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Theodor Loos (links) und Wilhelm Dieterle (rechts) in Friedrich Zelniks Hauptmann-Verfilmung „Die Weber“ von 1927. Foto: FWMS
Theodor Loos (links) und Wilhelm Dieterle (rechts) in Friedrich Zelniks Hauptmann-Verfilmung „Die Weber“ von 1927. Foto: FWMS
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Unbequemes Ende: „Die Weber“ als restaurierter Stummfilm mit neuer Begleitmusik von Johannes Kalitzke bei ARTE

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Komisch. Selbst der Filmkritiker der Roten Fahne war angetan. Immerhin keine „Klassenversöhnung“! Das war das Wichtigste, dass der Film zeige, wie „Pfaffe und Waffe“ dem „Wink des Fabrikanten“ folgen. Was er zwar tut, aber worin er nicht aufgeht, weil er sich selbst auf keine Parteiseite schlägt. Was die kommunistische wie die zeitgenössische Kritik an Friedrich Zelniks Hauptmann-Verfilmung „Die Weber“ (UA 14.5.1927) letztlich verstört hat.

Bemerkt hat man es am Schluss. Höchst suspekt! „Ohne Ende, ohne Gerechtigkeit“! Beim Wiedersehen in der restaurierten, aus diversen Fassungen rekonstruierten HD-Version, ist es ausgerechnet dieses Ende, das an Zelniks Hauptmann-Verfilmung berührt. Ein Ende, in das die 94 Minuten davor mit ihrer parabelhaften Verkettung aus Gewalt und Gegengewalt ganz folgerichtig zusammenschießen.

Das Aktionistische, das die Stummfilmregisseure so sehr geliebt haben, ist in diesem Schluss aus Erschöpfung und Ratlosigkeit vollständig negiert, man kann auch sagen: es ist darin implodiert. Mit der Schlusseinstellung gibt uns Zelnik den Schlüssel für die Bilderflut davor, für die sich verklumpenden Massen mit ihrem Herdentritt, ihren emporgereckten Armen, geballten Fäusten. Bevor seine Kamera in betretener Abschiedsgeste Gerhard Hauptmanns Widmung an den Vater studiert, um sich (wie jener) nun als Film hinter „Werktreue“ und „Dokument“ zu verschanzen, rollen jene fünfzehn Sekunden ab, die nicht bei Hauptmann stehen und die das Revolutionsschauspiel davor wie mit dem Zauberstab in ein episches Licht tauchen. Wie im Teilchenbeschleuniger, wo wir auch erst im Spurensalat der Nebelkammer begreifen, dass hier offenbar bipolare Kräfte auf Kollisionskurs waren.

Golgatha 1927

Das Zerfallsprodukt von Zelniks „Webern“: Abziehende Soldaten in aufgelöster Marschordnung, starke Untersicht, zehn Sekunden; Steine (die Waffen der Weber), Nahaufnahme, drei Sekunden und schließlich für ganze zwei Sekunden die Gruppe der Rädelsführer unter der Großplastik eines Gekreuzigten. Eine „dumme Gruppe“!, wendet sich die zeitgenössische Kritik pikiert ab. Zu statuarisch. Zu ausdruckslos. Zu satirisch, anstatt (wie es sein sollte) utopisch auf die Pauke zu hauen. Was eben nicht geht, wenn sich einer einen erbeuteten Helm aufsetzt, nur um sich mit der Rechten am Kopf zu kratzen: Was hat es uns gebracht? Wie weiter?

Ein langer, temporeicher Film erstarrt in einem Standbild, das die Tradition der Tafelmalerei, der ehrwürdigen Kalvarienbergdarstellung anruft. Auch 1927 ist Golgatha, das Sinnbild des verlorenen Sinns, näher als viele glaubten. Zu soviel Anstößigkeit mochte sich denn auch die Regie, Friedrich Zelnik, der prominente Unterhaltungsfilmregisseur und -produzent, dann doch nicht ganz bekennen. Nach dem Wimpernschlag von zwei unendlichen Schrecksekunden blendet er ab, weshalb an dieser Stelle die Fernbedienung griffbereit sein sollte, um in der von ARTE versprochenen DVD-Version der „Weber“ in Ruhe nachvollziehen zu können, was Zelnik letztlich schamhaft verhüllt.

Bildberatung: George Grosz

„Ohne Ende, ohne Gerechtigkeit“? Zu seiner, zu Zelniks Ehrenrettungung und Gerechtigkeit sei hinzugefügt, dass dieses Ende unter dem Kreuz (mit großer Wahrscheinlichkeit) nicht seine, sondern Idee und Tat seines Bildberaters George Grosz gewesen ist. Der Vorspann jedenfalls nennt den Maler, Graphiker und Karikaturisten des Zerfallsprodukts Weimarer Republik als Verantwortlichen für „Stil und Masken“. Ausgerechnet Grosz! möchte man sagen, ausgerechnet jener Extrem-Karikaturist, der sich im Produktionsjahr der „Weber“ mit seinem „Jesus mit Gasmaske“ einen klassischen Gotteslästerungsprozess eingehandelt hatte. Hier nun hätte die Grosz-Forschung das Gegenbild dazu – ‚unpolitisch’, episch.

Und was die „Masken“ betrifft, die sehen wir gleich zu Anfang in den gezeichneten Tierköpfen neben den Fotografien der handelnden Personen. Karikaturen, die alles denkbar griffig erscheinen lassen: Fabrikant Dreißiger – ein Schwein. Frau Fabrikant Dreißiger – eine Henne. Des Fabrikanten Oberangestellter – eine Hyäne. Und der Herr Pfarrer – ein Papagei. So klar die Verhältnisse hier zu sein scheinen – im weiteren Verlauf gerät gerade diese Sicherheit ins Wanken, wenn Zelniks Kamera die Schattenseite der sich radikalisierenden Weber beleuchtet. Wenn diese nämlich die Villa des Fabrikanten stürmen und das Inventar in Schutt und Asche legen, hört sie auf, die Sympathie, mit der die Regie die lohngedrückten Heimarbeiter anfangs noch sehr kollwitzig in Szene gesetzt hatte. Jetzt ist es der Mob, der wütet. Und wie er das tut! Die Länge, die Gründlichkeit, mit der Zelnik/Grosz diesen vandalistischen Veitstanz laufen lassen, lässt keinen Zweifel. Man darf vermuten, dass das kolportierte Johlen im Berliner Uraufführungs-Lichtspielhaus vom Mai 1927 denn auch bald einem betretenen Schweigen gewichen sein wird: Auch die Gesichter der Unterdrückten dieser Erde – Masken. Dahinter die Gier, die Häme, die Destruktion und die Lust daran.

Und die Musik?

Gegenüber diesem, alle denkbaren Erwartungshaltungen, um nicht zu sagen: Klischees unterlaufenden Befund musste das Handwerk der zeitgenössischen Filmmusik, sofern keine „Originalmusik“ bestellt werden durfte, die Waffen strecken. So auch in diesem Fall. Das „thematische Skalenregister“, das auch Willy Schmidt-Gentner im „Handbuch der Film-Musik“ von Hans Erdmann und Giuseppe Becce vorfand, erwies sich als ziemlich stumpfes Schwert. So breit der offerierte Katalog der Tongefühle darin auch angelegt war – unterschieden wurde die „dramatische“ von der „lyrischen Expression“, die „lyrische“ von der allgemeinen „Incidenz“ – für dieses von Zelnik/Grosz kreierte Pöttchen gab es kein Deckelchen. Zu speziell fürs Schubladendenken der Musikillustratoren. Und doch: Ein Praktiker wie Schmidt-Gentner, den es später zu den Nazis verschlagen hat, hat sich natürlich am Wühltisch der Emotionen bedient, hat hier ein „hochdramatisches Agitato“, dort ein paar „mysterioso“-Effekte in seine Kompilation aus fragmentierten Orchestermusiken des 19. Jahrhunderts eingebaut. Eine Sackgasse.

Neukomposition

Begrüßenswert, eigentlich unumgänglich deshalb der Entschluss des Theaters der Stadt Augsburg, den Kölner Komponisten Johannes Kalitzke mit einer neuen Begleitmusik zu diesem Stummfilmereignis der Weimarer Republik zu beauftragen. Wer Kalitzkes Arbeiten kennt, wundert sich nicht, dass das Albtraumhafte des Films bei ihm nicht Resultat, sondern Voraussetzung ist.

Entstanden ist eine von den Augsburger Symphonikern im Juni zur Uraufführung gebrachte „Orchestersuite“ für 36 Musiker, die instrumental-konkrete Klänge mischt mit elektronisch modifizierten. Ein Verfahren, das ihm einen Tonfall sichert, der sich distanzieren kann, wenn sich allzu Vordergründiges aufdrängen will. Kalitzke ist eindeutig, lässt sich auf illustrierende Spielerein erst gar nicht ein, bezieht Position von der ersten Note an, ist, das Ende vorwegnehmend, allwissender Erzähler im besten Sinn. Die Partitur gehört für ihn ins Tauchbad der Opfer-Täter-Dialektik und das Fixe historischer Genres wie Marsch, Arbeiterlied, Choral und dergleichen in den Schmelztiegel der Komponierwerkstatt. Denn, so die nüchterne Feststellung des Komponisten: „Die Gewalt führt zu keinem Ergebnis.“ Und weil das so ist, weil zum schlechten Ende immer der Katzenjammer hinzukommt, kann auch die Musik am Ende nicht schlauer sein als die Bilder.

Deshalb zum Schattenriss der abziehenden Soldaten, zu den Steinen am Boden, zur Sprachlosigkeit der Kreuzigungsgruppe diese dumpf verhallenden Trommelschläge. Dann Schweigen.

Die Weber (D 1927) – 94’
HD,  s/w – Restaurierte Fassung mit neuer Orchestermusik
Deutsch-französische Erstausstrahlung
ARTE, 28.08.2012, 00:25 Uhr

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