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Anja Kampe und Klaus Florian Vogt in Andreas Kriegenburgs Münchner „Walküre". Foto: Wilfried Hösl
Anja Kampe und Klaus Florian Vogt in Andreas Kriegenburgs Münchner „Walküre". Foto: Wilfried Hösl
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Weit entfernt vom Wagnerglück: Schwache Halbzeitbilanz beim neuen Münchner „Ring“ nach der „Walküre“

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Was haben die Jahre 1975, 1987, 2002 und 2012 gemeinsam? Diese Daten dokumentieren jeweils den Beginn eines neuen Rings in München und damit den Beginn einer der größten Herausforderungen, der sich ein Opernhaus stellen kann. Die Namenspaare Rennert/Sawallisch, Lehnhoff/Sawallisch, Wernicke/Alden/Mehta und Kriegenburg/Nagano dokumentieren, dass sich die musikalischen Chefs der Bayerischen Staatsoper in zehn- bis fünfzehnjährigen Perioden jeweils persönlich mit diesem großen Stück Musikgeschichte auseinandergesetzt haben.

Es wird vielerorten diskutiert, ob die im Ring des Nibelungen, in seinem Vorabend und den drei folgenden Tagen, zum Ausdruck kommende Gedankenwelt des neunzehnten Jahrhunderts Relevanz für uns Heutige besitzt; ob Wagners Endzeitordnung mit Riesen und Göttern, Zwergen und Helden, mit unserem scheinbar entmythologisierten 21. Jahrhundert Beziehungen aufweisen kann. Unbestritten ist jedenfalls die musikalische Potenz und Zeitlosigkeit der Musikdramen, und diese rechtfertigen und verlangen eine aktuelle Auseinandersetzung.

Wenn man die letzten Inszenierungsreihen und die soeben neu begonnene miteinander vergleicht, die dahintersteckenden Regieansätze in Beziehung bringt, ist festzustellen, dass jeder Ring, der von 1975 genauso wie der 1987 oder 2001 gestaltete trotz unterschiedlicher Persönlichkeiten ihrer Regisseure, eine Gemeinsamkeit mit dem anderen aufweist: er ist ein Kind seiner Zeit. In den siebziger Jahren, der Nach-Wieland-Wagner-Zeit, steht das Licht als gestalterisches Element der Bühnendramaturgie im Vordergrund. Kostüme und Requisiten befinden sich in einem Zwischenreich von Abstraktion und Verfremdung. Neu-Bayreuth hat die Konkretheit des Bühnenbilds verbannt, und dies war Vorgabe auch für München.

Die Achtziger Jahre mit ihrem Turbokapitalismus und protzigem Aufsteigertum brachten München die Opulenz der Bühnengestaltung wieder, freilich gleichzeitig verfremdet als Cyber Space Landschaft. Nach Chereau war der gesellschaftlich-sozialkritische Ansatz gefragt, und so spiegelte sich in Lehnhoffs Visionen das Ende der bürgerlichen und postbürgerlichen Gesellschaft wider. Der von David Alden komplettierte Ring sollte einen sozialkritischen und mythologischen, aber auch gesellschaftskritischen Ansatz verfolgen.

Und nun also Kriegenburg. Versprochen war ein neues Erzählen, die Verortung des Wagnerschen Mythos in Zeit, Raum und Gesellschaft. Schon im Rheingold wurden daher Schauspielgruppen als auflockerndes Element der Ringerzählung eingeführt. Auch die Bildmächtigkeit der Bühne stand im Vordergrund. Ein stringentes Konzept war noch nicht erkennbar – und so ist es leider auch in der Walküre geblieben. Der Regisseur und seine Mitstreiter (Harald B. Thor, Bühne; Andrea Schraad, Kostüme und Zenta Haerter, Choreographie)  setzen weiterhin auf Bebilderung und verweigern sich einer konzeptionellen Aussage.

Das führt in manchen Momenten durchaus zu schönen und plausiblen Stellen, verkleinert Wagners Weltenmythos jedoch auch das Niveau einer Grimmschen Märchenerzählung. In der Walküre, in Wagners Bezeichnung der „Erste Tag“ des Bühnenfestspiels, zeichnen sich bereits alle Konflikte ab, die dann in der Apokalypse der Götterdämmerung kulminieren. Doch auf der Bühne ist davon wenig zu finden.

Wo bleibt die Rollen- und Personenentwicklung? Gerade bei Wotans Abschied machten sich die Regiedefizite besonders bemerkbar. Hier muss doch gezeigt werden, wie aus dem rächenden, strafenden Gott und Vater durch Brünnhildes Gesprächskünste der Komplize  der Walküre wird, der dafür sorgt, dass nur der furchtlose Held das Feuer zum Felsen durchschreitet. Bei Kriegenburg hierzu Fehlanzeige.

Aber auch der Orchestergraben war an diesem Abend in problematischer Verfassung. Einmal mehr zeigte sich, dass Nagano der emotionalen Wucht der Wagnerschen Klangmassen misstraut. Was beim Kammerspiel des Rheingolds durchaus zu überzeugen vermag, zerstört das Innerste der Walküre: zurückgenommen die Winterstürme, gebremst die Todesverkündigung, in seine Einzelteile zerlegt, der Feuerzauber.

Dem mussten sich die Sänger stellen und gaben ihr Bestes, allen voran die Fricka der Sophie Koch, die sich im Vergleich zum Vorabend enorm steigern konnte. Untadelig engelsgleich der Siegmund von Klaus Florian Vogt. Der kurzfristig eingesprungene Thomas J. Mayer gab einen überzeugenden Wotan und Anja Kampe stellte sich tapfer den Herausforderungen ihrer Sieglindenpartie.

Es bleibt zu hoffen, dass sich mit Siegfried und Götterdämmerung doch noch Spannung und Hörerglück einstellen.

Weitere Aufführungen: 15.3.12, 18.2.12 und 25.3.12

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