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Gunfighter Nation. Ankündigung.
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Uraufführung von Evan Gardners Westernoper „Gunfighter Nation“ im Berliner Ballhaus Ost

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Opera Lab, der Veranstalter dieser freien Opernproduktion, scheint das Ergebnis der Wahlen in den USA so und nicht anders erwartet zu haben. Aus dem Wort „Western“ wird „West Earn“ auf goldenen Lettern in der überaus reich aufgepeppten Spielstätte, dem Berliner Ballhaus Ost im Szene-Stadtteil Prenzlauer Berg.

Die Raumbespielung des Saals mit den ringsum verteilten Zuschauern gemahnt an ähnliche Raumlösungen in der Werkstatt der Staatsoper, wenngleich jene sehr viel karger ausgestattet waren als diese, durch Förderung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, die Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten und durch das Bezirksamt Pankow für Weiterbildung und Kultur ermöglichte Luxusproduktion, die wohl aufwändigste Operninszenierung, die ich je in einem kleinen Raum erlebt habe.

Das Publikum wird integriert, indem jeder Besucher am Eingang ein Band mit zwei Indianerfedern erhält. Mit Solisten, die teils auch aus Produktionen der Staatsoper bekannt sind – wie Lena Haselmann, Martin Gerke und Enrico Wenzel – gerät der Umgang mit Musiktheater durchaus professionell. Nur leider ist die Produktion mit 105 Minuten mindestens um eine Viertelstunde zu lang geraten.

Komponist Evan Gardner mischt Adaptionen amerikanischer Nationalgesänge mit Gospels und einer Hustenanfall-Tutti-Nummer. Singend ringt der „Siedler“ (Martin Gehrke) um das komplette Wort „Americ–a“. Originell erweist sich Gardners Partitur im Einsatz von Musikern, die gleichermaßen virtuos schauspielern und singen, ihr Instrument nicht nur auswendig beherrschen, sondern damit auch ungewöhnlich hantieren müssen. Die Schlagzeuger (Evdoxia Filippou und Alexandros Giovanos) attackieren sich auf Englisch und Griechisch und bewerfen sich mit ihren Instrumenten, gipfelnd in einer Abfolge gegenseitiger rhythmischer Ohrfeigen. Drei Damen an Violine, Klarinette und Flöte (Mia Bodet, Jone Bolibar, Shin Joo Margantini) übervorteilen sich verbal, verspotten sich gegenseitig mit der identischen Lachsalvenkette und schrauben dabei die Töne ihrer Instrumente immer höher. Der Cellist David Eggert bietet besondere Bravournummern einer libertinösen Beziehung zu seinem weiß lackierten Instrument: als fanatischer Prediger, abwechselnd depressiv und aggressiv, verliert er im Spiel seine Brille und zahlreiche Haare seines Bogens. Ein sprachliches und musikalisches Duell liefern sich zwei Cowboys an Tuba und Gitarre, ein Spiel mit Jetons auf Leben und Tod, wobei der Gitarrist (Matthias Koole) seinem Instrument Töne entlockt, wie sie sonst nur in der Popmusik Anwendung finden und der Tubist (Jack Adler Mckean) sein Mundstück komplett in den Schlund steckt um dann durch sein Instrument zu pfurzen.

Innerhalb des Spiels zwischen heiler Welt, Kampf mit den Ureinwohnern und allgemeiner Anpassung, werden nicht weniger als drei Dirigenten (Manuel Nawri, Antoine Daurat, Musashi Baba) verschlissen. Der erste wird aus Versehen erschossen, seine Leiche dann für lange Zeit neben einem elektrischen programmierbaren Klavier drapiert; der Mörder übernimmt das Dirigat und mit der US-Flagge werden Blutflecken weggewischt. Dann wird eine Barriere zum Kampf gegen die Indianer aufgestellt. Eine atombusige blonde Lady (Gina May Walter) müht sich vergeblich um die Dressur eines Teewagens, ein Altist (Georg Bochow) als Pop-Star im Golddress malt sich – wohl in Umkehrung zum King of Pop – das Gesicht mit schwarzer Farbe an. Das Trompetensignal einer männlich besetzten Truppenbetreuerin auf einem Elektrogefährt (Matthew Conley) kündigt den trotz vieler in ihm steckender Pfeile siegreichen Kriegsheimkehrer und Superman (Enrico Wenzel) an, der einen toten Indianer auf die Barriere legt und zum Lohn mit Silberlamettaschnüren dekoriert wird. Kollektiver Kannibalismus an einem Erhängten folgt ein erneuter Angriff der Harmonika spielenden Amerikaner, „The Indians are coming!“. Die nahen sich mit einem Schaumgummi-Marterpfahl, der als Grenze umgelegt wird. Die vormaligen Eingeborenen werden von den Herren (und Damen) des Landes als Refugees behandelt, Decken werden verteilt, und die Ansprache des Häuptlings kündet von „Self Evidence“. Mit Hilfe eines Integrationsmodell-Fragebogen-Systems eruiert die First Lady (Lena Haselmann) – hier mag das Wortspiel „The Lady and the Trump“ naheliegen – das Wissen der Einlass Begehrenden über amerikanische Geschichte. Der hochschwangeren Squaw (Yuka Yanagihara) gelingt es, den toten Indianer durch ihr Singen wiederzubeleben.

Der erschießt dann den amtierenden Präsidenten und übernimmt dessen Amt. Die westlichen Amerikaner machen sich mit Federn, die sie Besuchern vom Kopf reißen, selbst zu Indianern, während die Ureinwohner mit Baseballkappen und Plastikjacken über ihrem indianischen Outfit zu westlich adaptierten Amerikanern mutieren. Die Squaw gebiert eine große Coca-Cola-Flasche, deren geschüttelter und durch Zuckerstücke an Sprudelwirkung noch intensivierter Inhalt sich klebrig auf die Szene ergießt. Abschließend quetschen sich die beiden Aufgenommenen in ein winziges Einfamilienhäuschen, über dessen Schornstein der letzte Dirigent des Abends ein Schild mit dem sattsam strapazierten Trump-Motto hält: „Make America great again“.

Die in der Wiederholung zumeist arg redundanten Momente der hier versammelten grotesken Trapp- oder auch Trump-Familie hat Michael Höppner im Bühnenraum von Martin Miotk und den bis in die Dessousdetails pretiösen Kostümen von Andy Besuch gekonnt in Szene gesetzt.

Die angekündigte „Auseinandersetzung mit amerikanischen Mythen“ kommt allerdings zu kurz, und die Uraufführungs-Produktion hinterlässt aufgrund der Diskrepanz von Aufwand und Inhalt dann doch einen zwiespältigen Eindruck.

Das anzahlmäßig geringe Publikum reagierte amüsiert und am Ende mit kurzem, ungeteiltem Beifall, inklusive einem wohl nur ironisch gemeinten Buhruf für die Macher.

  • Weitere Aufführungen: 11., 12., 14. und 15. 11. 2016.

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