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Die Seele der Geige. Foto: Benedikt Schulte
Die Seele der Geige. Foto: Benedikt Schulte
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Weltpremiere: Der Film „Die Seele der Geige“ von Benedikt Schulte beim DOK-fest München 2018

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Wer den Wald (den deutschen zumal) als Hort des Seelenvollen begreift, wer ihn als Zentrale von Schönheit und Farbenreichtum versteht, um dort auf der Suche nach kontemplativentschleunigender Kraftsteigerung das Muskelwachstum via Training zu forcieren gedenkt, wer ihn als Treffpunkt der Mythen und Mysterien versteht, der sollte nicht vergessen, dass er sich inmitten rein wirtschaftlich generierter Umgebungen aufhält. Da wird – was die Profitmaximierung meint – in mehrfach aufeinander folgenden Generationen gedacht. So nach neunzig Jahren mag ein guter Baumstamm „erntereif“ sein. Auch Geigenbauer gehen zuweilen in die Natur – notgedrungen.

Auf der Suche nach dem Stoff, der ihr Geschäft forciert. Aus dem sie Familie und Werkstatt finanzieren. Und den Ehrgeiz eines wundervollen, jahrhundertealten Handwerks an den Grenzen des Leistbaren in der Frühzeit des dritten Jahrtausends mit seiner digitalen Perspektive zu forcieren. Imagemässige Marktführer sind immer noch die Meistergeigenbauer aus Oberitalien, angeführt von Stradivari und Co, deren Instrumente schier unbezahlbar sind. Und folglich den Meistergeigern dieser Zeit im Regelfall von Banken oder Industrieunternehmen, denen sie gehören, als Dauerleihgaben zur Verfügung gestellt werden.

Des Großmeisters Frank Peter Zimmermanns allergrößte Liebe war für längere Zeit die legendäre, dreihundert Jahre alte Stradivari-Geige mit dem Kosenamen sozusagen „Lady Inchiquin“, aktueller materieller Gegenwert sechs Millionen plus X.... Die sponsernde West-LB ging freilich in die Insolvenz und das Objekt der Begierde folglich in andere Hände über. Zimmermann konnte zwar für rund zwei Jahre mit anderen Weltklasseinstrumenten musizieren. Seine Seele, seine Stimme fehlten ihm. Nach langem Hin-und-Her stieg das Land NRW als Helfer in der Not ein. Der ungeheuer sensibel in all seinen Facetten die Wunderwelt des Geigenbaus ausleuchtende und aushörende Film von Benedikt Schulte führt das genuin vor Augen und: vor Ohren. Er positioniert sich nicht in der Schlüsselloch-Perspektive. Doch lässt er uns teilhaben an den intuitiven Kräften, an der aberwitzigen handwerklichen Herausforderung, der sich Geigenbauer wie Geigenspieler der Spitzengruppe aussetzen. Wobei den Cremoneser Meistern der bewundernde Augen-wie-Ohren-Rück-Blick aus dem Heute sicher ist. Auch aus der naturwissenschaftlichen Perspektive. Des Violinisten Zimmermanns genuine, feinfühlige Darstellung des Beethovenschen Violinkonzerts, von den Bamberger Symphonikern adäquat begleitet, steht da im Dialog mit den Einlassungen und Ausführungen samt handwerklicher Meisterleistungen des weltberühmten Landsberger Geigenbauers Martin Schleske, der nach eigener Einschätzung Werke der Klangskulptur fertigt. Er lässt behutsame Einsichten in die Geheimnisse seiner Profession zu. Ohne Geheimnisverrat zu begehen.

Von den Winterwaldszenen zur Auswahl geeigneten Holzes bis zur bewundernswerten Handfertigkeit beim Hinarbeiten des Rohmaterials in Richtung auf Seele, auf Stimme, schauen wir staunend und fasziniert zu und wissen schließlich nicht, ob der Geiger oder der Geigenbauer wichtiger ist. Aber das wird unbedeutend, wenn große Musik in ihrem Erklingen auf derart großartige Grundvoraussetzungen setzen kann.

Dem Regisseur Benedikt Schulte ist ein wundervolles Portrait einer zauberhaften, einer verschworenen Gemeinschaft gelungen. Dass solche Produktionen mit vergleichbarer Ambition auch jenseits von zwanzigachtzehn in die Kinos und auf die Bildschirme kommen mögen, soll nicht nur Hoffnung bleiben, auch und gerade auf den Fortbestand öffentlich-rechtlicher Positionierungen hin... (EuroArts/BR/arte)

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