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Camilla Tilling und John Daszak in Zemlinskys „Der Zwerg“. Foto: Wilfried Hösl
Camilla Tilling und John Daszak in Zemlinskys „Der Zwerg“. Foto: Wilfried Hösl
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Traum oder Albtraum? „L'Enfant et les sortilèges“ und „Der Zwerg“ an der Münchner Staatsoper

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Dieses Mal ist es gut gegangen, das spannende Zusammenwirken von Münchens Operngeneralen Nikolaus Bachler und Kent Nagano. Bachler, ein Freund der Theaterregisseure, konnte den jungen polnischen Regisseur Grzegorz Jarzyna nicht nur überreden, an der Bayerischen Staatsoper zu inszenieren, sondern ihn auch davon überzeugen, Ravels Kurzoper „L'Enfant et les sortilèges“ mit „Der Zwerg“ von Zemlinsky zu kombinieren.

Und für Kent Nagano boten diese Werke, beide in den 1920er-Jahren uraufgeführt, die Möglichkeit seine ureigenen Klangvisionen zu realisieren, sachlich und flirrend zugleich, ohne große Theatralik, aber immer mit nervöser Gespanntheit.

Worum handelt es sich bei den beiden Werken? Das Sujet ähnelt sich. Ravels Lyrische Phantasie basiert auf einem Text der Varietékünstlerin und Journalistin Colette und ist eine Art französischer Struwwelpeter: Das böse Kind wird von der Mutter einen Nachmittag bei Tee und trockenem Brot allein gelassen. In seiner Wut randaliert es in seinem Zimmer, und nun beginnen die leblosen Gegenstände eine Art Geisterstunde und rächen sich an dem kleinen Teufelskerl. Erst als es, durch Mitleid einsichtig, einem verletzten Eichhörnchen hilft, endet der Spuk mit einem Happy End.

Zemlinskys tragisches Märchen Der Zwerg basiert auf der Geschichte „Der Geburtstag der Infantin“ von Oscar Wilde. An ihrem 18. Geburtstag erhält die Prinzessin einen Zwerg zum Geschenk. Er ist hässlich, weiß aber nichts davon und verliebt sich unsterblich in seine Herrin. Zum Spaß geht diese auf sein Werben ein; als sie jedoch die Lust an dem Spiel verliert, hält man dem Gnom einen Spiegel vor. Enttäuscht von dem Verhalten seiner Angebeteten und entsetzt über sein furchtbares Aussehen stirbt der Zwerg starr vor Schreck.

Während Jarzyna bei Ravel vor allem auf Ausstattungszauber setzt und das Werk in einem Märchenwald (Bühne: Magdalena Maria Maciejewska) bunt kostümiert (Kostüme: Anna Nykowska Duszynska), werden bei Zemlinsky die metaphorischen Bezüge konsequent heraus gearbeitet. Der Zwerg ist weder hässlich, noch verwachsen; er tritt im schwarzen Anzug auf die Bühne. Seine Behinderung heißt Ehrlichkeit. Der Zwerg weiß um seine Gefühle und damit um seine Verletzlichkeit in der höfischen Welt der Infantin. Zemlinsky, der Künstler, scheint sich dabei in seiner Hauptfigur abgebildet zu haben. Und in dem Unverständnis der normalen Welt dem Künstlerischen gegenüber, so will er uns sagen, liegen die Stärken, aber auch die Schwächen des Kreativen.

Die enorm herausfordernde Tenorpartie findet denn auch in John Daszak einen Künstler, der Intensität und Spannung von der ersten bis zur letzten Minute aufrecht erhält. Überzeugend agieren Camilla Tilling (Donna Clara) im spanischen Ornat eines Velasquez und Irmgard Vilsmaier (Ghita), die nicht nur stimmlich an Wagners Brangäne erinnert.

Das Bayerische Staatsorchester unter Kent Nagano überzeugt von Beginn an, und vor allem die Strauß-Nähe der Zemlinsky-Partitur betört ob ihrer zarten Durchsichtigkeit. Es bleibt zu hoffen, dass der große Applaus für alle Beteiligten die Verantwortlichen daran erinnert, wie viele verborgene Opernschätze es noch zu heben gilt.

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