum war clean. Ein Bestellfeld mit Zahlungsangaben in Bitcoin an eine kolumbianische Web-Adresse öffnete sich. Gefordert wurden als Sonderangebot für drei Tuben knappe 100 – eigentlich günstig – aber ich war gerade etwas klamm.

Schon mal auf dem Reinigungstrip klickte ich als Nächstes »vollkommene Haushaltshilfe, energetisch anspruchslos« an. Diese Hilfe wurde in den Ausführungen »divers, weiblich oder männlich« vertrauenerweckend jeweils zum gleichen Preis angeboten. Wieder gab es einen Film, in dem ein etwa brusthohes, viergliedriges, der Beschreibung nach aus rostfreiem Stahl bestehendes Irrwisch-Wesen mit Rüsselkopf den Boden saugte, wischte, dann in den Kleiderschrank kletterte, unbekannte Chemie versprühte, die offensichtlich alles reinigte. Zuletzt bezog das Teil ein Bett und setzte sich (wenn man das so nennen kann) auf die Bettkante. Ich hatte noch immer keinen Ton, konnte aber dem Textlaufband entnehmen, dass dieser mit höchster künstlicher Intelligenz versehene Roboter gegen geringen Aufpreis auch noch in der Ausführung »Bernhardiner«, »Kuscheltiger« oder »Altenpfleger« erhältlich sei. Divers, weiblich oder männlich. Seltsamerweise dann doch am billigsten die »Altenpflege«-Version.

Das brachte mich auf die Idee, doch nach digitaler Unterstützung für die in seuchenbelasteten Jahren schwer geschundenen Kinder und Jugendlichen zu suchen. Also gab ich mal die Stichwörter »Bildung«, »Zukunft« und »Schule« ein. Wieder jede Menge dieser Links. Ich klickte auf »unverzichtbare Hilfsmittel«. Seltsamerweise wurde mir zuallererst eine Kollektion leicht aufstellbarer undurchsichtiger Trennwände angeboten. Sie sollten in den Klassenzimmern ein »Homeschooling-Feeling« generieren, das Lehrpersonal ebenso wie Schülerinnen und Schüler vor der Fremdmenschenpanik bewahrt, die sich – vielleicht als Schutzmechanismus – während der Pandemie ausgebreitet hat. Auf Infos über den digitalen »Nürnberger Trichter« statt teuren Lehrpersonals verzichtete ich.

Was mich noch reizte, waren Kenntnisse in Sachen digitaler Zukunftskultur. Auch hier wieder eine Linküberfülle. Es gab kreative 3D-Drucker für Skulpturen aller Größen oder für Architektenhäuser, Fantasiebüros, ausbruchssichere, kostengünstige Gefängnisse. Malende, filmende, schreibende – ja: dichtende – Roboter mit je nach Preis gestaffelter künstlicher Intelligenz. Das faszinierte und erschreckte mich zugleich. Im Low-Cost-Bereich für Autoren gab es ein kostenloses Testangebot für einen Text – nicht länger als 5.500 Zeichen. Man konnte einige Parameter eingeben – angeblich suchte die KI dann im Netz noch weiteren Input. Also speiste ich »Digital, Politik und Kultur, Zukunft, Olaf Zimmermann« ein und schickte die Bestellung ab. Das Ergebnis liegt Ihnen hiermit vor.

 

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

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