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Conde Ruiz. Foto: Andre Wirsig.
Esmeralda Conde Ruiz. Foto: Andre Wirsig.
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Wenn Daten singen könnten – Esmeralda Conde Ruiz untersuchte KI und Stimmen

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Bei den Dresdner Tagen der zeitgenössischen Musik (19.4.-7.5.) kooperiert HELLERAU mit dem SchauflerLAB an der TU Dresden. Die dortige Künstler:innen-Residenz hatte 2022 die Soundkünstlerin und Komponistin Esmeralda Conde Ruiz inne, die nun ihre Abschlussarbeit mit einer audivisuellen Installation und einer Vokal-Performance in Hellerau vorstellt.

Seit 2019 ist das Schaufler Lab@TU Dresden ein Ort der Vernetzung zwischen Kunst und Wissenschaft und sieht sich mit Kolleg und Residenzen als Impulsgeber für die interdisziplinäre Forschung und stellt mit einer „Wissenschaftslandschaft“ eine kompetente Umgebung für die Residenzkünstler:innen bereit, die über ein halbes Jahr hinweg ihre Themen hier bearbeiten können. Dass „KI als Faktor und Folge gesellschaftlichen und kulturellen Wandels“ als Rahmen für die ersten Residenzen gewählt wurde, ist kein Zufall und erweist sich weiterhin als hochaktuelles Thema in allen Bereichen unseres Lebens. Insofern ist das Abschlussprojekt der Schaufler Lab Residency Künstlerin 2022, Esmeralda Conde Ruiz, das bei den „Dresdner Tagen der zeitgenössischen Musik“ gezeigt wird, gerade von rasanten Entwicklungen und Verlautbarungen zu KI in den News-Kanälen begleitet, zu denen ein künstlerischer Blick unbedingt dazugehören muss. Dabei wird es weniger darum gehen, Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen zu geben, als vielmehr der Beobachtung und dem Experiment Raum zu geben oder auch eine künstlerische Auseinandersetzung mit KI erst einmal anzustoßen.

Die 1980 in Spanien geborene Soundkünstlerin, Komponistin und Dirigentin Conde Ruiz leitet Chöre auf der ganzen Welt, so etwa einen 500-köpfigen Amateurchor zur Eröffnung des Erweiterungsbaus der Tate Modern Gallery in London. 2020 gründete sie ein Online-Ensemble mit Sängerinnen und Sängern, um klangliche Qualitäten von Technologie und Stimme zu erkunden. Conde Ruiz widmete sich in Dresden – übrigens in der Residenz als erste Künstlerin mit primär musikalischer Ausrichtung – vor allem der Frage der Sichtbarmachung der kaum greifbaren Welt unserer digitalen Daten. Das Schaufler Lab stellte dafür nicht nur ein Studio und Arbeitsmethoden zur Verfügung, sondern auch zahlreiche Experten aus verschiedenen Wissenschaftssparten.

„Der Unterschied bei der Zusammenarbeit mit Forscher*innen unterschiedlicher akademischer Disziplinen besteht darin, dass man Gespräche auf einer trans- und interdisziplinären Ebene führt, die das eigene Denken auf eine neue Art und Weise herausfordern und inspirieren können: Erkenntnisse, Methoden, andere und neue Denkweisen, die man anders nie erreichen könnte, entstehen – sie durchdringen und bilden sich wechselseitig ab. Gemeinsam gelingt es, einen anderen, neuen Blick auf die Welt zu wagen,“ so Conde Ruiz in einem Interview mit dem Kunstwissenschaftler Michael Klipphahn-Karge über ihre Residenz in Dresden.

Ein zweiter wichtiger Aspekt ihrer Arbeit war das Beziehungsgeflecht zwischen Mensch und Technologie. Schnell landet man da innerhalb des Themas KI in einer komplexen Auseinandersetzung, die sehr diverse Ansätze ermöglicht und in Bezug auf Musik natürlich auch etliche neue Frage- und Problemstellungen eröffnet, die im Rahmen einer Residenz zwar betrachtet, aber keinesfalls gelöst oder beantwortet werden können, da überdies die Entwicklung von KI auf vielfältigen Plattformen gerade in ständiger Aktualisierung begriffen ist, man sich also anders als in einem musikalisch abgeschlossenen und dokumentierten System wie etwa innerhalb einer temperierten Stimmung ständig auf Updates des Materials einlassen muss. Conde Ruiz hat in ihren bisherigen Projekten vielfach die menschliche Stimme in den Blick genommen. Zunächst war ein KI-Chor eine Idee, doch sie verlagerte ihren Augenmerk dann mehr auf die Kommunikation, die ja sowohl zwischen Daten, als auch zwischen Menschen Sprache und damit auch einen Sprach-Klang benötigt oder erzeugt. Dabei stößt man an (künstlerisch natürlich immer noch ausdrückbare) Grenzen: Was passiert, wenn unsere zukünftige Welt von menschlich nicht mehr zu fassenden Datenmengen überlagert wird, wie es jetzt schon etwa auf großen Serverfarmen sogar haptisch zu beobachten ist?

Esmeralda Conde Ruiz nahm für ihre Experimente am Schaufler Lab den Begriff Beobachtung wörtlich und weitete ihn auf das Audiovisuelle und Installative aus. So fangen plötzlich unsere digitalen Daten zu klingen an, und es lässt sich fragen, ob – etwas überspitzt formuliert – Brummen der Server tatsächlich ein Material sein kann, das quasi das Menschliche in die Technologie implantiert oder Ohr und Blick für die „toten“ Daten schärft oder transformieren kann. „Nachdem ich das Gesamtbild im Ansatz begriffen hatte, erschien es mir nicht mehr richtig, einfach nur KI zu verwenden, um ein Kunstwerk zu schaffen. Es sollte etwas entstehen, in dem die Klänge all dieser widersprüchlichen Verbindungen einen Echoraum erhalten“, so Conde Ruiz.

In Experimenten mit Übersetzerstimmen oder Navigationssystemen wird ja schon lange danach gesucht, was eigentlich eine „natürliche“ Stimme ausmacht. Und wer schon einmal in einer Telefonschleife hing und aus Versehen dem vermeintlich menschlichen Gegenüber ein Gespräch angeboten hat, weiß, wie hochentwickelt diese Instrumente mittlerweile geworden sind. Das Aufeinandertreffen von Stimme, Technologie und Raum wird in der abschließenden Performance am 7.5. in Hellerau eine wesentliche Rolle spielen.

Zyklische Aspekte, die ja in der Musik auch eine Rolle spielen können, waren für Esmeralda Conde Ruiz relevant: Daten befinden sich in einem kontinuierlichen Kreislauf, sie werden entnommen, erweitert, wieder auf ihre Bahn geschickt. Und – dies war eine weitere Erfahrung ihrer Residency – die digitale Welt erzeugt einen massiven ökologischen Fußabdruck und die Herstellung ihrer Bestandteile, die oft in unterbezahlten Arbeitsverhältnissen in Entwicklungsländern stattfindet, gehört ebenfalls bei der künstlerischen, Betrachtung des Ergebnisses einer hochentwickelten KI dazu. Es sind offene Fragen, die Conde Ruiz über den Weg ihrer Installation „24/7“, die über den gesamten Festivalzeitraum im Festspielhaus Hellerau besucht werden kann, zu formulieren scheint, damit aber befindet sie sich bei den Tagen der zeitgenössischen Musik in bester Gesellschaft.

Website von Esmeralda Conde Ruiz: www.econderuiz.com 

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