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Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald
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Theos Kurz-Schluss: Wie mir einmal schlagartig klar wurde, dass Hollywood-Filme letztlich wohl weder tröstende, geschweige denn lebensberatende Funktion haben

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Ein ekliger November-Sonntag: Nebel, Nieseln, Nachrichten mag man weder hören, geschweige denn sehen. Was sich via Handy durchpusht macht traurig. Um dem Allseits-Grau zu entfliehen, entschließe ich mich zum Streaming-Gucken eines Films, von dem ich ziemlich sicher weiß, dass er bei aller Spannung einigermaßen gut endet. Kaum zu glauben: James Camerons „Avatar“ ist schon über zwölf Jahre alt. Erinnerung verwaschen? Nie gesehen? Auch ich mach’s mir erst mal bequem. Und stelle mich unter die Hirnerfrischungsdusche von Wikipedia.

Mein Laptop-Vorleseprogramm – mit der Stimme von Meret Becker, kostet fünf Euro pro Monat – murmelt schmeichelnd: Im Jahr 2154 sind die Rohstoffe der Erde erschöpft. Der Konzern „Resources Development Administration“ baut auf dem erdähnlichen, fernen Mond Pandora im Alpha-Centauri-System den begehrten Rohstoff Unobtainium ab und gerät dabei in Konflikt mit einer humanoiden Spezies namens Na’vi, die sich gegen die Zerstörung ihrer Umwelt verteidigt. Pandora ist von erdähnlichen Lebensformen besiedelt – grüne Pflanzen und an irdische Säugetiere erinnernde Tiere –, hat aber eine Atmosphäre, die für die Atmung der Menschen nicht geeignet ist, sodass sie Sauerstoffmasken tragen müssen.

Der frühere US-Marine Jake Sully, der seit einem Kampfeinsatz von der Hüfte abwärts gelähmt ist, wird nach Pandora geschickt. Mithilfe künstlich hergestellter Na’vi-Körper, sogenannter Avatare, die sich durch Bewusstseinsübertragung steuern lassen, soll er Kontakt zu den Ureinwohnern herstellen und sie davon überzeugen, ihre Heimat und den Widerstand gegen den Abbau des Rohstoffs aufzugeben. Während das zuständige Team vor allem wissenschaftliche Ziele verfolgt und auf Vermittlung aus ist, will der militärische Leiter der Basis, dass Sully ihm Informationen bezüglich der Verteidigungsstrategien und Schwachstellen der Na’vi zuspielt. Man verspricht ihm, dass die Marine für seinen verdeckten Einsatz die Kosten einer Wirbelsäulenoperation übernehmen wird, und Sully sagt zu … In diesem Moment fängt trotz bequemer Sofalage mein faulheitsbedingt leicht maroder Rücken an zu zwicken – vielleicht weil das Fiepen einer Push-Mail Merets sanften Sprachfluss grob unterbricht. Ich erfahre, dass der Börsenkurs meiner einzigen je erworbenen Aktien sich im Sturzflug befindet. Seit der an und für sich ja superschlaue Facebook-Spekulant Mark Zuckerberg sein Imperium in ein „Metaversum“ umgefummelt und damit eine Art Second World ins Menschenleben geboren hat, geht es unverständlicherweise mit dem Kurs bergab. Mein Freeware-Spekulations-Controller – mit der Stimme von Humphrey Bogart, kostet monatlich fünf Cent – drängt mich zu raschem Verkauf. Wütend über die brutale Störung klopfe ich mit der Faust auf den Compi – reiße dessen Ladekabel samt Steckdose aus der Wand und bemerke noch, dass es dunkel wird …

… und finde mich in einer Art Computertomograph wieder, der mich mit zarten sphärischen Klängen umsäuselt und mit Meret Beckers Stimme zu mir spricht: „Willkommen, alter weißer Mann, im Metaverse-Converter. Du hast das Glück, eine weitere Daseins-Chance in einem zweiten Leben zu bekommen – dank unseres weltumspannenden neuronalen Netzwerkes haben wir dich während des Börsenkurssturzes unserer Aktien liebevoll aufgefangen. Dein erstes Leben wird mittlerweile in einem Kühlschrank konserviert. Wir lesen gerade deine wichtigsten Funktionsdaten ein. Es sind, nebenbei bemerkt, überraschend wenige. Mit denen wird unser Drei-D-Avatar-Drucker programmiert, der dich  – beziehungsweise dein zweites Ich – in wenigen Metaworld-Stunden repliziert und in einem dir angemessenen Umfeld im Metaversum platziert. Dann kannst du anfangen, deine Umgebung nach deinen Vorstellungen zu gestalten.“ 

Naja, das klingt ja gar nicht so schlecht. Ich bin dann wohl so eine Art „Theo-Allmächtig“ – stelle ich mir vor – entsinne mich aber dann einer grauslichen Hollywood-Plotte namens „Bruce allmächtig“, die bei allem dramaturgischem Schwachsinn doch etliche üble Perspektiven auswies. Der Titelheld und bislang erfolglose Journalist Bruce (Parallelen erkennbar?) nutzt seine drehbuchgenerierten Kräfte aus, um für einen romantischen Abend mit seiner Freundin Grace den Mond näher zur Erde zu rücken (Folge: Sturmfluten, Erdbeben). Um beruflich mehr Erfolg zu haben, lässt er einen Meteoriten während einer laufenden Reportage einschlagen. Da er bei seinen Sensationsberichten immer als Einziger mit Kamera vor Ort ist und exklusiv berichten kann, nennt man ihn bald „Mr. Exclusive“. (Davon war ich gottlob immer weit entfernt.) Doch langsam wächst Bruce die Allmacht über den Kopf. Da er alle ihn erreichenden Gebete mit „Ja“ beantwortet, gewinnen Tausende Menschen gleichzeitig im Lotto, was zu niedrigen Gewinnquoten und wütenden Protesten führt. Schließlich verlässt ihn auch noch seine Freundin. Nur gut, dass ich trotz meines – nicht von mir gewählten – Vornamens zeitlebens null Bock hatte, den Göttlichen zu spielen. Ein bisschen Chef: Ja. Aber auch nicht mehr. Rumms fand ich mich in einem offensichtlich sehr stark gestaltungsbedürftigen Ambiente wieder. Wohl dem mir angemessenen Metaversum. Wer den eigentlich technisch recht ordentlich gemachten Film „Dune, der Wüstenplanet“ gesehen hat, kann sich in etwa ein Bild von meiner mir im Metaversum angepassten Umwelt machen. In der öden Sandwüste gab es immerhin eine Wasserpfütze. Den Rest aber gab mir mein Spiegelbild: ein aus groben Polygonen zusammengestecktes Baukasten-Männchen. Ansonsten weit und breit nur Dünen, nicht mal Sandwürmer … Dann eine Stimme, die mir seltsam bekannt vorkam. Nein, nicht Meret Becker, sondern meine kluge Frau: „Mensch, haben wir ein Glück, dass der Fehlerstrom-Schutzschalter funktioniert hat. Was produzierst du denn für einen Unsinn. Du hättest die ganze Wohnung abfackeln können mit deinem Kurzschluss …“ Meine kluge Frau: Vor dem Aktivieren des Stromes hatte sie das Steckdosenkabel aus meiner Hand entfernt.

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur


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