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Dantons Tod an der Wiener Staatsoper. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Dantons Tod an der Wiener Staatsoper. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
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Wie Historiengemälde – zwei Gottfried-von-Einem-Premieren in Wien

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Mit gleich zwei Opernpremieren im Abstand von einer guten Woche begeht Wien den hundertsten Geburtstag des Komponisten Gottfried von Einem. Die Produktionen überzeugen nicht zuletzt dank der starken Texte von Büchner und Dürrenmatt. Ob sie nachhaltige Wirkung entfalten, muss fraglich bleiben.

Außerhalb Österreichs wird dieses hundertste Jubiläum nur wenig zur Kenntnis genommen, anders als der Tod Claude Debussys oder die Geburt Bernd Alois Zimmermanns im Jahre 1918. In Wien standen dagegen (etwas pflichtschuldig, wie es scheint) gleich zwei Premieren des ebenfalls 1918 geborenen Gottfried von Einem auf dem Programm, in der Staatsoper und im Theater an der Wien. „Dantons Tod“ (1947) und „Der Besuch der alten Dame“ (1971) erlebten seinerzeit durchaus erfolgreiche Uraufführungen und wurden vielfach von anderen Häusern übernommen. Heute ist es etwas still um den Opernkomponisten von Einem geworden, auch im Jubiläumsjahr: Bei den Salzburger Festspielen und im Wiener Konzerthaus gibt es noch konzertante Aufführungen der Kafka-Oper „Der Prozess“ zu hören, hinzu kommen einige Konzerte im Wiener Musikverein. Außerhalb Österreichs ist abgesehen von einer weiteren Produktion von „Dantons Tod“ in Magdeburg nicht das meiste an Aktivitäten zum Hundertsten zu finden.

Und auch in der Opernstadt Wien – so viel muss der Ehrlichkeit halber gesagt werden – ziehen beide Neuinszenierungen ein vergleichsweise kleines Publikum an, das allerdings beide Premieren umso begeisterter akklamiert. Als Opernhaus steht man mit Gottfried von Einem als einem „gemäßigten“, der Tonalität verpflichteten Komponisten des 20. Jahrhunderts durchaus vor einer Schwierigkeit. Denn weder kann auf den ungeteilten Zuspruch eines überregionalen Feuilletons spekuliert werden – wie es offenbar immer mehr Häuser mit Zimmermanns inzwischen geradezu modischen „Soldaten“ erhoffen –, noch ist wie mit einer „Tosca“ ein volles Haus gesichert. So sind denn auch am Tag nach der Premiere an der Staatsoper noch für alle Folgeaufführungen Plätze verfügbar, sogar weitgehend jene oft raren in den bezahlbaren Kategorien. Das kann man schon bedauerlich finden, denn von Einems Stücke bringen eine interessante Farbe in die Spielpläne. Und wir leben ja nicht mehr in Zeiten, wo man jemanden wie von Einem verschmähen muss, wenn man Stockhausen schätzt – oder umgekehrt.

Die beiden nun neuaufgelegten Stücke leben von ihren Texten, von den eminent bühnenwirksamen Dramen Büchners und Dürrenmatts. Die Musik fügt dem gar nicht immer viel hinzu, vor allem im Falle des „Besuchs“. Bisweilen wirkt sie gar auf irritierende Weise naiv, etwa im Konradsweilerwald mit seinen Vogelstimmen und seiner Terzenseligkeit. Ein eigenartiges Als-Ob ist das, ein Mut zu unsublimierter Schönheit auch – eine Schönheit, die das ORF-Orchester im Graben des Theaters an der Wien (Leitung: Michael Boder) bei der Premiere zum Teil noch schuldig bleibt. Kühner, wenn auch nicht immer subtil ist die über zwanzig Jahre früher entstandene Partitur von „Dantons Tod“, für die acht Tage später und rund 500 Meter entfernt die Platzhirsche des Staatsopernorchesters verantwortlich sind. Susanna Mälkki lässt vom Pult aus mit präzisen Gesten diese stark rhythmisch und perkussiv bestimmte Musik wie ein gnadenloses Uhrwerk ablaufen.

Gemeinsame Themen beider Werke sind Gerechtigkeit und Schuld, wenn auch sozusagen aus entgegengesetzten Richtungen: Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ ist eine Komödie mit sehr ernster Schlagseite, Büchners Revolutionsdrama „Dantons Tod“ neigt bisweilen zu einer fast komischen Lakonik. Die Stücke böten allerhand Anknüpfungspunkte für Deutung – die die Regisseure beider Abende nur in Ansätzen wirklich nutzen. So beschwört im Dürrenmatt-Stück der Bürgermeister von Güllen (Raymond Very) salbungsvoll die europäischen Werte, obwohl die Kleinstadt am Ende natürlich den von der „alten Dame“ geforderten Mord an ihrer Jugendliebe durchführen wird – nicht des Geldes, sondern der Gerechtigkeit wegen, wie man versichert. Die Inszenierung Keith Warners streicht auf eine sehr äußerliche Art die Aktualität dieses Stoffes heraus: Die alte Dame Claire Zachanassian bringt schrille Farben in die schwarz-weiße Nachkriegswelt und führt über die drei Akte einen wirtschaftlichen Fortschritt im Turbogang herbei. Über die Neunziger mit ihren zeittypischen Luxus-Accessoires (man kauft Lachs und spielt Tennis) und die 2010er Gegenwart geht es da geradewegs in eine grellbunte, vom Mammon geprägte Zukunft. Das ist als Konzept immerhin stimmig und unterhaltsam, bis hin zum IKEA-Sarg „Åmen“. Dass die Premiere für erheblichen Publikumsjubel sorgt, ist auch den durchweg exzellenten Sängern zu verdanken. Wandlungsfähig gibt Katarina Karnéus die Titelrolle, mal schrill und exzentrisch, mal einfühlsam. Russell Braun verkörpert eindringlich ihren Ex-Geliebten Alfred Ill, der ihr übel mitgespielt, sie erst geschwängert und sich dann aus der Verantwortung gestohlen hatte. Den meisten Eindruck hinterlässt trotz allem der Dürrenmatt’sche Text, der nichts von seiner bitterbösen Wucht verloren hat. Musik wie Szene fügen ihm im Theater an der Wien nur selten eine zweite Ebene hinzu.

Bitterböse ist auch „Dantons Tod“, jenes Drama über den Machtkampf zwischen Fraktionen der Französischen Revolution in der Phase des „Terreur“. Wenn am Ende, nach der Hinrichtung Dantons und seiner Getreuen die Henker über die Bühne schlendern und ungerührt ein harmloses Liedchen singen („Wenn ich nach Hause geh’, scheint der Mond so schön“), kann es einem kalt über den Rücken laufen. Wolfgang Koch portraitiert mit großer Präsenz Danton als den, der sich am Ende gegen seinen Gegenspieler Robespierre nicht durchsetzen kann und will. Dessen Darsteller Thomas Ebenstein bleibt wiederum im Vergleich etwas blass, auch weil die Regie ihn alleine lässt und auf Eindimensionalität reduziert. Warum die Volksmenge (der weitgehend hochpräsente Staatsopernchor) ihm folgt, erschließt sich daher nicht recht. Sängerisch ist freilich auch diese Produktion erstklassig. Herbert Lippert singt die Rolle des Camille sehr schön, wenn er auch vielleicht nicht die ganz ideale Besetzung dieser eher jugendlichen Rolle ist. Seiner Frau Lucile (bewegend: Olga Bezsmertna) gehört nach dem großen Sterben mit dem alten Lied „Es ist ein Schnitter“ die Bühne. Mit ihrem Ausruf „Es lebe der König“ besiegelt sie ihren eigenen Tod.

Hier nun öffnet sich endlich ächzend die Kastenbühne (Rainer Sinell), die mit ihren durchlässigen Latten während anderthalb Stunden immerhin für allerhand schöne Lichteffekte und Gesten gut war. Regisseur Josef Ernst Köpplinger belässt die Französische Revolution ansonsten, wo sie ist, und stellt mit Flaggenwehen, Kerzenleuchtern und historisierenden Kostümen (Alfred Mayerhofer) französische Ölgemälde nach – Assoziationen zu David, Delacroix oder Géricault liegen nah. Doch fehlt es Köpplinger erkennbar an Mut zu wirklicher Stilisierung und Künstlichkeit. Es bleibt bei einer unentschiedenen Mischung aus artifiziellen Tableaus und naturalistischer Bebilderung, für die reichlich Requisitenplunder benötigt wird, der meist irgendwie im Wege steht oder liegt. Ob eine Inszenierung, die niemandem weh tut, das richtige für „Dantons Tod“ ist? Für eine noch stärkere Wirkung bräuchte es gar nicht viel, eine Aktualisierung jedenfalls nicht: Themen wie die Manipulierbarkeit der Masse entfalten ihre Relevanz doch heutzutage ganz von selbst.

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