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Otto Nicolai. Foto: Wikimedia Commons
Otto Nicolai. Foto: Wikimedia Commons
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Zwischen italienischer und deutscher Oper: Otto Nicolais „Die Heimkehr des Verbannten“ in Chemnitz

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Wie Richard Wagner an seinem „Tannhäuser“ und Albert Lortzing an der „Undine“, so arbeitete auch Otto Nicolai an der etwa gleichaltrigen Oper „Il proscritto“ bis an sein Lebensende. Aber nicht die Fassung letzter Hand, „Der Verbannte“, stand im Theater Chemnitz auf dem Spielplan, sondern die Wiener Fassung von 1844, als Fortsetzung jener Neubetrachtung von Nicolais Oeuvre, der an diesem Haus vor zwei Jahren die Wiederaufführung der italienischen Oper „Il templario“ vorangegangen war.

Der 1810 in Königsberg geborene Otto Nicolai hatte offenbar eine Vorliebe für britische Stoffe. So komponierte er als Kapellmeister am Wiener Kärntnertortheater 1837 „Rosmonda d’Inghilterra“. 1840 folgte in Turin „Il templario“ folgte. Obgleich die französische Dramenvorlage zu „Il proscritto“, Frédéric Souliés „Le proscrit“, in Grenoble spielt, ist die Handlung von Nicolais „Il proscritto“ vor dem Hintergrund der Rosenkriege in England angesiedelt. Und die bekannteste Oper dieses Komponisten, „Die lustigen Weiber von Windsor“, basiert bekanntlich auf Shakespeare.

Der Entstehungsprozess von Nicolais dritter Oper nahm wunderliche Wege: Im Zuge der Entscheidung, welche Handlung er komponieren sollte, lag Gaetano Rossis Libretto „Il proscritto“ auch Verdi vor, während Nicolai das Libretto Soleras zu dem dann von Verdi vertonten „Nabuccodonosor“ ablehnte. Die Uraufführung von Nicolais Erstfassung, 1841 in Milano, war ein Fiasko, da Nicolais Ex-Verlobte die weibliche Hauptpartie nur markierte. Für die auch im Handlungsverlauf veränderte Wiener Fassung komponierte Nicolai dann die Hälfte seiner Musik neu.

In dieser Fassung brachte es die Oper auf über vierzig Vorstellungen. Das deutsche Libretto stammt von Otto Prechtler und von Siegfried Kapper, dessen Lyrik auch von Brahms und Dvorák vertont wurde. Nur noch zwei Nummern sind in Nicolais Berliner Fassung aus den Jahren 1847/48 mit der ersten Version identisch. Die Fassung kam, stark gekürzt, erst postum durch Heinrich Dorn in Nicolais Todesjahr 1849 zur Uraufführung. Allerdings enthält die Fassung letzter Hand, „Der Verbannte“, auch eine Tendenz zur Annäherung an die Grand Opéra, da Nicolai hier ein rund zehnminütiges Ballett eingefügt hat. Die diversen Fassungen sind in einer kritischen Edition von Michael Wittmann in dessen Eigenverlag erschienen.

Leonore steht zwischen zwei Gatten, dem todgeglaubten Lord Artur Norton und Graf Edmund von Pembroke. Wie später in Hermann von Waltershausens „Oberst Chabert“, aber im Gegensatz zu den meisten anderen Opernhandlungen, sind hier die Rivalen – Tenor und Bariton – beide auf ihre Art edel und liebenswert. Leonore liebt beide und tötet sich selbst schließlich mit Gift, in der Hoffnung, durch ihren Tod die politischen Rivalen zu versöhnen.

Musikalisch zeigt sich Nicolai mit seiner Oper voll auf der Höhe der Zeit. In der Abfolge der 13 Nummern der zweiten Fassung gibt es keine Schwachstelle, und das Finale des dritten Aufzuges erweist sich kompositorisch als ein echter Wurf. Nicolai beherrscht den Stil der italienischen Oper, die er 1833 für zwei Jahre in Rom studiert hatte. Dabei stehen seine Themen und deren Verarbeitung dem jungen Verdi nicht nach.

Der Chemnitzer Generalmusikdirektor Frank Bermann wollte insbesondere auf die in der Endfassung nicht mehr enthaltene erste, stilistisch mit ihren Koloraturen betont italienische Arie der Leonore nicht verzichten und wählte daher die Wiener Fassung, wobei in Chemnitz allerdings das Chor-Finale des zweiten Aktes dem Strich zum Opfer fiel. (Aber für die vorgesehene CD-Gesamteinspielung bei cpo soll es ergänzt werden). Mit der wohl disponierten Robert-Schumann-Philharmonie arbeitete Bermann die zarten Töne der Lust ebenso trefflich heraus, wie die große Emphase, die auch zwei schwungvolle Themen mit deutlicher Verwandtschaft zur Partitur der „Lustigen Weiber von Windsor“ inkludiert.

Getragen wird die Wiederaufführung dieser Sängeroper von ausgezeichneten, obendrein textverständlichen Solisten, so dass mit Recht auf eine Übertitelung verzichtet werden konnte. In ihren fast immer makellosen Koloraturen für Strauss’ Zerbinetta prädestiniert, wartet die junge, schlanke Julia Bauer als Leonore auch mit kernigen, dramatischen Tönen auf. Der zunächst stimmlich an Volumen zurückhaltende Bariton Hans Christoph Begemann als situierter Graf Edmund vermag den Zuhörer im dritten Akt mit warm aufblühender Kantilene für sich einzunehmen. Und Bernhard Berchtold, ein kraftvoller Mozarttenor, verfügt für den verbannten Artur über die erforderliche Farbpalette mit gehörigem Pep.

Regisseur Philipp Kochheim hat die Handlung von 1461 ins Heute verlegt. Bereits in der Ouvertüre inszeniert er mit dem Chor (Einstudierung: Mary Adelyn Kaufman) die Zusammenkunft einer multikulturellen Upper Class Society, – darunter ein Araber mit Gebetsteppich, ein Inder mit Beschwörungsschlange und ein semiprofessionelles TV-Team (Kostüme: Bernhard Hülfenhaus). Im Programmheft begründet der Regisseur, „die zuweilen fast überlebensgroßen Emotionen der Opernfiguren wirken vor dieser edel designten Folie wie eine Sehnsucht nach einer einfacheren, überschaubaren, klaren Wertigkeit, nach längst verloren gegangenen Gewissheiten [...]“. Somit greift einer der Protagonisten zu einem Schürhaken, wenn er vom Schwert singt, zumeist aber agieren die Handlungsträger im Einheitsraum der ersten beiden Akte (Bühne: Thomas Gruber) mit Maschinengewehr und Pistole. Dass es sich dabei um die Vorbereitung zu einer Hochzeit handelt – denn Leonore ehelicht ja erst inmitten des ersten Aktes Graf Edmund – bleibt unklar. Der dritte Akt spielt unter dem Gesellschaftsraum, im Boudoir der Leonore, dessen Unordnung das Chaos in ihrer Liebesbeziehung zwischen den beiden Männern symbolisiert.

Um in der Terminologie der von Nicolai geschätzten Briten zu bleiben, erweist sich die Inszenierung als „a lamb dressed as a woolf“. Unwahrscheinlich, dass Leonora als Zeitgenossin in dieser Situation den Freitod wählen würde. Der PR-Text des Theaters Chemnitz spricht zwar von der „Befreiung aus einer Männerwelt, die einer Frau die berechtigte Selbstbestimmung nicht gewähren will“, aber heute würde sich Leonore in einer solchen Situation wohl nicht für Gift entscheiden, sondern für einen Dritten.

Als Artur sich im Terroristendress auf den Balkon des Luxuswohnung abseilt, gibt es am Premierenabend einige Lacher im Publikum, Bravorufe hingegen nach den einzelnen Nummern und am Ende einhelligen Applaus für die Leistung aller Beteiligten.

Im Anschluss an die Premiere erhielt Generalintendant Dr. Bernhard Helmich den Theaterpreis der Stiftung des Verbandes Deutscher Bühnen- und Medienverlage für die am Theater Chemnitz besonders erfolgreich gepflegte Verbindung von klassischen Opernrepertoire, Ausgrabungen und Novitäten.

Weitere Aufführungen:
12., 25., Februar, 6. März, 17. und 24. April 2011

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