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Bereicherung der Tiroler Musikszene: das Orchester der Akademie St. Blasius. Foto: http://kultur.tirol.at/
Bereicherung der Tiroler Musikszene: das Orchester der Akademie St. Blasius. Foto: http://kultur.tirol.at/
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Zwei Tiroler Uraufführungen und ein Klassiker der Moderne mit dem Orchester der Akademie St. Blasius

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Kurzfristig hatte ich erfahren, dass in Innsbruck die Sinfonia per archi von Anders Eliasson, eines der großartigsten symphonischen Werke unserer Zeit, zur österreichischen Erstaufführung kommen sollte. Also, schnell ins Auto von München in die tirolische Landeshauptstadt, die an diesem Sonntag mit einem gigantischen Aufmarsch heimischer Blaskapellen prunkte. Doch auch das Konzert des Orchesters der Akademie St. Blasius unter seinem Chef Karlheinz Siessl im Saal des Landeskonservatoriums war ziemlich gut besucht – eine exzellente Akustik für Streicher bietet dieser Raum, der bei Bläserbesetzungen allerdings schnell überfordert sein dürfte.

Die erste Konzerthälfte bildeten zwei Uraufführungen von Werken tirolischer Komponisten. Zunächst der 1971 geborene Christian Gamper, der auch als Dirigent arbeitet, mit seinem Concertino für Streichorchester, das sechs Solisten in Wechselspiel mit dem Tutti bringt. Die Titel der drei Sätze lauten viel verheißend ‚Aus dem Nichts’, ‚Im Hier und Jetzt’ und ‚Ins Licht’; die Realität ist dann doch alltäglicher, es ist eine aus Versatzstücken unterschiedlichster Stile zusammengesetzte Schreibweise, die mit vielen vereinzelten Ideen aufwartet, ohne einen erkennbar eigenen Ton oder zu zusammenhängender Wirkung zu finden. Statt so vieles Disparate aufzusammeln und zu einer Art musikalischer Pizza zu verarbeiten, sei dem Komponisten angeraten, seine Sprache aufs Wesentliche zu verdichten.

Der 1987 geborene Innsbrucker Martin Schmid, der als Filmmusikschaffender bereits Aufmerksamkeit erregt hat, präsentierte sich danach beeindruckend mit seiner ‚Symphony’. Keine Frage, auch hier gibt es Einflüsse. Es ist sehr fassliche, uneingeschränkt tonal empfundene und organisierte Musik von großer Farbigkeit, narrativem Reichtum, intuitivem instrumentatorischen Geschick, klar im harmonischen Kontinuum, und durchaus in einem unprätentiös eigentümlichen Tonfall, der noch viel Erfreuliches hervorbringen kann. Natürlich, immer kann man Einflüsse hören (vielleicht auch etwas Bernard Herrmann hier), aber das ist als pauschales Kriterium vollkommen untauglich. Es gibt keine unbeeinflusste Kunst, selbst ein Freigeist wie Debussy hat an Vorgänger angeknüpft.

Was schon bei der Darbietung dieser beiden Kompositionen beeindruckte, bestätigte sich nach der Pause: Das Orchester agierte sehr diszipliniert, mit kultivierter Tongebung und großer rhythmischer Präsenz. Es ist seinem Gründer und Leiter, dem 1971 in Brixen geborenen Tubisten, Musikwissenschaftler, Bibliothekar und Dirigenten Karlheinz Siessl, in dreizehnjähriger Aufbauarbeit geglückt, ein außergewöhnlich qualifiziertes Freelance-Ensemble zusammenzustellen, das in unterschiedlichsten Besetzungen stets mit erfrischend unkonventionellen, entdeckungsfreudigen Programmen auftritt und eine einzigartige Bereicherung der ohnehin ziemlich gut versorgten Tiroler Musikszene darstellt.

Viele der Entdeckungen hat man mittlerweile auf CD eingespielt, darunter Symphonien des romantischen Lokalmatadors Johann Rufinatscha (1812-93), die bereits internationale Beachtung finden, oder Werke von Ignaz Lachner, Emil Berlanda und insbesondere Franz Baur, der wohl als eine Art Composer-in-residence zu bezeichnen ist. Die Qualität dieser Aufnahmen ist beachtlich auf einem weit überregionalen Standard. Siessls Dirigat ist gekennzeichnet von souveräner Autorität, klarer Geste, zupackendem aber auch zuhörendem Impetus, sensibler Linienzeichnung und sachlicher Schlichtheit. Man hatte nicht gerade viel Zeit (erste Probe am Donnerstag, Konzert am Sonntag vormittag), doch selbst die in ihrem weiten Spannungsbogen und dem eigentümlich frei ausschwingenden, hochkonzentrierten polyphonen Liniengeflecht höchst anspruchsvolle Streicher-Symphonie von Anders Eliasson erfuhr eine intensive und bewegende Darbietung, wobei dem Solocellisten mit seinem dichten, tragfähigen Ton besonderes Lob gebührt.

Eliasson errichtet in diesem 2000 komponierten, inzwischen von drei Spitzenorchestern auf CD eingespielten Werk in drei ineinander übergehenden Sätzen (langsam – schnell – langsam) eine gigantische Architektur von schwerelos sich aus sich selbst bewegender, niemals im (atmosphärisch zauberhaften!) Klangreiz sich verlierender, bei allem sich entfachenden Drama absolut bruchlos und unsentimental sich entfaltender Qualität. Das Publikum war geradezu verblüfft von solcher Größe und feierte die Musiker und den anwesenden Komponisten begeistert.

Es lohnt sich, dieses Orchester unter seinem ausgezeichneten Leiter öfter zu hören, so beispielweise am 30. Oktober diesen Jahres, wo neben Benjamin Brittens Illuminations erstmals in Österreich, mit dem Solisten Wolfram Christ, das Bratschenkonzert des herausragenden finnischen Symphonikers Kalevi Aho erklingen wird.

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