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Foto: Gregory Batardon.
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Wohlklang-Empathie: Die Uraufführung von Christian Josts Oper „Voyage vers l'Espoir“ in Genf

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Christian Josts Partitur „Voyage vers l'Espoir“ (Journey of Hope) nach dem Film „Reise der Hoffnung“ von Xavier Koller bringt den Protagonisten melodisch wie koloristisch eine tiefe Empathie entgegen. Die Bebilderung durch Kornél Mundruczó bewegt sich allerdings an keiner einzigen Stelle aus einer anbiedernd hübschen Komfortzone heraus. Das verdichtet sich bei der Uraufführung im Grand théâtre de Genève zu einem zwiespältig glatten Gesamteindruck.

Während der Pandemie und der dadurch nötig gewordenen Verschiebung der Uraufführung steigerte sich der Aktualitätsbezug von Káta Webers Textbuch zu Christian Josts Oper. „Mondes en migration“ ist das Motto der Spielzeit 2022/23 im Grand théâtre de Genève und diese Uraufführung eines der wichtigsten Projekte zu diesem. Die Statisterie zeichnet sich durch ethnische Buntheit aus, dem die farbfreudige Ausstattung von Monika Pormalet unter dem Diktat der Videos von Rūdolf Baltiņš nicht nachsteht.

Das Haus war nur halbvoll, aber der Applaus erreichte Gluthitze. In seiner Oper nach dem Film „Reise der Hoffnung“ von Xavier Koller aus de m Jahr 1990 setzt der deutsche Komponist Christian Jost auf emotionale Klänge und alle physischen wie symbolischen Aspekte des Reisens. Nach Ende des Beifalls ruft eine Männerstimme ins Publikum, dieser sei eine Blamage für das Publikum. Es wäre allerdings ungerecht, das politische Dilemma Josts Partitur anzulasten. Jede weitere Produktion von „Journey of Hope“ muss sich einer konzeptionellen Herausforderung stellen: Als Publikum äußert man Mitleid mit Personen, die das politische System der reichen Länder in Europa zum Schutz des eigenen Wohlstands abschmettert. Eine Forderung an die Kunstform Oper, mehr politische Appelle zu wagen, ist legitim. Aber man vergisst darüber, dass Musiktheater seit der französischen Revolution vor allem ein emotionales Instrument war. In der Oper zeigte man Empathie für alles, was man im physischen Leben ablehnte, weil es gegen die Konventionen der Zeit war: Ehebruch, unstatthafte Lieben, verbotene Begierden. Nach diesem über 200 Jahrhunderte alten Muster funktioniert auch Josts kreative Musikdramaturgie.

Das letzte Wort hat der Polizeibeamte in einem Büro vor dem schön kitschig aufragenden Bergmassiv auf Bühnenwägen, das in seiner Kulissenhaftigkeit erkennbar sein soll. Das Ehepaar Haydar (Kartal Karagedik) und Meryem (Rihab Chaieb) macht sich aus Anatolien auf in das gepriesene Mitteleuropa. Die beiden größeren Kinder Fatma (Guilan Farmanfarmaian) und Güney (Areg Sultanyan) bleiben zurück. Später richten sie mehrfach große ausdrucksvolle Blicke in die Videokamera. Je näher das Ehepaar dem utopischen Ort Schweiz kommt, desto stärker verdüstern sich die Bilder: Aus Sonne wird Unwetter, statt weiter Felder kommen enge Aufenthaltsräume und kalte Bar-Räume auf die Bühne. Der schneebedeckte Berg in den Schweizer Alpen, an dem der kleine Mehmed Ali (Ulysse Liechti) mit einigen steinerweichend kurzen Sätzen in den Kältetod gleitet, wirkt wie ein Purgatorium von unbedachten Wünschen. In die Schweiz kommt der Vater mit der Anklage auf fahrlässige Tötung, die finanziellen Rücklagen sind weg, die Ehe zertrümmert.

So schön der Bariton Kartal Karagedik und die Mezzosopranistin Rihab Chaieb auch singen, so sympathisch sie wirken und so engagiert sie spielen: Trotzdem ist das Orchester die langsam, episch und suggestiv flutende Hauptpartie in Josts Oper. Dieses verdichtet den Eindruck, den man von der klaren und keine bohrenden Fragen stellenden Inszenierung von Kornél Mundruczó erhält. Das Orchestre de la Suisse Romande hat eine von der Bildermacht erschlagene Sternstunde. Es wird sich erst bei weiteren Einstudierungen erweisen, ob die in der Handlung dargestellten Gefahren auch im Orchesterklang geschärft werden können. In Genf gerät all das zu theatralen Luxusmomenten.

  • Besuchte Vorstellung: 4. April 2023 – Premiere: 28. März 2023

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